Sich einen Namen zu machen versuchen viele. Doch was, wenn man schon als Columbus Calvin Pearson auf die Welt kommt? Pearson vereinte die besten Eigenschaften seiner Namensvetter, sei es das Entdeckertum eines Christoph Kolumbus oder den Reformationsdrang eines Johannes Calvin. Als sein jazzliebender Onkel ihm in Verehrung des großen Ellington auch noch einen adäquaten Spitznamen verpasste, stand einer Musikerkarriere nichts mehr im Wege. Pearson wurde in New York schnell zum bevorzugten Pianisten Donald Byrds und knüpfte dadurch Kontakte zum legendären Blue-Note-Label. Als dort 1963 der Posten des A&R-Mannes vakant wurde, griff Pearson zu – und bestimmte als Produzent fortan den Hard-Bop-Sound des Labels mit. Nicht selten ging Pearson aber auch als Pianist und Bandleader selbst ins Studio und nahm Alben wie “Tender Feelin’s” und “The Right Touch” auf, die inzwischen im Blue-Note-Katalog ihren festen Platz haben. Sieben seltenere Alben, die bislang nicht wiederveröffentlicht wurden, kann man jetzt als frisch remasterte Digital-only-Releases wiederentdecken und feststellen, dass der Mann völlig zu Recht einen großen Namen trug!
Wahoo! (1965)
Bereits 1959 hatte Pearson mit “Profile” und “Tender Feelin’s” zwei Trio-Alben für Blue Note eingespielt, doch erst “Wahoo!” brachte seine Solokarriere richtig in Fahrt. Aufgenommen an einem diesigen Novembertag, präsentierte das Album Pearson als vollendeten Komponisten und Pianisten, der mit ausladenden Chorussen und flinken Phrasierungen umzugehen wusste. Die stürmische Uptempo-Nummer “Amanda” gibt die Richtung vor, das breit angelegte “Bedouin” atmet kontemplativen Charme, während “Farewell Machelle” durch seine schiere Romantik betört. Chromatische Momente offenbart der Titelsong, für “ESP (Extrasensory Perception)” ist ebenfalls gesorgt und die anfeuernde Bebop-Anleihe “Fly Little Bird Fly” aus der Feder Donald Byrds – der hier neben James Spaulding und Joe Henderson zu den exzellenten Sidemen gehört – rundet das Vergnügen ab.
Sweet Honey Bee (1966)
Vielleicht lag es am feschen Covergirl – Pearsons damalige Verlobte Betty zierte die Front – dass “Sweet Honey Bee” frecher und aufmüpfiger denn je klang. Lässt es der Titeltrack noch eher gemütlich angehen, forciert “Sudel” bereits das Tempo; beachtlich Freddie Hubbards neckische Trompetenkaskaden. Abwechslung bleibt Prinzip, geht doch “After The Rain” genau wie “Gaslight” mit den Gedanken in Klausur. Der freche Moll-Bop “Big Bertha” hat wie das rhythmisch vertrackte “Empathy” große Klasse und “Ready Rudy?” dürfte es in Richtung des Regieraumes der van Gelder-Studios öfter geheißen haben. Man halte es mit dem britischen Schriftsteller David Mitchell, in dessen Roman “Chaos” ein japanischer Schallplattenverkäufer das Mädchen seiner Träume so beschreibt: “Kennen sie Duke Pearsons ‚After The Rain‘? Sie ist genauso rein und schön wie dieser Song”.
Introducing Duke Pearson’s Big Band (1968)
Auf “Introducing Duke Pearson’s Big Band” konnte sich Pearson zur Abwechslung mal als Orchesterarrangeur beweisen. Getragen von einem wundervollen Line-Up, für das sich u.a. Randy Brecker, Pepper Adams und Frank Foster einfanden, entstand eine Neufassung von “Bedouin”, aber auch Adaptionen bekannter Standards (“A Taste of Honey” und “Time After Time”); mit “Straight Up and Down” ist gar eine frühe Chick-Corea-Komposition vertreten. Konnte eine Melodie auch simpel sein, Pearson bearbeitete stets unkonventionell. Dass DJs dieses Album später auf dem Zettel hatten, dokumentierten auch De La Soul, die sich für “Long Island Wildin’” bei “Ground Hog” bedienten. Notiz am Rande: als sein Spitznamenspate Duke Ellington 1974 starb, arrangierte Pearson das große Gedenkkonzert zu Ehren der Big-Band-Legende – Duke’s Tribute To Duke!
