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Tomasz Stanko: Natürliche Symbiose von Lyrizismus und Ausdrucksschärfe

14.02.2001
Mit einer recht ungewöhnlichen Besetzung – u.a. mit Bandoneon und Violine – hat Tomasz Stanko sein neues Album “From The Green Hill” eingespielt. Nach dem Erfolg von “Litania”, das ausschließlich Stücke des Filmkomponisten Krzysztof Komeda enthielt, präsentiert der polnische Trompeter erneut ein Meisterwerk mit cineastischen Themen, das jedoch mit völlig anderen Klangfarben und Texturen aufwartet.
Die Entstehungsgeschichte von Tomasz Stankos “From The Green Hill” hat ihren Ursprung im Mai 1997 und den Whitesun-Konzerten im Hotel Römerbad in Badenweiler. Der polnische Trompeter stand in diesem Jahr zwar nicht selbst auf dem Programm, aber Manfred Eicher lud ihn ein, als Gast bei anderen Bands mitzuwirken.
So verstärkte Stanko – gemeinsam mit John Surman – das Bobo Stenson Trio, dessen Rhythmusgruppe sich aus dem Bassisten Anders Jormin und dem Schlagzeuger Jon Christensen zusammensetzte. Außerdem kam es im Rahmen der Konzert-Reihe zu einer spontanen Begegnung von Stanko und Surman mit dem Bandoneon-Spieler Dino Saluzzi und der Violinistin Michelle Makarski. Ein Jahr später trafen Stanko und Surman, die diesmal zusammen mit der Pianistin Marylin Crispell in Badenweiler auftraten, bei einer nächtlichen Jam-Session erneut auf Makarski.
Obwohl die Texturen und Klangfarben gänzlich verschieden sind von denen der Komeda-Hommage “Litania”, haben auch die Stücke von “From The Green Hill” etwas filmmusikalisches. Vorgetragen werden die einzelnen Episoden von einer Reihe starker Charaktere, die sich in wechselnden Konstellationen präsentieren.
Dino Saluzzi etwa gewinnt Komedas geheimnisvollem “Litania”-Thema mit Tango-geschulter Melancholie ein paar völlig neue Seiten ab. “Roberto Zucco” ist ein indirekte Hommage an Bernard-Marie Koltès, den Autor des gleichnamigen Theaterstückes. Das “Love Theme from A Farewell To Maria” ist Musik, die Stanko ursprünglich für Filip Zylbers hochgelobten Film “Abschied von Maria” schrieb, einen der Erfolge des Polnischen Filmfestivals von 1994. Der Film basierte auf Tadeusz Borowskis Geschichte über das Überleben in Kriegszeiten und die Auswirkungen der Unterdrückung auf die menschliche Psyche. Musik des selben Filmes war übrigens.auch schon Bestandteil von Stankos ECM-Album “Leosia”.
Bei diesen Geschichten “From The Green Hill” dominieren dunkle Klangfarben. John Surman hat sein hellstrahlendes Sopransax, mit dem er erst kürzlich auf Anouar Brahems “Thimar” glänzte, diesmal beiseite gelassen und sich ganz auf die dunkler gefärbten Register von Baritonsax und Baßklarinette konzentriert. In dem von ihm komponierten Titel “Stone Ridge” (die anderen stammen allesamt von Stanko) nutzt Surman die ganzen Ressourcen dieses Sextetts, indem er die Klänge von Bandoneoon, Trompete, Baßklarinette, Baß, Schlagzeug und Violine miteinander vermischt. Das Stück stellt auch Michelle Makarskis Debüt als Improvisatorin in einem Jazzkontext dar. Bislang war sie nur als Interpretin von Barock-Werken und zeitgenössischen Kompositionen (siehe “Caoine” in ECMs New Series) bekannt. Die neuen Freiheiten der Jazzimprovisatorin haben sie bei der Einspielung von “From The Green Hill” hörbar beflügelt.
Jon Christensen kann vor allem in “Quintet’s Time” eigene Akzente setzen. Völlig losgelöst von der Rolle eines “timekeepers” unternimmtt Christensen hier unvorhersehbare rhythmische Hakenschläge. Daß Anders Jormin ihm dabei stets auf den Fersen bleibt, spricht Bände über das ungeheure Talent des skandinavischen Bassisten, der wahrlich zu den besten seiner Generation gehört.
Was Stanko selbst anbelangt: seine slawische Seele durchdringt das gesamte Album. Noch heute hat eine Beschreibung seiner Spielweise Bestand, die einst der Kritiker Kazimierz Czyz lieferte:
“Er kann nach wenigen Takten identifiziert werden. Eine wundervolle Artikulation, die die Farbe ändert von warm mattiert im unteren Register bis fast schon kristallklar perlend im oberen, die extrem anziehende dynamische Abstufung und die Stanko-typischen Melodien: Lyrizismus und Ausdrucksschärfe sind bei ihm keine Gegensätze, sondern gehen eine natürliche Symbiose ein.” Nicht anders sind die Klänge von “From The Green Hill”.