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Das Jahr 2022 im Rückspiegel – Highlights von Blue Note

Obwohl es dieses Jahr kein großes Jubiläum für Blue Note zu feiern gab, kann Label-Präsident Don Was äußerst zufrieden auf 2022 zurückblicken. Wir verraten, warum.
Blue Note Jahresrückblick 2022
Blue Note Jahresrückblick 2022
20.12.2022
So sorgte er als Executive Producer unter anderem für hochkarätige Labeldebüts wie das der chilenischen Saxofonistin Melissa Aldana, die für ihr erstes Blue-Note-Album “12 Stars” auch prompt ihre erste Grammy-Nominierung erhielt. Mit Blue Note Africa konnte Was außerdem ein neues Sublabel aus der Taufe heben, auf dessen kommenden Output die Jazzwelt schon jetzt gespannt ist. Und mit dem Duo DOMi & JD BECK zog er für sein Label zwei der umworbensten und heißesten Jazztalente an Land, die sich sogar Hoffnungen auf zwei Grammys (“Best New Artist” und “Best Contemporary Instrumental Album”) machen dürfen. Daneben gab es in Serien wie “Tone Poet” und “Blue Note Classic Vinyl” auch eine Flut von begeistert angenommenen Wieder- und Erstveröffentlichungen auf Vinyl.
Etliche der Neuerscheinungen von Blue Note zieren jetzt natürlich auch die Jahresbestenlisten von Publikationen wie der New York Times, Jazzwise, Slate, Stereogum, PopMatters, Treble und Glide. Jazzwise etwa nahm in seine Liste mit den 20 besten Jazzalben von 2022 gleich fünf Neuheiten von Blue Note auf: darunter zwei des unermüdlich kreativen Charles Loyd (“Trios: Chapel” und “Trios: Sacred Thread”) plus The 7th Hand” von Immanuel Wilkins, “In The Spirit Of Ntu” von Nduduzo Makhathini und “View With A Room” von Julian Lage.
Das JazzEcho-Team hat aus all den tollen Blue-Note-Alben des Jahrgangs 2022 nun sechs herausgepickt, die unserer Ansicht nach jeder einmal gehört haben sollte, bevor das Jahr zu Ende geht.
Nicht nur für die Ohren, sondern auch für die Augen haben DOMi & JD BECK so einiges zu bieten. Das weiß jeder, der schon einmal die farbenprächtigen und oft irrwitzigen Video-Clips des Duos auf YouTube gesehen hat. Denn bevor sie für Anderson .Paaks Label Apeshit Inc. und Blue Note ihr gefeiertes Erstlingswerk “NOT TiGHT” einspielen konnten, sorgten sie zunächst dort für Furore. “NOT TiGHT” ließ sogar die deutsche Vogue hellhörig werden: “DOMi und JD Beck – ein junges Duo revolutioniert den Jazz. Zwei Jazz-Wunderkinder stellt man sich irgendwie anders vor. Gesitteter, konservativer, polohemdartiger”, frotzelte dort Steffen Rüth. “Das drollige Duo ist gefesselt vom eigenen Tun und dem Spaß, den es dabei hat. DOMi und JD spielen hochkomplexe, höchste Anforderungen an Virtuosität und handwerkliches Können stellende Musik, aber ohne jede Spur von Anspannung und Verbissenheit.” Auch die FAZ erlag dem jugendlichen Charme: “Bei aller Verspieltheit beanspruchen die fünfzehn Miniaturen aber auch eine poppige Relevanz. Wie sehr das ungleiche Duo einen Nerv getroffen hat, zeigt die beeindruckende Gästeliste: Auf ‘Moon’ schaltet sich Herbie Hancock mit Klavier und Vocoder ein, auf ‘Woah’ der Jazzgitarrist Kurt Rosenwinkel und auf ‘Pilot’ liefern sich Snoop Dogg und Busta Rhymes ein waschechtes Rap-Battle.”
Ein frühreifes Talent war einst auch Gitarrist Julian Lage. Erste Schlagzeilen machte er sogar noch früher als DOMi & JD Beck, als er – anno 1996 – mit acht Jahren in einem ihm gewidmeten Dokukurzfilm Jimi Hendrix (mit über Kopf gespielter Gitarre) nacheiferte und sich kurz danach auf der Bühne mit Carlos Santana messen durfte. Aus dem Wunderkind ist natürlich längst ein Wundererwachsener geworden. Unterstrichen hat Lage dies mit seinem zweiten Blue-Note-Album “View With A Room”, für das er mit Bill Frisell einen kongenialen Spielpartner (und Label-Kollegen) eingeladen hat, gemeinsam mit ihm und seinem Trio zu musizieren. In Stereo kürte Tilman Urbach “View With A Room” zur Jazz-CD des Monats und schrieb: “… hier erweitert sich Lages Gitarrenspiel im Verbund mit Frisells zum zwölfsaitigen Ereignis. Die Musik auf diesem Album ist eigentlich unspektakulär (aber dies im besten Sinne), kommt oft heiter-countryhaft rüber, ist dabei beinahe Evergreen-tauglich, glänzt durch ihre atemberaubende Leichtigkeit.”
