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Paul Motian Band – Garden Of Eden

01.02.2006
“Der ‘Picasso der Jazzschlagzeuger’, Paul Motian, offenbart sein Können auf verschmitzte und verwirrende Weise”, schrieb Michael Parillo im Magazin Modern Drummer anläßlich der Veröffentlichung von Motians letztem ECM-Trio-Album “I Have The Room Above Her”. Und diese Worte ließen sich ebenso gut auf die Musik von Motians neuem Album “Garden Of Eden” übertragen, auf dem man noch eine Reihe anderer Facetten dieses einzigartigen Schlagzeugers und Komponisten kennenlernen kann.
“Garden Of Eden” wurde 2004 in New York aufgenommen und ist das erste Album des Ensembles, das früher als Paul Motians Electric Bebop Band bekannt war. Die Namensänderung reflektiert natürlich einen leichten musikalischen Paradigmenwechsel. Bebop und vom Bebop inspiriertes Material sind zwar nach wie vor Bestandteil der stilistischen Palette dieser Band, haben aber nun verstärkt Motians eigenen Kompositionen Platz gemacht. An die alte Electric Bebop Band erinnert allerdings auch noch die ungewöhnliche Besetzung mit nunmehr drei Gitarristen und zwei Saxophonisten.

Motian gründete dieses Ensemble in einer Zeit, als im Jazz das nostalgisch-konservative Lager den Ton angab und freier improvisierende Musiker in der Presse kaum Beachtung fanden. Als er die Electric Bebop Band 1990 ins Leben rief, geschah dies, wie der Schlagzeuger selber sagt, ursprünglich, um den “Bebop zu zerstören”. Das destruktive Vorhaben legte er jedoch schon bald ad acta. Motian war mit dem Bebop aufgewachsen, er war seine erste musikalische Liebe und als er sich diesem Spielstil Anfang der 90er Jahre wieder zuwandt, wurde ihm ziemlich schnell klar, daß er nicht unbedingt den gängigen Mustern folgen mußte, wenn er wieder Bebop spielen wollte. Motian erkannte: “Es gab keine Regeln.”

Zunächst einmal änderte die ausgefallene Instrumentierung der Electric Bebop Band von selbst die Dynamik des Idioms – Bebop von einem kleinen Ensemble mit zwei Tenorsaxophonisten war schon eine Rarität, aber eine Konstellation von zwei Tenorsaxophonisten und zwei (oder – wie nun – drei) Gitarristen hatte es in einer Bebop-Band wahrlich nie zuvor gegeben. Dadurch, daß er bei einer Musik, bei der oft Pianisten die treibende Kraft sind, ganz auf das Piano verzichtete, eröffnete Motian seinen Musikern außerdem mehr Raum für Interaktionen. Und indem er seine Solisten dazu animierte, innerhalb der Songstrukturen genauso frei zu spielen, wie er es selber tat (freilich ohne dabei die Melodie aus dem Auge zu lassen), gab Motian dem Bebop eine völlig neue Gestalt. Obwohl die Musik der Electric Bebop Band in die Zukunft wies, trug sie in sich auch das Echo von Motians Vergangenheit. Denn schon auf “Tribute”, seinem zweiten ECM-Album, hatte der Schlagzeuger 1974 mit zwei Lead-Gitarristen experimentiert. Damals begann Motian gerade erst, seine eigene Stimme als Komponist zu finden. Ermuntert wurde er dazu seinerzeit von Produzent Manfred Eicher und Pianist Keith Jarrett, in dessen “amerikanischem Quartett” er damals spielte.

Das Jazzrepertoire des neuen Albums enthält unter anderem zwei Kompositionen von Charles Mingus, mit denen die neue Paul Motian Band hier auch den Reigen eröffnet: “Pithecanthropus Erectus”, Mingus' Song über Aufstieg und Fall des Menschen (von Motians Gruppe hier sehr “noir” interpretiert), und “Goodbye Pork Pie Hat”, die berühmte und von Herzen kommende Hommage an Lester Young, die der Bassist angeblich im März 1959 auf der Bühne des Half Note Café komponiert haben soll, als er erfuhr, daß der großartige Tenorsaxophonist gerade gestorben war. Jerome Kerns “Bill” stammt aus 1927 geschriebenen Musical “Show Boat” (die Originalversion war mit einem Text des humorigen britischen Schriftstellers P.G. Wodehouse versehen). Abgeschlossen wird das Programm dieses Albums mit zwei weiteren Jazz-Evergreens: Thelonious Monks Klassiker “Evidence”, das Motian in den 50er Jahren noch mit dem Komponisten höchstpersönlich spielen durfte, und Charlie Parkers “Cheryl”, das eines der ersten dezierten Bebop-Stücke war.
Die Electric Bebop Band war stets mit exzellenten Solisten besetzt. In ihr spielten früher u.a. die Saxophonisten Joshua Redman und Chris Potter, die Gitarristen Kurt Rosenwinkel und Wolfgang Muthspiel sowie der Bassist Steve Swallow. Die aktuelle Besetzung ist ganz besonders stark – jedes Bandmitglied ist auch Leader einer eigenen Gruppe.
Tony Malaby wurde 2004 von den Kritikern der Internetseite All About Jazz (www.allaboutjazz.com) zum Musiker des Jahres gekürt und gehört zusammen mit Chris Cheek, dem anderen Saxophonisten der Paul Motian Group, auch zu den Starsolisten von Charlie Hadens kürzlich wiederbelebtem Liberation Music Orchestra. Kritiker Ben Ratcliff beschrieb Cheeks Soli als “schnittig und pointiert”. Malabys Erkennungszeichen ist wiederum eine Art muskulöser Lyrizismus, der sich “mit Ellbogen Raum verschafft”. Der aus Tucson/Arizona stammende Malaby ist seit einem Jahrzehnt in New York zuhause und spielt u.a. in Bands von Mark Helias, Fred Hersch, Mat Maneri, Tim Berne und Marty Ehrlich. Motian ist von Malaby so begeistert, daß er auch in dessen Trio Schlagzeug spielt.

