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Zum Tod von Ornette Coleman: Der Scharlatan, der sich als Genie entpuppte

Ornette Coleman
Ornette Coleman
12.06.2015
Genies haben es nicht immer leicht. Manchmal dauert es einfach länger, bis sie als solche erkannt werden. So ging es etwa Thelonious Monk. Und auch dem Altsaxophonisten Ornette Coleman. Als dieser in den späten 1950er Jahren seine ersten Alben veröffentlichte, stieß er auf überwiegend taube und unverständige Ohren: Das Jazz-Establishment schmähte ihn als Scharlatan, der Großteil der Kritiker verriss ihn und vom breiten Publikum wurde seine Musik erst gar nicht verstanden. Es sollten Jahre vergehen, bis sich dies änderte. Heute werden die frühen Alben – wie “Something Else!” (1958), “Tomorrow Is The Question!” (1959), “The Shape Of Jazz To Come” (1959) und natürlich “Free Jazz: A Collective Improvisation” (1960) – zu den einflussreichsten Jazzalben aller Zeiten gerechnet. Und einige von Colemans Kompositionen – allen voran “Lonely Woman” – sind tatsächlich in den Rang von Standards aufgestiegen.
Ornette Coleman befreite die Musik aus dem engen Korsett der Tonalität. Seine Musik, so schrieb Bad-Plus-Pianist Ethan Iverson, der Coleman als seinen “Lieblingsmelodiker” bezeichnete, basierte “stets auf Melodien von abstrakter, aber natürlicher Schönheit”. Ideale Spielpartner, die es verstanden seinen unkonventionellen musikalischen Gedankengängen zu folgen, fand er in Trompeter Don Cherry, Bassist Charlie Haden, den Schlagzeugern Ed Blackwell und Billy Higgins sowie dem Tenorsaxophonisten Dewey Redman. In den 1970er Jahren entwickelte Coleman ein System, das er “Harmolodics” nannte und in dem “Harmonie, Melodie, Geschwindigkeit, Rhythmus, Time und Phrasierung alle denselben Stellenwert” haben. Die Musik seiner harmolodischen Band Prime Time wurde auch als Free Funk gefeiert und erreichte ein Publikum, das Jazzhörer ebenso einschloss wie aufgeschlossenere Rock- und Funk-Fans. Coleman kehrte mit dieser Musik im Prinzip zu seinen Wurzeln zurück. Denn ganz am Anfang seiner Karriere hatte er viel in Rhythm’n’Blues-Bands gespielt.
Für sein letztes Album “Sound Grammar” erhielt Ornette Coleman 2007 den Pulitzer Prize. Im selben Jahr wurde er für sein Lebenswerk auch mit dem Grammy Lifetime Achievement Award ausgezeichnet. Als Scharlatan bezeichnete ihn nun niemand mehr. Jetzt ist der Altsaxophonist am 11. Juni im Alter von 85 Jahren in New York einem Herzinfarkt erlegen, auf den Tag genau elf Monate nach seinem alten Free-Jazz-Mitstreiter Charlie Haden.