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Nachruf auf Gary Peacock

Im Alter von 85 Jahren verstarb am 4. September der Bassist Gary Peacock, der durch Aufnahmen mit Bill Evans, Paul Bley und natürlich Keith Jarretts “Standards”-Trio Ruhm erntete.
Gary Peacock
Gary PeacockElliot Peacock
10.09.2020
Rund 65 Jahre lang war Gary Peacock mit seinem Kontrabass einer der verlässlichsten Pulsgeber des Jazz. Und ein halbes Jahrhundert lang war seine Karriere als Aufnahmekünstler eng mit ECM Records verbunden. Seine ersten Einspielungen für das damals noch blutjunge Label von Manfred Eicher erschienen 1970 und waren erst die dritte ECM-Produktion. Das Album trug den Titel “Paul Bley With Gary Peacock” und enthielt Trio-Aufnahmen mit den Schlagzeugern Paul Motian und Billy Elgart aus den Jahren 1963 und 1968.  Es war der Auftakt zu einer langen, engen Freundschaft zwischen dem amerikanischen Bassisten und dem deutschen Produzenten und einer ausgedehnten Zusammenarbeit mit ECM.
“Ich habe einen lebenslangen Freund verloren”, sagt Manfred Eicher, der selbst ein klassisch geschulter Kontrabassist ist, “und einen Musiker, den ich seit dem ersten Mal, als ich ihn hörte, sehr bewundert habe. Wir waren so froh und stolz, ihn schon so früh in unserem Programm präsentieren zu können. Zusammen mit Scott LaFaro, Steve Swallow und Charlie Haden war Gary einer der Bassisten, die ich am meisten schätzte, und ich liebte sein Spiel auf Albert Aylers ‘Spiritual Unity’ und Bill Evans' ‘Trio ’64’. Wir begannen eine engere Zusammenarbeit mit ‘Tales Of Another’, im Rückblick ein einflussreiches Album. Es legte den Grundstein für eine der langlebigsten Gruppen im Jazz…” Gemeint ist damit natürlich das “Standards”-Trio mit Keith Jarrett und Jack DeJohnette, das mehr als dreißig Jahre (von 1983 bis 2014) Bestand hatte.
Der 1935 in Burley/Idaho geborene Gary Peacock spielte Schlagzeug, Vibraphon und Klavier, bevor er sich mit zwanzig Jahren für den Kontrabass entschied, das Instrument, mit dem er tiefe Spuren in der Jazzgeschichte hinterlassen sollte. Zum Bassspielen fand er während seiner Stationierung bei der US-Armee in Deutschland. Nach seiner Entlassung aus der Armee blieb er noch einige Zeit in Deutschland, um dort mit Größen wie Hans Koller, Tony Scott, Bud Shank und Atilla Zoller zu spielen. Anfang der 1960er Jahre war Peacocks phantasievoller, wacher und elegant singender Bass im gesamten Spektrum des kreativen Jazz in New York zu hören – er spielte in den Trios von Paul Bley und Bill Evans sowie in Bands von Tony Williams, Lowell Davidson und Albert Ayler. Gary war felsenfest davon überzeugt, dass Kreativität nicht durch ein Idiom oder einen Stil begrenzt oder definiert werden könne. Der Sinn des Musizierens bestand für ihn darin, die Freiheiten, die jeder Kontext offenbart, aufzufinden und ihnen zu folgen, eine Denkweise, die ihn zum idealen Bassisten für das Trio mit Keith Jarrett und Jack DeJohnette machte, wo er ebenso gerne die Akkordwechsel von Jazzstandards für neue Impulse nutzte oder die Sicherheit von Liedformen ganz aufgab. b
Das Trio mit Jarrett und DeJohnette war ursprünglich 1977 für Garys ECM-Solodebüt “Tales Of Another” zusammengestellt worden. Dieses Album, das ausschließlich Stücke des Bassisten bot, war quasi Garys “Comeback-Album”, aufgenommen nach einem längeren Aufenthalt in Japan. Dort hatte er in Masabumi Kikuchi einen weiteren wichtigen Verbündeten kennengelernt und war in die östliche Kultur eingetaucht. Peacock war aber nicht nur ein unvergleichlicher Improvisator – niemand war mehr darauf bedacht, im gegenwärtigen Moment zu spielen -, sondern auch ein Komponist auffallend origineller Melodien. Einige von ihnen – etwa “Moor”, “Vignette”, “Gaya”, “December Greenwings” und “Requiem” – hatten prägnante Themen, die Haikus glichen, und wurden von Peacock während seines langen künstlerischen Lebens immer wieder aufgegriffen, aber auch von zahlreichen anderen Musikern vertont.
Garys ECM-Aufnahmen als Leader wurden meist in Oslo produziert und umfassen die Alben “December Poems” (größtenteils Solobass plus zwei Duette mit Jan Garbarek), “Voice From The Past – Paradigm” (mit Garbarek, Tomasz Stanko und Jack DeJohnette) und “Guamba” (mit Garbarek, Palle Mikkelborg und Peter Erskine), sowie Duo-Alben mit Ralph Towner (“A Closer View” und “Oracle”) und gemeinsame Aufnahmen mit John Surman, Paul Bley und Tony Oxley (“Adventure Playground” und “In The Evenings Out There”). Auf dem in New York produzierten Album “Shift In The Wind” präsentierte sich Gary 1980 im Trio mit Art Lande und Eliot Zigmund.
In den 1990er Jahren führte Gary für das in New York aufgenommene Album “Not Two, Not One” eine Reunion des Paul Bley Trios mit Paul Motian herbei. Im Anschluss daran unternahm das Trio Tourneen, bei denen in der Schweiz der Konzertmitschnitt “When Will The Blues Leave” entstand. Die Zusammenarbeit mit Marilyn Crispell – mit der er ebenfalls eine langwährende musikalische Partnerschaft unterhielt – begann mit dem Album “Nothing Ever Was, Anyway”, auf dem die beiden mit Paul Motian die Musik von Garys Ex-Frau Annette Peacock erkundeten. In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Gary Peacock mit Begeisterung seinem Trio mit Marc Copland und Joey Baron und genoss besonders die Art und Weise, wie der Klang seines Basses und der Klang der Gruppe auf dem Album “Tangents” in der Akustik des Studios in Lugano ineinandergriffen und mitschwangen.
Seine stilistische Vielfältigkeit bewies Gary Peacock auch bei Aufnahmen mit Bud Shank und Laurindo Almeida, Ravi Shankar, Albert Ayler, Tony Williams, Don Ellis, Bill Evans, Clare Fischer, Don Pullen, Toninho Horta und dem TrioTethered Moo, dass er über zehn Jahre lang mit Masabumi Kikuchi und Paul Motian bildete.