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Rezensionen von Eberhard Weber

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Interview mit Eberhard Weber
Im Rahmen des Jazzfest Berlin wird dem Bassisten und Komponisten Eberhard Weber am Freitag, dem 6.11., der Deutsche Jazzpreis verliehen – für sein Lebenswerk. Mit Götz Bühler sprach der 69-Jährige am Telefon aus Südfrankreich über Kollegen, Kritiker und die Folgen seines Schlaganfalls im April 2007.Jazzecho: Ich habe im Internet gelesen, Sie erholten sich zunehmend von Ihrem Schlaganfall. Wie geht es Ihnen?Eberhard Weber: Ich bin auf stand-by, sagen wir mal so. Die meisten wissen ja vielleicht nicht einmal, was ich habe. Ein Freund hat mir eine Kritik geschickt, in der stand, ich sei seit Jahren schwer krank. Nicht ganz korrekt ausgedrückt. Denn die Neurologen bezeichnen einen Schlaganfall ja nicht als Krankheit, sondern als Vorfall. Normalerweise ist eine Körperseite betroffen, bei mir die linke. Da hatte ich Glück im Unglück, denn bei der rechten Seite ist meist die Sprache mitbetroffen. Nun macht meine linke Hand nicht mehr richtig mit. Ich bin seit langem in Spezialbehandlung, aber es gibt eben nur kleine Fortschritte, die es mir nicht erlauben, Bass zu spielen – noch nicht. Wenn man zurück will, dahin wo man war, ist das ein so großer Schritt, wie ich immer mehr realisiere. Man möchte ja nicht unbedingt schlechter spielen, als man schon mal gespielt hat. Das ist die Problematik. Erschwerend kommt hinzu, dass meine private Krankenkasse alles Erdenkliche versucht, für von mir verauslagte Zahlungen an herausragende Physiotherapeuten, die versuchen, mich wieder spielfähig zu machen, die Rückerstattung zu umgehen. Und das obwohl man jahrelang klaglos die steigenden Beitragserhöhungen erduldet hat und Leistungen bislang kaum in Anspruch nehmen musste.JE: Weiß man, wie es zu diesem Schlaganfall kam? Anfangs war es nur eine Irritation am Fuß, oder?EW: Pro Jahr gibt es 200.000 Schlaganfälle in Deutschland. Es kann jeden treffen, auch völlig Gesunde, selbst Sportler. Ich hatte das Gefühl, da klebe ein Kaugummi unterm linken Schuh. Da war aber nichts. Ich dachte noch: Wie man sich täuschen kann! Erst Stunden später beim Soundcheck merkte ich, dass mir die Intonation nicht ganz so leicht fiel wie sonst. Seltsam, dachte ich. Ich ging dann in die Charité – der Schlaganfall geschah ja in Berlin – um nachschauen zu lassen. Aber die wollten mich gleich dabehalten, zur Beobachtung. Ich habe an dem Abend im Krankenzimmer noch alles selbst gemacht, war quasi völlig normal, habe mich ausgezogen, gewaschen und ins Bett gelegt. Erst als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich halbseitig gelähmt. Seit diesem Zeitpunkt habe ich viel gelernt über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten bei Schlaganfällen. Das Rauchen wird als Hauptgrund angesehen, gefolgt von zu hohem Blutdruck und zu viel Cholesterin. Danach gibt’s nur noch Physiotherapien.JE: Haben diese Therapien inzwischen angeschlagen?WE: Gemessen am Originalzustand hat sich enorm viel verbessert. Aber wenn man dorthin will, wo man vorher einmal war … Landläufig gelte ich als „austherapiert“, denn ich kann ja ein Glas halten, kann Kaffee einschenken, irgendwo hin gehen, ich bin autark. Ich fahre sogar Auto. Das geht bestens, weil ich einen Automatikwagen habe und das linke Bein nicht eingesetzt werden muss. Aber dass jemand wieder zurück auf die Bühne will, ist weder den Ärzten, die mich behandeln, noch den zahlreichen erfahrenen Therapeuten je untergekommen – sie haben noch nie einen Berufsmusiker