The Phantom (1968)
Entfachte einst eine Tournee mit Nancy Wilson Pearsons Begeisterung für lateinamerikanische Klänge, ging er gegen Ende 1960er Jahre dazu über, auch auf seinen eigenen Alben verstärkt die Kombination von Post-Bop und durch Percussion getriebene Samba-Anleihen zu suchen. Einen ersten Höhepunkt stellte “The Phantom” dar, wo dem bewährten Gespann aus Bassist Bob Cranshaw und Schlagzeuger Mickey Roker eine zusätzliche Rhythmusgruppe unter die Arme griff. Zeigen sich die Komposition auch stets low key, so beweist “Los Ojos Alegres (The Happy Eyes)” eine hintergründige Fröhlichkeit, während “Say You’re Mine” starke, in sich gekehrte Momente aufweist. Bemerkenswert ist, neben Bobby Hutcherson am Vibraphon, Jerry Dodgions singend-klagende Querflöte, deren galante Beschwingtheit in “The Moana Surf” aufblitzt.
How Insensitive (1969)
Auch wenn der Bossa-Boom längt vorüber war, stellte dieses Album doch eine Wegmarke in Pearsons Schaffen dar: erstmals fanden sich mehr Fremd- als Eigenkompositionen auf dem Longplayer, mit einer Adaption von “Cristo Redentor” – neben “Jeannine” der größte Hit in Pearsons Werkverzeichnis – erregte der Komponist allerdings nochmals Aufsehen. Gepaart mit einem als “The New York Group Singers' Big Band” firmierenden Chor, flirtete Pearson etwas mit dem Kommerz, ließ die herausragende Sängerin Flora Purim direkt nach einer großen Europatournee mit Stan Getz ins Studio kommen und adaptierte Werke von Gershwin, Jobim oder Deodato. Die Kritiker hielten “How Insensitive” zuviel Gefälligkeit vor, doch das Publikum honorierte die Schallplatte mit wohlwollendem Fußwippen – selten gingen Klasse und Masse so sehr Hand in Hand wie bei Duke Pearson und seinen Brasilienträumen.
It Could Only Happen With You (1974)
Auch bei Blue Note änderten sich die Zeiten: Alfred Lion setzte sich 1967 zur Ruhe und verkaufte das Label an Liberty Records, sein Bruder Francis starb 1971. Nach dessen Tod kündigte Pearson und ging zurück in seine Heimat, wo er eine Professur antrat und sein umfassendes Wissen weitergab. “It Could Only Happen With You” erschien erst mit einiger Verspätung, handelte es sich doch um Aufnahmesitzungen, die bereits 1970 stattfanden. Melodien von Milton Nascimento, Antônio Carlos Jobim oder Kurt Weill transformierte Pearson in seinen bewährten Kontext aus südländischer Percussiongruppe und sensiblem Soul-Jazz, garnierte mit laszivem Pop und gewürzt mit beschwingter Bossa Nova. Wer je Flora Purims hoffnungsvolle Interpretation des Klassikers “Stormy” gehört hat, der wird auch stets an eine neue Liebe glauben – vielleicht erst recht, wenn er diese Musik dazu spielen lässt.
I Don’t Care Who Knows It (1996)
Fast hätte es der Albumtitel “I Don’t Care Who Knows It” noch zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung gebracht, denn diese Kopplung von bereits 1968 – 1970 entstandenem Material erschien erst Jahre nach Pearsons viel zu frühem Tod. Die in drei verschiedenen Sessions eingespielten Titel sind ein abschließender Beleg für die wendungsreichen Bearbeitungen, die den Pearson-Sound so einzigartig machten. Ob Krzysztof Komedas faszinierendes “Theme from Rosemary’s Baby” oder Edu Lobos weltbekanntes, durch Flora Purim veredeltes “Upa, Neguinho” – ein stimmungsvolles Werk wie Pearsons “Bloos” oder Baden Powells “Canto Ossanha” – straighter Hard-Bop oder schmeichelnd, funkige Grooves.