Various Artists | News | Nachruf auf Howard Johnson - der Mann, der der Tuba ein modernes Image verpasste

Nachruf auf Howard Johnson – der Mann, der der Tuba ein modernes Image verpasste

Nach langer Krankheit ist am 11. Januar der Multiinstrumentalist Howard Johnson gestorben, der auf Hunderten von Alben quer durch alle Stile vor allem als Tubist und Baritonsaxophonist glänzte.
Howard Johnson & Gravity - Gravity!!!
Howard Johnson & Gravity - Gravity!!!
19.01.2021
Wer die Tuba immer noch für ein antiquiertes, schwerfälliges Instrument hält und lediglich mit frühem New-Orleans-Jazz, Brass Bands und volkstümlichen Blaskapellen assoziiert, hat offenbar nie den großartigen Howard Johnson gehört. Dafür aber müsste man eigentlich die Entwicklung des Jazz und der Popularmusik der vergangenen 60 Jahre nahezu komplett verschlafen haben. Denn in diesem Zeitraum hat Howard Johnson mit seiner Tuba (aber auch einem Arsenal anderer Blech- und Holzblasinstrumente) die großen Stars der verschiedensten Genres begleitet. Blueser wie Taj Mahal, B.B. King, Muddy Waters oder Paul Butterfield, Soul- und Rhythm’n’Blues-Künstler wie Marvin Gaye und Gladys Knight & the Pips, die Reaggae-Ikone Peter Tosh und Popmusiker wie John Lennon, Harry Belafonte, James Taylor, The Band, David Byrne und Joss Stone. Von seinen unzähligen Aufnahmen mit Jazzlegenden wie Charles Mingus, Miles Davis, Dizzy Gillespie, Dexter Gordon, Gil Evans, Quincy Jones, Carla Bley und Jaco Pastorius ganz zu schweigen. In all den Jahrzehnten, die er (hyper)aktiv war, ging es dem bescheidenen Musiker nie um seine eigene Berühmtheit, sondern vielmehr darum, den beiden Instrumenten, die er über alles liebte, breiteres Gehör zu verschaffen: der Tuba und dem Baritonsaxofon.
Howard Lewis Johnson war am 7. August 1941 in Montgomery/Alabama zur Welt gekommen, wuchs aber in einer Kleinstadt in Ohio auf. Mit elf Jahren begann er, sich selbst das Spielen auf dem Baritonsaxophon und der Tuba beizubringen, um in seiner Schulband mitmachen zu können. Später erweiterte er sein Instrumentenarsenal noch um Altsax, Euphonium, die gesamte Klarinettenfamilie, diverse Flöten, Trompete, Flügelhorn und Posaune. Bei Studiosessions konnte er so gleich eine ganze Hornsection alleine einspielen. Seine professionelle Laufbahn begann Johnson Anfang der 1960er Jahre in New York, wo er mit Charles Mingus, Hank Crawford und Archie Shepp arbeitete. 1966 begann er seine Kooperation mit dem Bandleader Gil Evans, die – mit einigen Pausen – insgesamt zwanzig Jahre anhalten sollte. In den 1960ern gründete er mit drei anderen Tubisten seine erste eigene Band Substructure, die Taj Mahal 1971 auf dem Live-Doppelalbum “The Real Thing “ begleitete. Mit Tuba Libre und Gravity unterhielt Johnson in den 1970ern dann zwei weitere Tuba-lastige Bands.
Doch erst 1994 war es ihm vergönnt, mit einer neuen Band namens Nubia sein erstes Album unter eigenem Namen einzuspielen: “Arrival – A Pharoah Sanders Tribute”. Unter der Regie des New Yorker Produzenten Brian Bacchus spielte Johnson mit afrikanischen und deutschen Musikern eine aufregend soulige Hommage an Pharoah Sanders ein. 1995 folgte dann mit “Gravity!!!” endlich das erste Album seiner Band Gravity, die inzwischen mit neun (!!!) Tubaspielern und einer exzellenten Rhythmusgruppe besetzt war. Das Album wurde prompt mit dem Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Auf “Right Now” gab es 1998 eine unverhoffte Reunion mit Taj Mahal, der sich für drei Nummern zu Gravity gesellte. Alle drei Alben sind auf physischen Tonträgern zwar schon seit langem vergriffen, aber seit ein paar Jahren als eAlben erhältlich. Sein drittes und leider auch letztes Album mit Gravity spielte Howard Johnson 2017 unter dem Titel “Testimony” ein. Danach erschwerten ihm gesundheitliche Probleme immer mehr die Arbeit. Jetzt ist Howard Johnson  am 11. Januar nach langer Krankheit im Alter von 79 Jahren in New York verstorben. Sein kreativer Geist, sein Enthusiasmus für die Tuba und sein musikalisches Erbe wird aber durch jüngere Tuba-Virtuosen, die er inspiriert und oft gefördert hat, noch lange weiterleben.