behandelt. Es ist ja so, dass die Nervenleitungen zu den Muskeln vom Gehirn abgestorben sind. Die Muskeln, die wir alle automatisch seit unserer Kindheit benutzen, wissen jetzt nicht mehr, was sie tun sollen – die einen beugen, die anderen strecken und daher kommt diese Unbeweglichkeit. Da die Nerven abgestorben sind, durch zeitweilige Blutarmut im Gehirn, also Sauerstoffmangel, müssen jetzt andere Nervenstränge im Gehirn – wir haben ja genug davon – wieder das zu tun lernen, was die alten im Schlaf konnten. Genau das ist die Schwierigkeit. Und das auch noch im höheren Alter… das ist nicht so einfach.JE: Zudem geht es bei Ihnen ja um etwas mehr, als den einen Fuß wieder vor den anderen zu setzen. EW: Richtig. Da geht es um Feinmotorik. Es war ja auch mein großer Vorteil, dass ich die Töne sehr individuell gestalten konnte. Dazu braucht es ja nur Minimalst-Bewegungen im Umfang von wenigen Millimetern. Das ist vorerst natürlich alles weg. Da ist man froh, wenn man Arm und Hand überhaupt wieder Richtung Griffbrett kriegt.JE: Wie fühlt es sich gerade vor diesem Hintergrund an, einen Preis für sein Lebenswerk zu bekommen?EW: Ich fühle mich geehrt, und ich freue mich, der Preis ist ja schließlich auch mit Geld verbunden (15.000 Euro. Anm.d.Red.). Das darf man auch nicht vergessen: Seit zweieinhalb Jahren habe ich keine Konzerteinkünfte mehr. Die sind von einem Tag auf den anderen weggebrochen. Ich bin übrigens froh, dass ECM den Backkatalog – und damit auch meine frühen Aufnahmen – über all die Jahre aktiv gehalten hat. Erstaunlicherweise verkaufen sich einige der alten Platten noch immer ziemlich gut. Von „Colours Of Chloë“ von 1974 sind es 400 bis 500 Stück im Jahr, eine Zahl, über die sich manche junge Neueinsteiger bei einer Erstveröffentlichung freuen würden.JE: Gibt es überhaupt eine „Berufsunfähigkeitsversicherung“ für Musiker? Und wenn ja, hatten Sie eine abgeschlossen?EW: Natürlich nicht! Ich hatte ja nicht gedacht, dass ich mit 67 aufhöre – aufhören muss! Man setzt sich ja keine Grenze. Man denkt nur, man spielt eben so lange wie es geht und Spaß macht. Wie es alle tun. Albert Mangelsdorff hat bis zum Ende gespielt, bis er 76 war. Charlie Mariano ist neulich mit 86 gestorben. Er hat auch immer noch ein bisschen gespielt. Man hört ja nicht auf, wenn man noch etwas zu sagen hat – es sei denn, man wird dazu gezwungen. Und dann gibt es auch noch die Leute, die man als wahre Fans bezeichnen kann. Da möchte man nicht aufgeben, man sonnt sich darin. Es ist ja nicht gerade schlecht, wenn man auf die Bühne geht und die Leute jubeln. Im Moment arbeite ich auch wieder an einem neuen Projekt, bei dem ich einige unbegleitete Soli, die ich auf diversen Garbarek-Tourneen im Laufe der jeweiligen Programme gespielt habe, durch neu ausgedachte Übergänge miteinander verbinden werde. Es ist eine enorme Arbeit, aus den insgesamt 95 mir vorliegenden Aufnahmen die wirklich erhaltenswerten herauszusuchen. Rund zehn Stunden meines eigenen Gespieles gehen mitunter selbst mir auf die Nerven. Auch wenn die einzelnen Soli beim Publikum damals auf rege Zustimmung stießen…JE: Sie erhalten den Preis für Ihr Lebenswerk. Die meisten Musiker, die ich kennengelernt habe, beschäftigen sich wenig mit ihren alten Aufnahmen, mit dem, was zurückliegt. Es geht eher um die nächste Produktion, das nächste Projekt oder Konzert. Wie ist es bei Ihnen?EW: Man fängt jetzt an darüber nachzudenken, was alles war, da eben die Zukunft unsicher ist. Man weiß nicht, wann und wo es hingeht. Da fängt man an zurückzudenken: „War das nichts? War das was? Was macht das alles für einen Sinn?