Packt eure Koffer, ihr werdet zur Oscar-Verleihung fahren”, raunte Martin Scorsese noch während der Dreharbeiten von “Round Midnight” Dexter Gordons Frau Maxine zu. Die schauspielerische Leistung des Saxophonisten hatte den US-Regisseuer, der selbst in dem Film von Bertrand Tavernier auftrat, so sehr beeindruckt, dass er sie mit der von Robert DeNiro in seinem Boxerdrama “Raging Bull” (deutscher Titel: “Wie ein wilder Stier”) verglich. Scorsese sollte Recht behalten: Gordon wurde tatsächlich für einen Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert und zur Verleihung eingeladen. Auch wenn er sich dort dann Paul Newman geschlagen geben musste. Ein Sieg wäre aber auch eine wirkliche Riesensensation gewesen, da bis dahin lediglich ein schwarzer Schauspieler den Oscar in dieser Kategorie gewonnen hatte: Sidney Poitier. Immerhin erhielt Herbie Hancock für den Soundtrack, an dessen Einspielung der Saxophonist beteiligt gewesen war, den Oscar für die beste Original-Filmmusik. Aufgezeichnet wurde bei den Sessions zudem die Musik für das Blue-Note-Album “The Other Side Of Round Midnight”, mit dem Dexter Gordon 1987 seinen einzigen Grammy gewann. Es waren zugleich die letzten Aufnahmen unter seinem Namen. Gordons Karriere fand so einen krönenden, wenn auch nicht ganz perfekten Abschluss. Drei Jahre später, am 25. April 1990, verstarb er.
Begonnen hatte der 1923 in Los Angeles geborene Dexter Gordon seine musikalische Laufbahn schon als Schüler in Bands von Chico Hamilton und Buddy Collette. Auch sein Talent als Mime zeigte er früh. Denn vor dem Spiegel ahmte er bereits als Jugendlicher die Posen seines großen Vorbilds Lester Young nach. Mit 17 Jahren spielte Dexter im Saxophonsatz des Orchesters von Lionel Hampton, danach u.a. bei Fletcher Henderson, Louis Armstrong und Billie Eckstine. 1944 zog er nach New York, stürzte sich kopfüber in die noch junge Bebop-Szene (u.a. an der Seite von Dizzy Gillespie) und begann Aufnahmen unter eigenem Namen zu machen. Aufgrund von Drogenproblemen und mehreren Inhaftierungen erlitt seine Karriere ab 1949 allerdings einen scharfen Knick, von dem sie sich erst wieder erholte, als der Saxophonist 1960 nach Europa ging. Sein Glück suchte (und fand) er in Dänemark. Für Aufnahmen reiste er aber oft nach Paris, wo sich viele seiner schwarzen US-amerikanischen Kollegen niedergelassen hatten. Dort spielte er auch einige der fünf Alben für Blue Note ein, die nun zusammen in der preiswerten Box “5 Originals Albums” neu aufgelegt wurden. Ausgestattet ist die Box mit Original-LP-Artwork, Stecktaschen-CDs und einem attraktiven Schuber.
Während seiner Jahre in Kopenhagen erlangte Dexter Gordon übrigens auch seine kurioseste Filmrolle: Mit dem Trio des ebenfalls dort lebenden Pianisten Kenny Drew war er 1971 in einem Streifen mit zehn erotischen Kurzfilmen zu sehen, für den er auch Musik geschrieben und eingespielt hatte. Zwischen einige der expliziten Szenen hatte der Regisseur, warum auch immer, Filmaufnahmen von einem Auftritt der Musiker im Jazzhus Montmartre geschnitten. Damit dürfte Dexter Gordon sicherlich der weltweit einzige Jazzmusiker sein, der es geschafft hat, für einen Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert zu werden und in einem Porno aufzutreten.
Doin’ Allright (1961)
Mit seinen Blue-Note-Alben feierte Dexter Gordon nach einem “verlorenen Jahrzehnt” sein erfolgreiches Comeback. Das erste, mit dem vielsagend-lakonischen Titel “Doin’ Allright”, spielte er am 6. Mai 1961 in Paris mit dem jungen Trompeter Freddie Hubbard und Pianist Horace Parlan, Bassist George Tucker und Schlagzeuger Al Harewood ein. Der von Gordon geschriebene Blues “Society Red”, den man hier hören kann, sollte später auch im Film “Round Midnight” und auf dem Grammy-Album “The Other Side Of Round Midnight” auftauchen.
Dexter Calling (1961)
Nur drei Tage nach den Aufnahmen für “Doin’ Allright” ging Dexter in Paris erneut ins Studio, um sein zweites Blue-Note-Album “Dexter Calling” einzuspielen. Die All-Star-Rhythmusgruppe, bestehend aus Pianist Kenny Drew, BassistPaul Chambers und Drummer Philly Joe Jones, beflügelte ihn hörbar. “Dexter Calling” gilt als eines der besten Alben des Saxophonisten und wird auch der von Maxine Gordon geschriebenen Dexter-Gordon-Biographie, die wohl 2017 endlich herauskommen soll, ihren Titel geben.
A Swingin‘Affair (1962)
Binnen weniger Tage nahm Dexter Gordon im August 1962, diesmal aber in Rudy Van Gelders Studio in der Nähe von New York, auch die beiden Alben “Go!” und “A Swingin’ Affair” auf. Und wieder standen ihm mit Pianist Sonny Clark, Bassist Butch Warren, und Schlagzeuger Billy Higgins absolute Top-Musiker zur Seite, die ihn zu einer musikalischen Höchstleistung anspornten. Besonders schön sind hier Gordons afro-kubanisch angehauchte Komposition “Soy Califa”, die latinisierte Version des Standards “You Stepped Out Of A Dream” und Butch Warrens “The Backbone”, eine interessante Kreuzung aus Hardbop und Bossa.
One Flight Up (1964)
Im Juni 1964 landete Dexter Gordon dann wieder in Paris, um dort mit Kenny Drew, dem dänischen Bassisten Niels-Henning Orsted Pedersen und Schlagzeuger Art Taylor “One Flight Up” aufzunehmen. Als Gast ist außerdem der Trompeter Donald Byrd mit von der Partie, mit dem sich der Tenorist in zwei episch langen Nummern (Byrds “Tanya” und Drews “Coppin’ The Haven”) ausgiebig austauscht.
Gettin‘ Around (1965)
Auf “Gettin’ Around” feierte Gordon ein Wiedersehen mit dem Vibraphonisten Bobby Hutcherson. Dessen älterer Bruder Teddy war Dexters bester Jugendfreund gewesen. Mit seinem Instrument verleiht Hutcherson der Musik Dexter Gordons auf diesem Album eine neue Klangfarbe. Das Repertoire ist besonders breitgefächert, reicht von Luiz Bonfás Bossa-Klassiker “Manhã de carnaval” über Standards wie Frank Fosters “Shiny Stockings” bis hin zu Originalen wie Gordons “Le Coiffeur”. Später verschaffte Dexter dem ebenfalls schauspielerfahrenen Bobby übrigens auch die Nebenrolle als Ace in “Round Midnight”.