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Zufallsikone der Bossa Nova – zum Tod von Astrud Gilberto

Im Alter von 83 Jahren ist am 5. Juni in Philadelphia die brasilianische Sängerin Astrud Gilberto gestorben. Während sie im Ausland das Gesicht der Bossa Nova war, blieb sie in Brasilien vergleichsweise unbekannt.
Astrud Gilberto
Astrud Gilberto
06.06.2023
Dass Astrud Gilberto 1964 durch den immensen Erfolg von “The Girl From Ipanema” zur weltweiten Ikone der Bossa Nova aufstieg, ist eigentlich nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Denn bevor sie am 19. März 1963 mit ihrem damaligen Ehemann João Gilberto, Antônio Carlos Jobim und Stan Getz in ein New Yorker Studio ging, um dort die englischsprachigen Versionen von “Garota de Ipanema” und “Corcovado” aufzunehmen, hatte sie als Sängerin tatsächlich kaum Erfahrungen vorzuweisen. Nur einmal zuvor hatte sich die unter Lampenfieber leidende junge Brasilianerin 1960 bei einem Festival in Rio auf eine große Bühne getraut und vor 3.000 Leuten gesungen. Ansonsten war sie bloß ab und zu in den halbprivaten Bossa-Zirkeln von Rio vor einem kleinem Publikum aus Freunden und Bekannten aufgetreten. 
Insofern reagierte die von Natur aus scheue Astrud zunächst auch sehr zögerlich, als Stan Getz und Produzent Creed Taylor sie an jenem denkwürdigen Tag im März 1963 aus heiterem Himmel vors Mikrophon holen wollten. Der Rest ist Geschichte. Das Album “Getz/Gilberto” und vor allem der Ohrwurm-Hit “The Girl From Ipanema” machten die Bossa und Astruds sanfte, manchmal fast in Trance scheinende Stimme in der ganzen Welt bekannt. Bei der Grammy-Verleihung 1965 wurden Astrud Gilberto und Stan Getz für “The Girl From Ipanema” mit dem Preis für die beste Aufnahme des Jahres ausgezeichnet. Darüber hinaus wurde das Album ”Getz/Gilberto” mit drei Grammys prämiert, u.a. mit dem für das Album des Jahres. Für Astrud Gilberto selbst war es zudem der Startpunkt für ihre Solokarriere.
Zwischen 1965 und 1971 nahm Gilberto unter der Obhut von Creed Taylor neun Alben für Verve Records und eines für CTI auf, darunter ihr vielgelobtes Debüt “The Astrud Gilberto Album”, “The Shadow Of Your Smile”, “Look To The Rainbow”, “Beach Samba” und “A Certain Smile, A Certain Sadness”. Auf ihnen interpretierte sie nicht nur Bossas und Sambas, sondern auch Jazzstandards und zeitgenössische Popsongs. Zur Seite standen ihr dabei Instrumentalgrößen wie Pianist Tom Jobim, Tenorsaxofonist Stanley Turrentine und Organist Walter Wanderley sowie die Meisterarrangeure Gil Evans, Claus Ogerman, Marty Paich, Eumir Deodato und Don Sebesky. Gilberto nahm den Titelsong einer von Quincy Jones komponierten Thriller-Filmmusik auf und war auch in „fernen Ländern“ ein Gesangsstar: sie nahm Alben in japanischer und italienischer Sprache auf, in Italien war sie sogar auf einer von Ennio Morricone komponierten Filmmusik zu hören.  
In den 1980er Jahren wurden Astrud Gilbertos Plattenaufnahmen sporadischer, obwohl sie mit Paolo Jobim, dem Sohn von Antônio Carlos Jobim, und seiner Band hervorragende musikalische Mitstreiter gefunden hatte. In Deutschland war Gilberto noch immer sehr populär, dort nahm sie 1986 ein Album mit dem Bandleader James Last auf und trat in der ZDF-Show „Jazz Club“ auf, die ihr eine ganze Sendung widmete. Aber auch international war der Klang ihres Namens ungebrochen, was sich darin zeigte, dass Künstler wie George Michael und Michael Franks sie zu Gastbeiträgen auf ihren Alben einluden. 2002 veröffentlichte sie mit “Jungle” ihr allerletztes Album und zog sich danach ganz aus der Musikwelt zurück. Jetzt ist Astrud Gilberto am 5. Juni im Alter von 83 Jahren in Philadelphia gestorben. 
Eine zartbittere Note erhielt Astrud Gilbertos Karriere dadurch, dass sie in ihrem Geburtsland Brasilien zeitlebens nie die Anerkennung fand, die ihr im Rest der Welt entgegengebracht wurde. Nachdem sie João Gilberto 1963 in die USA gefolgt war und sich dort dauerhaft niedergelassen hatte, kehrte sie nur einmal 1965 zu einem einzigen Auftritt in São Paulo nach Brasilien zurück. Während sie nun in der Weltpresse in Nachrufen als die Ikone der Bossa Nova gefeiert wird und ihr Name für viele Fans ein Synonym für das von ihr besungene “Girl from Ipanema” ist (obwohl Tom Jobim und Vinícius de Moraes zu dem Lied durch eine ganz andere Frau inspiriert worden waren), zucken die meisten Menschen in Brasilien heute schlichtweg fragend mit den Schultern, wenn der Name Astrud Gilberto fällt.