Nduduzo Makhathini gilt derzeit als das Aushängeschild des (süd)afrikanischen Jazz und war folglich auch der erste Künstler, der bei Blue Note Africa unter Vertrag genommen wurde. Sein im Mai erschienenes Album “In The Spirit Of Ntu” entfachte auf jeden Fall riesiges Interesse, und das nicht nur bei den auf Jazz spezialisierten Medien. “Nduduzo Makhathini gelingt das Kunststück, einen Jazz zu spielen, der zugleich tänzerisch und hochkomplex ist”, schwärmte der sonst eher weniger zu Schwärmereien neigende Hans-Jürgen Schaal in Jazzthetik. “Makhathinis Musik besitzt eine hypnotisierende Intensität, ist dicht, fanasievoll, ekstatisch.” Kein Wunder also, dass dieses Album auch mit einem der genreübergreifend nur elf zu vergebenden Jahrespreise der Deutschen Schallplattenkritik dekoriert wurde. Tobias Rapp nannte es in der Jury-Begründung “ein kraftvolles Manifest für ein neues, selbstbewusstes Afrika, das das kommende Jahrhundert mitgestalten will” und meinte: “Schon lange hat niemand mehr mit so großer Überzeugungskraft behauptet, dass Jazz vor allem eine afrikanische Musik ist.”
Wie Nduduzo Makhathini gehört auch Charles Lloyd zu den aktuellen Gewinnern eines Jahrespreises der Deutschen Schallplattenkritik. Freilich hatte der alte Fuchs mit den Alben seiner fabelhaften Trio-Trilogie potenziell auch gleich drei heiße Eisen ins Feuer geworfen: “Trios: Chapel” mit Bill Frisell und Thomas Morgan, “Trios: Ocean” mit Gerald Clayton und Anthony Wilson sowie “Trios: Sacred Thread” mit Zakir Hussain und Julian Lage. Ausgezeichnet wurde er für das erste Album “Trios: Chapel”, das Matthias Wegener in der Jury-Begründung als “Album voller Zärtlichkeit, Anmut, Weisheit und Noblesse” beschrieb. “Mit dem Gitarristen Bill Frisell und dem Bassisten Thomas Morgan bildet er eine formidable Band, in der seine Musik wunderbar atmen kann”, heißt es dort weiter. “Lloyds Saxophon-Spiel ist von einer starken gesanglichen Qualität geprägt, was in dieser Besetzung noch einmal besonders hörbar wird.”
Der bereits zweifach erwähnte Bill Frisell gehört auch zu den Stars, die “Here It Is: A Tribute To Leonard Cohen” viel Glanz verliehen haben. Das von Larry Klein hervorragend produzierte Tribute-Album ist ein ähnlicher Geniestreich geworden, wie es vor fünfzehn Jahren Herbie Hancocks “River: The Joni Letters” war. Damals erntete Klein für seine Produktion zwei Grammys. “Obwohl die Stimme des 2016 verstorbenen Leonard Cohen einzigartig war, überzeugen auch die angejazzten Coverversionen des Tributealbums”, konnte man in der HörZu lesen.”Ob Peter Gabriel, Gregory Porter,Iggy Pop oder Norah Jones: Alle singen die poetischen Songs mit der nötigen Sensibilität.” Auf Bremen Zwei machte Harald Mönkedieck “Here It Is” zum Album des Monats und schrieb: “Die Stimme von Norah Jones steht am Anfang dieses leisen Albums, das im Wesentlichen eines für späte Stunden ist. Hier singt die Kanadierin Sarah McLachlan ‘Hallelujah’ und Gregory Porter ‘Suzanne’. Auch Jazz-Instrumentalisten spielen eine gewichtige Rolle bei diesem Projekt, als Leader und als Begleiter. Zum Beispiel die Gitarrenlegende Bill Frisell oder der junge Saxophonstar Immanuel Wilkins. Sein Spiel steht für intensive Ausgestaltung einer musikalischen Substanz Cohens, die oft unterschätzt wurde.”
Sich 55 Jahre nach seinem Tod mit einem 65 Jahre alten Album auf Platz 1 der Billboard Jazz-Charts und Platz 12 der Deutschen Albumcharts zu katapultieren, so etwas schafft nur ein absolut zeitloser Ausnahmekünstler wie John Coltrane. Gelungen ist dem Saxofonisten dies mit seinem 1957 aufgenommenen einzigen Blue-Note-Album “Blue Train”, das zum  65-jährigen Jubiläum seiner Einspielung in der “Tone Poet”-Serie u.a. auf der Doppel-LP “Blue Train: The Complete Masters” wiederveröffentlicht wurde. Diese enthält sieben nie zuvor auf Vinyl veröffentlichte Aufnahmen. Stereoplay war das die Auszeichnung “Remaster des Monats” wert. “Die von Ashley Kahn profund kommentierte audiophile Edition bringt ‘The Complete Masters’ und dazu bisher umpublizierte Fotos von Francis Wolff – nicht nur für Sammler attraktiv”, befand Hans-Dieter Grünefeld in Sonic. “Die Musik ist fantastisch, denn auf dem ‘Blue Train’ gönnt man sich den Luxus exquisiter Improvisationen. […] Bedenkt man die relative Jugend dieser Akteure (die meisten knapp über zwanzig Jahre alt), so ist Verblüffung die mindeste Hörreaktion. Dieses Jazz-Klassikum sollte man nicht versäumen!”