“ Man hört sich aber auch wieder vermehrt die Musik von anderen Leuten an. Früher hat man vieles einfach nur so hingenommen. Heute denke ich oft: „Hat denn diese Platte sein müssen? Die taugt doch gar nichts. Was machen die denn da für Mist!“ Und das ist nicht gerade selten. JE: Aber es ist auch nicht alles Mist, oder?EW: Nun gut, ich bin da etwas radikaler. Ich gebe gerne etwas Zunder in Diskussionen, damit ein bisschen was passiert. Damit auch mal etwas explodiert, Frische reinkommt. Es gibt eine Sache, die weit verbreitet ist bei Jazzmusikern: Sie fangen an zu spielen, ohne zuvor nachzudenken. Dass man sich erst mal konzentriert, sich überlegt: „Was spiele ich jetzt?“, das passiert eigentlich so gut wie nie. Wann wird zum Beispiel in anschließenden Soli auf das soeben gespielte Thema eingegangen? De facto nie! Es wird drauflos gespielt, in gnadenloser Selbstdarstellung. Es gibt für mich eine Horrorabsicht: „Ich werde ausspielen – oder ich spiele mich aus“. Was soll denn das heißen? Die Bluesform etwa wurde schon so oft angewandt, millionenfach, immer wieder dieselben Harmonieabläufe, da ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nichts Neues mehr kommt. Trotzdem wird es immer wieder gespielt. Gut, es swingt irgendwie, und darüber vergisst man dann manches, aber die Musik an sich wird heutzutage gar nicht mehr in Frage gestellt. Wenn in einem Konzert ein Saxophonist ein Solo spielt, wer fragt denn jemals: „War das Solo gut, hat er das Tempo gehalten, hat er die Harmonien korrekt bedient oder hat er vorgezogen, für eine komplizierte Harmoniefolge eine Kunstpause durch tiefes Luftholen einzulegen oder doch lieber ein Quantum Undurchschaubares aus dem reichlichen Fundus der Free-Bewegung drüberzukippen?“ Man sagt allenfalls: „Es hat mir nicht so gefallen“ oder „es war mitreißend“ oder irgend so etwas. Aber man sagt nicht: „Der hat schlecht gespielt.“ Das Wort „schlecht“ gibt es überhaupt nicht, weil im Jazz ja alles erlaubt ist. Es gibt selbstverständlich schlechte Soli, ist ja ganz klar. Warum denn auch nicht? Nur merkt es keiner. JE: War das denn früher anders?EW: Nein. Joachim-Ernst Behrendt, der deutsche Jazzpapst, der sich unglaubliche Verdienste um den Jazz erworben hat, wusste alles über Jazz, wer wann mit wem und was usw. Nur von der Musik selbst hatte er keine Ahnung, er war unmusikalisch. Das weiß nur niemand – er selbst wusste es auch nicht. Er hat sich immer auf die Meinung anderer gestützt. Viele seiner Argumente fingen an mit „Kein geringerer als Der und Der hat auch gesagt …“ Aber er war der Fachmann, und wenn er sagte, etwas sei schön, dann war es schön.JE: Sie haben in einem Interview, in Bezug auf Ihren elektro-akustischen Bass mit der zusätzlichen C-Saite, einmal gesagt: „ … dann wurde er ein Markenzeichen. Und jetzt muss ich damit leben.“ Wie ist das zu verstehen?EW: Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, das gesagt zu haben. Aber natürlich hängen sich die Leute immer an diese Sache mit dem Spezial-Bass. Was dabei sehr häufig vergessen wird: Ich bin eigentlich vom Instrument nicht so abhängig, wie man annimmt. Es stimmt schon, ich habe diesen Bass wiederentdeckt – ich habe ihn nicht entdeckt, sondern wiederentdeckt – und ich habe ihn benutzt, weil er meiner Musik und meiner Richtung sehr entgegenkam. Aber wenn man sich meine ersten sechs oder acht ECM-Platten mal anhört, oder auch nur die drei jetzt bei ECM wieder veröffentlichten „Colours“-Alben, dann wird man feststellen, dass mein Klang immer wieder anders ist – weil ich gar keinen eigenen Sound hatte. Das heißt, ich kann für mich verbuchen, dass ich es bin und nicht das Gerät. Kaum jemand weiß, dass ich auf „The Colours of Chloë“, meiner berühmtesten Platte, die im kommenden Jahr wieder herauskommen soll, nur einmal für wenige Minuten diesen Elektrobass spiele; der Rest ist Kontrabass oder sogar Bassgitarre. Aber man sagt trotzdem: „Das ist Eberhard Weber.