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Mit Vergnügen aus der Reihe getanzt – ein Nachruf auf Nat Hentoff

Nat Henthoff
Nat Henthoff
13.01.2017
“Verheddere dich nicht in Kategorien”, riet Duke Ellington in den frühen 1940er Jahren einem grünschnäbligen, aber aufstrebenden Jazzkritiker. Der junge Mann, der auf den Namen Nat Hentoff hörte, nahm sich diesen und andere Ratschläge Ellingtons zu Herzen und bewahrte sich bis ins hohe Alter hinein stets ein offenes Ohr fernab aller Kategorien. Binnen weniger Jahre etablierte Hentoff einen neuen Schreibstil im Jazzjournalismus: statt sich wie die Mehrheit seiner Kollegen in technischen Analysen und blumiger Prosa zu ergehen, gab er in seinen Texten und Radiosendungen die vielen Erkenntnisse weiter, die er durch zwanglose Unterhaltungen mit Musikern gewann, die oftmals seine Freunde waren.
Obwohl er Hunderte von Hüllentexten für Jazzalben schrieb (darunter für Miles Davis' “Sketches Of Spain”, John Coltranes “Giant Steps” und Herbie Hancocks “Speak Like A Child”, aber auch die ersten beiden Alben von Bob Dylan) war Nat Hentoff stets mehr als nur ein Jazzkritiker. Bereits als Teenager hatte der 1925 in Boston geborene Hentoff für den Boston City Reporter über antisemitische Hassgruppen berichtet. Mit derselben Leidenschaft, mit der er sich sein Leben lang dem Jazz und anderer Musik hingab, widmete er sich auch allen Fragen der Erziehungs- und Sozialpolitik sowie vor allem der Verteidigung des 1. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten (der u.a. die Meinungs-, Religions-, Presse- und Versammlungsfreiheit garantiert).
Über Jahrzehnte hinweg war Hentoff eine der journalistischen Galionsfiguren der Village Voice, schrieb aber auch für DownBeat, die New York Times, die Washington Post, die JazzTimes und unzählige andere Publikationen. Als A&R-Chef für Candid Records produzierte er in den frühen 1960ern außerdem Alben von Charles Mingus, Cecil Taylor und Abbey Lincoln sowie Max Roachs Klassiker “We Insist! Freedom Now Suite”. 2004 wurde er vom National Endowment for the Arts, der einzigen staatliche Kulturfördereinrichtung der USA, für seine Lebensleistung als erster Jazzjournalist zum NEA Jazz Master geadelt. Ein wunderbares Porträt Nat Hentoffs lieferte 2013 der Dokumentarfilm “The Pleasures of Being Out of Step”. Der Titel – zu Deutsch: “Das Vergnügen, aus der Reihe zu tanzen” – hätte kaum treffender ausfallen können.
Am 7. Januar 2017 ist Nat Hentoff, wie sein Sohn per Twitter mitteilte, umgeben von seiner Familie und Billie Holiday hörend, im Alter von 91 Jahren verstorben. Der Jazzwelt wird er durch seine unzähligen Begleittexte für Alben und Bücher wie “Hear Me Talkin' To Ya”, “The Jazz Life” und “Journey Into Jazz” sowie seine beiden Memoiren “Boston Boy: Growing Up With Jazz and Other Rebellious Passions” und “Speaking Freely: A Memoir” aber wahrscheinlich ewig erhalten bleiben.