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Reisen bildet: musikalische Weltenbummler aus der Schweiz

Auf “Travelin'” kanalisiert der Schweizer Bassist Heiri Känzig mit den musikalisch weitgereisten Mitgliedern seines gleichnamigen Ensembles zahlreiche Einflüsse aus aller Welt.
Heiri Känzig - Travelin'
Heiri Känzig - Travelin'
14.10.2021

Das Album auf CD finden Sie in unserem JazzEcho-Store

Seine Mutter ist Argentinierin, sein Vater Schweizer. Zur Welt gekommen ist Heiri Känzig aber 1957 im globalen Melting Pot New York. Wen wundert’s da noch, dass auch sein Musikerleben seit jeher von einer Weltoffenheit und kreativen Rastlosigkeit geprägt ist, die ihn immer wieder aufs Neue stilistische Grenzen aufweichen lässt? Känzigs neues Album “Travelin’” ist eine Art Zwischenbilanz seiner vor mehr als 40 Jahren begonnenen Reise durch das Musikuniversum. Seine Kompositionen zeigen, dass er es versteht, sich in die unterschiedlichsten Idiome hineinzuversetzen, während er als Instrumentalist am Kontrabass ungemein agil, gelegentlich sehr groovig und oft virtuos ist.
Als Mitreisende begleiten den Schweizer Bassisten drei Landsmänner (Trompeter Matthieu Michel, Pianist Marc Méan und Schlagzeuger Lionel Friedli) und eine Landsfrau (Vokalistin Veronika Stalder) sowie der tunesische Oud-Spieler Amine M’raihi, der hier keineswegs als weltmusikalisches Feigenblatt herhalten muss. Denn weitgereist und stilistisch vielseitig veranlagt sind alle Mitglieder dieses Ensembles. Veronika Stalder, die ihre erstaunliche Stimme auf “Travelin’” fast ausschließlich klangmalerisch einsetzt, glänzte zum Beispiel schon in Valeri Tolstois Authentic Light Orchestra mit faszinierenden Interpretationen armenischer Folklore, mit ihrem eigenen afrikanisch eingefärbten Projekt Ndingo und an der Seite des armenisch-amerikanischen System of a Down-Sängers Serj Tankian. Trompeter Matthieu Michel kennt man unter anderem von seinen Zusammenarbeiten mit Elina Duni, Richard Galliano und Joachim Kühn, während Amine M’raihi gemeinsam mit seinem Bruder Hamza nicht nur die diversen Formen arabischer Musik, sondern auch Jazz, Flamenco, indische und persische Musik erkundet hat.
Heiri Känzig selbst begann seine professionelle Laufbahn 1978 in der Urbesetzung von Mathias Rüeggs famosem Vienna Art Orchestra und war später das erste nicht-französische Mitglied im renommierten französischen Orchestre National de Jazz. Inzwischen hat er auf über 130 Alben und bei zahllosen Konzerten mit Jazzberühmtheiten wie John Scofield, Charlie Mariano, Kenny Wheeler, Art Farmer, Johnny Griffin, Billy Cobham, Ralph Towner, Betty Carter und Billy Hart gespielt, aber auch mit Andreas Vollenweider, Dieter Meier von Yello und – kaum zu fassen! – sogar Nena sowie natürlich mit Musikern und Musikerinnen aus allen erdenklichen Erdteilen. Darüber hinaus mischt er die Szene mehrfach mit dem originellen alpenländischen Trio Depart auf.
Der Name des Ensembles und der Albumtitel sind hier zugleich Programm. Denn die sehr fantasievolle und musikalisch enorm abwechslungsreiche Reise führt die Hörer/innen vom Nahen Osten (“Travelin’”) über Südamerika (“Nostalgia”), Kenia (“Nighttime In Mombasa”), die Türkei (“Cloudy Bosphorus”) und den Maghreb (“Distant Traveller”) an eine Reihe weniger spezifische oder gar imaginäre Orte. Bis das Ensemble mit dem traditionellen Jodellied “Wenn min Schatz go fuettere goht” (das einst schon Depart im Programm hatte) schließlich in der heimischen Schweiz landet. Wen nach diesem wunderbaren Album nicht selbst das Fernweh überkommt, dem ist wohl nicht zu helfen.