“ Das ist eben das Fantastische daran, worauf ich auch stolz bin. Sofern ein Instrument einigermaßen spielbar ist, bleibt mein Stil erkennbar. Das ist natürlich ein ziemlicher Vorteil.JE: Hat es eine Rolle gespielt, dass Manfred Eicher, Ihr Produzent und Labelchef bei ECM, auch Bassist war?EW: Das weiß ich nicht. Die Geschichte, wie wir zusammenkamen, die mir Eicher und Garbarek unabhängig voneinander erzählt haben, ging so: Ich habe damals mit Wolfgang Dauner gespielt. Eicher und Garbarek hörten uns bei einem Konzert im „Circus Krone“ in München. Jan meinte: „Du, der Bassist scheint mir der interessanteste von denen zu sein, mit dem solltest Du mal etwas machen.“ Genau so ging das los. Ich war gerade dabei, ein paar Ideen zu sammeln, mit einem kleinen Uher-Tonband, auf dem ich kleine Fragmente aufgenommen und zusammengebastelt hatte. Gemeinsam mit meiner Frau und diesem Bandgerät zog ich dann los in das „zwei“ Quadratmeter große damalige ECM-Büro in München-Pasing – der Raum hatte etwas von Spitzweg, eine winzige Kammer. Aus diesem Treffen entstand schließlich „The Colours of Chloë“.JE: Auf diesem Album gibt es das Stück „An Evening with Vincent van Ritz“. Wer war das?EW: Wir waren mit dem Dave Pike Set in Südamerika auf Tour und stießen an einem freien Abend in Brasilien in Bahia auf ein kleines, sehr simples Strandrestaurant. Dort gab es herrliche gegrillte Fische. Alkoholselig tauften wir die primitive Kneipe „Ritz“. Es gab da jede Menge streunende Hunde, die wir mit unseren Essensresten fütterten. Einem dieser wilden Hunde fehlte ein Ohr, weshalb wir ihn nach van Gogh „Vincent“ tauften, und da es im „Ritz“ passierte, nannte ich meine Komposition „An Evening with Vincent van Ritz“. Aber als wir gegessen und den Hunden all unsere Reste verfüttert hatten, entdeckten wir hinter uns von einem Zaun abgesperrt, mehrere Kinder, die der Fütterung mit großen und hungrigen Augen zugesehen hatten. Wir bestellten natürlich unverzüglich eine weitere Riesenportion Gegrilltes und verteilten sie an die Kinder. Das war eine böse Überraschung: Wir fütterten freudig die Hunde und hinter uns hungerten die Kinder…JE: Werden Sie zur Verleihung dieses nach Albert Mangelsdorff benannten Preises nach Berlin kommen?EW: Ich werde da sein, ja, ich komme. Es gibt eine Anekdote, die ich den Leuten dort  auch erzählen werde – wenn ich mich daran erinnere, bei meiner Dankesrede, die ich ja nun ohne Frage halten muss. Ich habe zusammen mit meinem Schweizer Kollegen Reto Weber das letzte Konzert mit Albert Mangelsdorff gespielt, im Trio, in Lörrach, am 17. Dezember 2004. Ich weiß noch genau: in der Pause des Konzerts saßen wir in der Garderobe und Albert hatte gesundheitliche Probleme. Er meinte noch: „Das muss ich unbedingt nachsehen lassen.“ Ein paar Tage später wurde seine unheilbare Krankheit festgestellt, und ich glaube, fünf Monate später ist er schon gestorben. Wir haben den letzten Ton mit ihm zusammen gespielt – live!JE: Eine schöne Erinnerung.EW: Ganz bestimmt. Es war auch ein schönes Konzert. Ihm hat’s gefallen. Und es hat ihm nicht immer alles gefallen, was wir gespielt haben. Aber an diesem Abend war es der Fall. Insofern habe ich keinen Sargnagel beigesteuert…
vor 14 Jahren
Eberhard Weber