Zwischen Stille und Lautheit: Musik mit einem breiten dynamischen Spektrum
Auf ihrem dritten Album “Off Stillness” zollen der Schlagzeuger Thomas Strønen und seine außergewöhnliche Band Time Is A Blind Guide unter anderem drei ECM-Ikonen Tribut: Paul Motian, Paul Bley und Jon Balke.
ECM: Thomas Strønen, Time Is A Blind Guide(c) Karstein Grønnesby
05.12.2025
Bei der Band Time Is A Blind Guide kommt eine seltene akustische Alchemie zum Tragen. Personelle Veränderungen haben den musikalischen Charakter des Ensembles des norwegischen Schlagzeugers Thomas Strønen mitgeprägt und gelenkt. Nachdem die Band ihr gleichnamiges erstes Album vor zehn Jahren noch im Septett-Format mit zwei Perkussionisten eingespielt hatte, reduzierte sie sich für das zweite Album “Lucus”, das 2018 erschien, zum Quintett und ersetzte gleichzeitig den Pianisten Kit Downes durch Ayumi Tanaka. Bei der dritten Aufnahme wurde nur eine leichte Veränderung in der Besetzung vorgenommen: für das Gründungsmitglied Lucy Railton holte Strønen nun den schwedischen Cellisten, Folk- und Improvisationsmusiker Leo Svensson Sander in die Band. Die neue Stimme fügt sich nahtlos in den ruhig atmenden Ensembleklang ein. Die Pianistin Ayumi Tanaka navigiert dabei sparsam, aber äußerst präzise und einfühlsam über die Tastatur und reagiert auf Strønens perkussive Schichtungen, Ole Morten Vågans elastische Kontrabassarbeit und Håkon Aases lyrisches Geigenspiel. Manchmal bilden die drei Streichinstrumente der Gruppe ein festes Trio, das in einen nachdenklichen Dialog mit Klavier und Schlagzeug tritt. Meistens jedoch funktioniert der Puls der Gruppe als Ganzes, wobei jedes Instrument dynamisch in den Vordergrund und wieder in den Hintergrund treten kann.
“Bei diesem Ensemble geht es eher darum, etwas wegzunehmen, als mehr in die Musik hineinzubringen”, erklärt Strønen und fügt hinzu: “Eines der wichtigsten Instrumente ist der Raum. Es gibt ein breites dynamisches Spektrum: Die Musik kann sehr leise sein und dann plötzlich sehr laut werden. Die Dinge mögen unerwartet erscheinen, aber ich glaube, dass sie auch kohärent sind, dass sie mit den natürlichen Pulsen verbunden sind, die uns in unserem täglichen Leben umgeben.”
Diese dynamischen Extreme treten vielleicht am deutlichsten in “Dismissed” zutage, einem Stück, das sich durch einen schlagartig stolpernden Puls und stark artikulierte Tutti-Phrasen auszeichnet, die sich mit schnellen improvisierten Sequenzen abwechseln. Hier ist die Gruppe am engsten zusammengerückt. “Season” hingegen bringt lyrische Sanftheit und einen Hauch von Folk in den musikalischen Mix, wobei die Geige und das Cello in glückseliger Harmonie zusammenspielen. “Leo ist ein Improvisator, verfügt aber auch über reichlich Erfahrung im Folkbereich”, erläutert Thomas Strønen. “Daher gelingt es ihm, eine nahtlose Verbindung mit Håkons Geige einzugehen. Beide verstehen es, sowohl die Musik zu lesen als auch ihre eigenen improvisierten Stimmen hinzuzufügen. Das hat den Gesamtsound der Band stark geprägt.”
Gerahmt wird das abwechslungsreiche Programm von “Off Stillness” von zwei Hommagen. Der Opener des Albums, “Memories of Paul”, ist gleich zwei Legenden der Improvisation gewidmet, die denselben Vornamen tragen: Motian und Bley. Beide besaßen eine ganz eigene Stimme auf ihrem Instrument und waren durch eine lange Geschichte eng mit dem Label ECM Records verbunden. Es ist ein spannungsgeladenes, fast tonloses Stück, das den Fokus auf Thomas Strønens atemberaubendes Zusammenspiel mit der Pianistin Ayumi Tanaka lenkt. “Mit ihr muss ich nichts vorher besprechen, weil wir uns so gut kennen”, sagt der Bandleader. “Ich vertraue ihr voll und ganz.” Das Album klingt mit “In Awe of Stillness” aus, einem Stück, das Strønen Jon Balke gewidmet hat. “Der Titel ist eine Hommage an einen prägenden Moment in meiner Jugend, als ich im Alter von 15 Jahren mein erstes richtiges Jazzkonzert besuchte”, erläutert der Schlagzeuger. Es war ein Auftritt von Jon Balkes Band Oslo 13 mit Audun Kleive am Schlagzeug und Nils Petter Molvær an der Trompete. “Ihre Musik auf dem Album ‘Off Balance’ veränderte meine Einstellung zur Musik im Allgemeinen und zum Schlagzeugspielen im Besonderen. Diese Erinnerung wurde wieder wach, als mir klar wurde, dass Jon dieses Jahr 70 Jahre alt geworden ist.”