Trotz seines internationalen Erfolges und vollkommen berechtigten Selbstbewusstseins kommentierte Klaus Doldinger sein Werk und seine Karriere immer sympathisch bescheiden. “Der Jazz traf mich wie der Blitz beim Pinkeln” – mit diesem denkwürdigen Satz beginnt beispielweise seine lesenswerte 2022 erschienene Autobiografie “Made In Germany – Mein Leben für die Musik”. In der hatte der damals 86-Jährige, der jahrzehntelang zu den wichtigsten und international bekanntesten deutschen Jazzmusikern zählte, wahrlich eine Menge zu erzählen. Beispielsweise amüsante Anekdoten wie die von seiner ersten unschuldigen Begegnung mit dem Jazz oder von seiner Aufnahmeprüfung am Robert-Schumann-Konservatorium in Düsseldorf, bei der er als Elfjähriger mit einer virtuosen Klavier-Darbietung von “Hänschen klein” in der “berühmten Einfingertechnik” glänzte. Man erfährt außerdem, dass es eine V-Disc mit der Aufnahme eines “Jazz At The Philharmonics”-Konzerts von 1944 war, die ihn damals in dem Wunsch bestärkte, selbst Jazz zu spielen. Doldinger erzählt ausführlich von seinem Karrierestart in den frühen 1950ern mit der Düsseldorfer Band The Feetwarmers, die zunächst Dixieland und danach Chicago-Jazz spielte, und von seinem Wandel zum modernen Hard-Bopper in den 1960er Jahren.
Die meisten der vielen Nachrufe, die nun anlässlich seines Todes in allen wichtigen Medien zu lesen und hören sind, machen allerdings weder mit seinen Jazzwurzeln auf, noch mit seiner über alle Maßen erfolgreichen Band Passport, die Jazz‑Fusion mit Rock‑, Funk‑ und Weltmusik‑Elementen verband, international erfolgreich war und mit der er quasi die ganze Welt bereist hat. Stattdessen beziehen sie sich, nachvollziehbarerweise auf die bekanntesten Werke seiner ebenfalls unglaublich produktiven Arbeit als Komponist für Film (“Das Boot”, “Die unendliche Geschichte”) und Fernsehen (“Tatort”). Die hatte er allerdings auch schon 1963 begonnen, bevor sie ab 1970 so richtig Fahrt aufnahm. In einer Zeit in der internationale Jazzmusiker wie Lalo Schifrin, Oliver Nelson und Quincy Jones neue Karrieren in Hollywood begannen, fanden auch hierzulande Musiker wie Rolf Kühn, Wolfgang Dauner, Ingfried Hoffmann und eben auch Klaus Doldinger Beschäftigung bei Film und Fernsehen. Doldinger hatte das Glück, eine künstlerische Partnerschaft mit Regisseur Wolfgang Petersen einzugehen, in deren Rahmen nach kleineren Filmen und jazzigen Musiken (z.B. für den Krimi „Einer von uns beiden“) die oben genannten Blockbuster folgten, und dafür zwei Filmmusiken, die rein gar nichts mehr mit Jazz zu tun hatten, sondern geschickt Symphonik, Pop-Elemente und eingängige Melodien verbanden.
Vor einigen Jahren wurde hier anlässlich der Veröffentlichung eines CD-Box-Sets seiner frühen Jazz-Jahre, das Doldinger begeistert unterstützt und begleitet hatte, über seine vier Alben für das Philips-Label berichtet, an denen man bereits alle Qualitäten des späteren Doldinger-Werkes ablesen konnte. 1963 erschien sein Debüt “Jazz Made In Germany” und machte ihn und sein Quartett schlagartig bekannt. Entdecker und Produzent war Siegfried E. Loch, später Gründer des ACT-Labels. Das Album machte Doldingers verspielten, Blues-betonten und unverwechselbaren Saxophonsound quasi über Nacht zum Markenzeichen. Bereits auf seinem dritten Album “Doldinger in Südamerika” entdeckte der Musiker die Weltmusik für sich, der musikalische Ansatz seines Quartetts verschob sich in brasilianisches Klangkolorit. Das Goethe-Institut schickte Doldinger und sein Quartett danach durch auf Tournee Brasilien. Das groovende 1967 in Kooperation mit der Jugendzeitschrift TWEN veröffentlichte Album “Doldinger Goes On” enthielt ausschließlich Themen aus seiner Feder und setzte bereits auf den Soul-Charakter seines Jazz.
Klaus Doldinger verstarb am Donnerstagabend, 16. Oktober 2025, im Alter von 89 Jahren im Kreis seiner Familie. Auch in seinen letzten Jahren blieb er aktiv auf der Bühne und wurde für sein Lebenswerk vielfach geehrt, u.a. mit drei Deutschen Schallplattenpreisen, dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, dem ECHO und dem ECHO Jazz für sein Lebenswerk. Persönlich galt er als bodenständig und dennoch visionär. Mit seinem Tod verlieren die Musik‑ und Jazz‑Welt einen Künstler, der Generationen mit seinem Saxophonspiel, seinen Kompositionen und seiner Bandarbeit beeindruckt hat. Seine Musik wird weiterhin gehört werden, sei es digital, vom Plattenteller, im Jazzclub, im Fernsehen oder im Kino.