Chris Cheek studierte in Boston und ging 1992 nach New York, wo er schon bald festes Mitglied in Motians Gruppe und der “Grunge-Jazz”-Band The Bloomdaddies wurde. Auf den Alben, die er unter eigenem Namen für das Label Spanish Fresh Sound einspielte, präsentierte er sich u.a. mit Brad Mehldau und Kurt Rosenwinkel. Als ausdrucksvoller Jazzkomponist und unverwechselbarer Solist steuerte er das Stück “Desert Dream” zum Repertoire von “Garden Of Eden” bei.

Gitarrist Steve Cardenas, der für das Ensemble das Stück “Balata” schrieb, unterhält gemeinsam mit Chris Cheek ein Quartett und hat auf seinen Soloalben auch schon mit Malaby gearbeitet. Cardenas wurde – wie Pat Metheny – in der Jazzszene von Kansas City groß, zog dann nach Kalifornien, wo er in den späten 80ern und frühen 90ern zu einem gefragten Musiker avancierte. Auch er ist Mitglied von Charlie Hadens Liberation Music Orchestra und arbeitete darüber hinaus auch schon mit Slide Hampton, Eddie Harris, Jay McShann, Marc Johnson und Norah Jones. Außerdem trat er kürzlich als Mitherausgeber des “Thelonious Monk Fakebook” hervor.

Die musikalischen Interessen des in Westchester County/New York geborenen Ben Monder sind besonders vielseitig und umfassen Ambient Music, zeitgenössische Kompositionsmusik (er nennt beispielsweise Alfred Schnittkes “Psalms Of Repentance” als einen seiner Einflüsse), indische Musik und Rock sowie natürlich Jazz. Aufsehen erregt Monder auch mit seiner eigenen Band, in der u.a. der deutsche Sänger Theo Bleckmann, der in New York als lokaler Kultstar gilt, Mitglied ist. Die Jazz Times attestierte Monder erst vor kurzem, “einer der orignellsten musikalischen Köpfe der Gegenwart” zu sein. Seine Voicings und Linien wurden von dem Pianisten Frank Kimbrough als “ätherisch, dunkel und mysteriös” beschrieben.

Das jüngste Bandmitglied ist der 27 Jahre alte dänische Gitarrist Jakob Bro, der, wann immer ein Gig mit Paul Motian ansteht, von Kopenhagen nach New York jettet. Bro kam 2002 auf Empfehlung von Steve Cardenas zur Band. In der alternativen dänischen Jazzszene ist er nach wie vor sehr aktiv, unter anderem als Mitglied von Bands mit so skurrilen Namen wie I Got You On My Tape, Bandapart und Beautiful Day – letztere spielt übrigens Eigenkompositionen, die laut Eigenaussage von der Musik Monks, Motians und Radioheads inspiriert sind. Darüber hinaus hat Jakob Bro bis dato zwei Alben unter eigenem Namen veröffentlicht, die beide mit dänischen und amerikanischen Musikern wie Chris Cheek aufgenommen wurden.

Bassist Jerome Harris tritt auf Platten nicht selten auch als Gitarrist in Erscheinung und versteht es allein schon deshalb hervorragend, mit den drei Gitarristen der Paul Motian Band zu interagieren. Bekannt geworden ist Harris vor allem durch seine langjährige Arbeit in der Band des legendären Sonny Rollins (in der er sowohl Baß als auch Gitarre spielte). An der Seite von Bill Frisell (und Paul Motian) spielte er das Album “Rambler” für ECM ein und mit Jack DeJohnette “Oneness”.

Anläßlich der Veröffentlichung des Albums “Garden Of Eden” gastierte die neue Paul Motian Band gerade erst eine ganze Woche lang im legendären New Yorker Jazzclub Village Vanguard.