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Nicht zu fassen – Charlie Hunter, der Houdini der Jazzgitarristen

21.07.2016
Haben Sie je versucht, einen Pudding an die Wand zu nageln? Wenn ja, dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie es ist, den Gitarristen Charlie Hunter stilistisch einordnen zu wollen. Kaum meint man, dass man dies endlich geschafft hätte, schwups… flutscht er einem wieder durch die Finger und überrascht einen mit ganz anderen Sounds und Stilmixen. So treibt er es sehr erfolgreich schon seit Beginn seiner Karriere vor rund 25 Jahren. Auch auf seinem neuen Album “Everybody Has A Plan Until They Get Punched In The Mouth”, benannt nach einem Ausspruch des Schwergewichtsboxers Mike Tyson, spielt er mit einem stilistisch erneut Katz und Maus. Es ist das erste Album des Gitarristen auf GroundUP, dem Label der jungen amerikanischen Super-Jazzband Snarky Puppy. Charlie Hunter war einer der Gaststars auf Snarky Puppys Album “Family Dinner Vol. 2” und man kam so gut miteinander aus, dass man Hunter und sein Quartett sofort unter Vertrag nahm.
“Meine Idee war es, ein Bluesalbum zu machen”, sagt Hunter. “Die Stücke basieren nicht auf Jazzharmonien, sondern auf puren Blues- und R&B-Improvisationen. Alles wurde live mit allen Musikern im selben Raum eingespielt. Es gibt keine Overdubs, es wurde höchstenfalls mal eine Note nachediert.” Sein neues Quartett besetzte der Gitarrist mit zwei bereits bewährten Partnern, Posaunist Curtis Fowlkes (Lounge Lizards, Jazz Passengers)  und Schlagzeuger Bobby Previte (The President, Tom Waits, The Coalition Of The Willing), sowie mit dem Kornettisten Kirk Knuffke, dessen Phrasierung den Geist des großen Lester Bowie atmet. Gemeinsam mit ihnen stellte Hunter auf dem Album zehn originelle neue und oft mit reichlich Humor gespickte Songs vor, die ihre Wurzeln zwar im Blues und Rhythm’n’Blues haben, aber auch von Jazz, Rock und Latin beeinflusst sind.
Seinen stilistischen Zickzack-Kurs schlug Hunter, der während seiner High-School-Zeit in Berkeley/Kalifornien Gitarrenstunden bei dem Rock-Halbgott Joe Satriani genommen hatte, schon früh ein. Seine eigentlichen Vorbilder waren die Jazzlegende Joe Pass und Tuck Andress (vom Duo Tuck & Patti), zwei Gitarristen, die es geschafft hatten, auf herkömmlichen sechssaitigen Instrumenten auch Basslinien in ihr Spiel zu integrieren. Hunter ging noch weiter und ließ sich spezielle Gitarren mit zusätzlichen Saiten anfertigen, die ihm ermöglichten gleichzeitig als Gitarrist und Bassist zu fungieren. Mit Hilfe eines Effektgerätes schafft er es außerdem, manchmal wie ein Hammond-Organist zu klingen.
Erste Aufmerksamkeit erregte er 1992, als er dem Industrial-Hip-Hop der Disposable Heroes Of Hiphoprisy (Michael Franti und Rono Tse) auf dem revolutionären Album “Hypocrisy Is The Greatest Luxury” eine gewaltige Portion soul-jazziges Flair verlieh. Seine Aufgeschlossenheit gegenüber Stilen außerhalb des Jazzspektrums wahrte er sich auch danach, wie spätere Aufnahmen mit Frantis Spearhead, Zap Mama, D’Angelo, den Reggae-Legenden Earl “Chinna” Smith und Ernest Ranglin, John Mayer und Frank Ocean beweisen. 1993 legte Hunter ein erstes eigenes Album vor, mit dem er das Interesse von Produzent Lee Townshend und dem Label Blue Note weckte, für das er bis 2001 sieben von der Kritik gefeierte Alben einspielte. Den größten Erfolg verzeichnete er 1997 mit dem Album “Natty Dread”, auf dem er in atemberaubender Weise das gesamte gleichnamige Album von Bob Marley neu interpretierte. Nebenher fand Charlie Hunter auch noch Zeit in zwei bahnbrechenden Bands der 1990er Jahre tonangebend mitzuwirken: mit T.J. Kirk spielte er eine kuriose Mischung aus Songs von Thelonious Monk, James Brown und Rahsaan Roland Kirk und mit Garage A Trois eine gewagte Melange aus Rock, Funk und Jazz.