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Musikalischer Globetrotter – zum Tod von Didier Lockwood

Eine Woche nach seinem 62. Geburtstag erlag der französische Geiger Didier Lockwood am 18. Februar in Paris überraschend einem Herzinfarkt.
Didier Lockwood
Didier LockwoodUniversal Music France
21.02.2018
Didier Lockwood war ein Star des Jazz, ein charismatischer Musiker und vor allem ein Geigenvirtuose”, schrieb Frédéric Goaty, der Chefredakteur des französischen Jazz Magazine, in seinem Nachruf auf den am Sonntagmorgen verstorbenen Musiker. “Ihm schien einfach alles, was er spielte, leicht, anmutig, strahlend und wie selbstverständlich von der Hand zu gehen.” Und dieses “alles” umfasste bei Lockwood nicht nur Swing, Bebop, Hard-Bop, Fusion und diverse andere Jazzstile. Denn obwohl er in die Annalen der Musik vor allem als Jazzgeiger eingegangen ist, spielte er im Laufe seiner Karriere mit ebensolcher Leidenschaft und Finesse auch Rock, Klassik, Chansons und – mit Musikern etwa aus Indien, Afrika oder Südamerika – das, was man gemeinhin Weltmusik nennt.
Lockwood wurde am 11. Februar 1956 als Sohn eines Geigenprofessors in Calais geboren und nahm mit sechs Jahren das erste Mal selbst eine Violine in die Hand. Den englisch klingenden Nachnamen verdankte er den Vorfahren seines Vaters, die im 19. Jahrhundert aus den britischen West Midlands nach Frankreich ausgewandert waren. Am Konservatorium von Calais, an dem sein Vater lehrte, durchlief Didier zunächst eine klassische Ausbildung. Doch schon bald brachte ihn sein vier Jahre älterer Bruder Francis, selbst ein profilierter Pianist und Keyboarder, auf andere musikalische Ideen. Durch ihn fand er als Teenager in den frühen 1970ern zum Jazz- und Bluesrock.
1972 gründete er mit Francis seine erste eigene Jazzrockband namens Visitors. Zwei Jahre später gingen die beiden Brüder nach Paris, wo Didier eigentlich am Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse ein Studium der klassischen Violine absolvieren wollte. Stattdessen wurden Francis und er Mitglieder von Christian Vanders legendärer Jazzrockband Magma. Während sein Bruder schon nach kurzer Zeit wieder ausstieg, blieb Didier dabei, bis er 1976 seine eigene Band Surya ins Leben rief.
Noch im selben Jahre lernte er bei einem Festival den großen Stéphane Grappelli kennen und beschloss nach der Begegnung, sich endgültig auf den Jazz zu konzentrieren. Inspiration bezog er in dieser Zeit auch aus der Musik seines Instrumentalkollegen Jean-Luc Ponty und des Saxophonisten John Coltrane. Ein weiterer großer Einfluss war der zehn Jahre ältere polnische Geigenvirtuose Zbigniew Seifert.
Wie es der Zufall wollte, starb Seifert im Alter von nur 32 Jahren just fünf Tage, bevor Didier Lockwood in ein Stuttgarter Tonstudio ging, um dort sein erstes, von Joachim-Ernst Berendt produziertes Soloalbum “New World” mit Tony Williams, Niels-Henning Ørsted-Pedersen und Gordon Beck einzuspielen. Veröffentlicht wurde “New World” – wie auch die beiden Nachfolgealben “Live In Montreux” (1980) und “Fasten Seat Belts” (1981) – von dem deutschen MPS-Label. Noch im selben Jahr erschien auch das Album “Downwind”, ein später Klassiker des Jazzrock von Pierre Moerlens Band Gong. Lockwood spielte darauf Seite an Seite mit Rolling-Stones-Gitarrist Mick Taylor, Mike Oldfield und Steve Winwood.
Bis Mitte der 80er Jahre schwamm Lockwood auf einer Erfolgswelle, dann geriet er international ein wenig aus dem Blickfeld. Erst ab 1996 machte er durch Alben mit exzellenten Partnern wie Mike Stern, Dave Holland, Peter Erskine, Dave Liebman, David Kikowski, Joey DeFrancesco, Steve Gadd, James Genus und Steve Wilson wieder auf sich aufmerksam. Begeisterte Kritiken erhielt Lockwood auch für sein 2000 erschienenes Album “Tribute To Stéphane Grappelli”, auf dem ihn Biréli Lagrène und einmal mehr Niels-Henning Ørsted-Pedersen begleiteten. 2003 veröffentlichte er zum 30-jährigen Jubiläum seiner professionellen Laufbahn das Doppelalbum “Globe-Trotter”, auf dem er seine stilistische Vielseitigkeit noch einmal hervorragend demonstrierte. Danach wandte sich Lockwood, der erst mit der lyrischen Sopranistin Caroline Casadeus und seit 2015 mit der Koloratursopransängerin Patricia Petibon verheiratet war, bei seinen Aufnahmen verstärkt der klassischen Musik zu. Aber dem Jazz blieb er trotzdem geradezu buchstäblich bis zu seiner letzten Stunde treu: noch am Vorabend seines Todes gab Didier Lockwood ein letztes Konzert im Pariser Club Bal Blomet, bei dem er mit dem moldawischen Violinisten Sanya Kroïtor musikalisch eine Brücke zwischen Jazz und Klezmer schlug.
Viele Alben von Didier Lockwood sind heute leider nicht mehr auf CD oder LP lieferbar, aber auf digitalen Plattformen wie Spotify gibt es neben den diversen Einspielungen, die er für die Labels JMS, Dreyfus Music und MPS gemacht hat, auch drei aktuellere Veröffentlichungen zu hören: “Globe-Trotter” von 2003, mit u.a. Organist/Pianist Benoît Sourisse, Saxophonist Stéphane Guillaume und Trompeter David Enhco,  “Les Mouettes”  von 2005, mit Evgeny Shestakov und dem Philharmonischen Orchester von Omsk, sowie  “Waltz Club” von 2006, mit Akkordeonist Marcel Azzola, Gitarrist Martin Taylor und Bassist Jean-Philippe Viret.
Empfehlenswert ist auch eine Dokumentation über den Künstler die derzeit auf der Arte-Webpage zu sehen ist.