Sonny Rollins | Offizielle Biografie

Sonny Rollins Biografie

Sonny Rollins
Sonny Rollins
Am 7. September 2005 feierte der Tenorsaxophonist Sonny Rollins, eine der letzten lebenden Legenden des Jazz, seinen 75. Geburtstag. Und kaum einer der verbliebenen “alten Recken” verfügt noch über soviel Vitalität, Ideenreichtum und spielerischen Witz wie Sonny Rollins. Erst kürzlich erhielt Rollins einen Grammy für das beste Jazzinstrumetalsolo und strich sowohl von der Jazz Journalists Association als auch bei der Down Beat Critics Poll Ehrungen als Künstler und Tenorsaxophonist des Jahres ein. Mit “Sonny, Please!” veröffentlicht Sonny Rollins nun auf seinem eigenen Label Doxy sein erstes Studioalbum seit fünf Jahren.

Die neue CD nahm er mit seiner bestens eingespielten Band kurz nach seiner Rückkehr von einer ausverkauften Japan-Tournee im November 2005 auf. “Wenn man mit einer Band eine ganze Reihe von Konzerten gibt, dann findet das Ensemble immer mehr zueinander”, meint Rollins. “Die Band hat prima zusammengespielt – mit sehr viel Energie. Gegen Ende der Tournee fand die Musiker der Gruppe immer besser zueinander und ermöglichten mir dadurch, sehr viel flüssiger zu spielen. Ich konnte mit freiem Kopf improvisieren, da sich die Dinge ab einem gewissen Punkt wie von selbst ergaben.”

“Sonny spielt sich auf diesem Album wirklich die Seele aus dem Leib”, bemerkt Clifton Anderson, Rollins' langjähriger Posaunist, der auch die neue CD produzierte. “Jedes Stück unterscheidet sich auf wundervolle Art von allen anderen, und dennoch gibt es eine klare Kontinuität bei diesen Aufnahmen. Ich bin mir sicher, daß dies daran liegt, daß Sonny bei diesem Projekt in jeglicher Hinsicht mehr involviert war, als bei irgendeiner anderen Plattenaufnahme, der ich beigewohnt habe.”

Die anderen Musiker der Band, mit der Sonny Rollins auf “Sonny, Please!” zu hören ist, sind Bassist Bob Cranshaw, der schon seit 1959 zu den bevorzugten Mitspielern des Tenorsaxophonisten gehört, Gitarrist Bobby Broom und Schlagzeuger Steve Jordan, die beide bei verschiedenen Gelegenheiten in den 80er Jahren mit Sonny arbeiteten, und Perkussionist Kimati Dinizulu, der vor rund sechs Jahren zur Band stieß.

Das musikalische Programm ist eine feine Mischung von Eigenkompositionen und Standards, die Sonny Rollins teilweise zum ersten Mal in seiner Kindheit gehört hat und danach nie mehr vergessen konnte. Das Titelstück des Albums – “Sonny, Please!” – verdankt seinen Namen einer Phrase, mit der die im November 2004 verstorbene Lucille Rollins ihren Mann Sonny “zur Vernunft” zu rufen pflegte. Die beiden waren seit 1957 miteinander verheiratet, und der Tod seiner Frau, die seit 1971 auch seine Managerin gewesen war, war für Sonny natürlich niederschmetternd. So wirkt der Titel wie eine Aufforderung Rollins' an sich selbst, sich zusammenzureißen. Das Stück “Nishi” wiederum wurde nach einem befreundeten japanischen Bassisten benannt, und “Park Palace Parade” nach einer heute nicht mehr existierenden Dancehall im New Yorker Viertel Spanish Harlem, in der einst viele Calypso-Künstler auftraten.

“Remembering Tommy” komponierte Sonny Rollins vor fünfzehn Jahren anläßlich einer Session mit dem Pianisten Tommy Flanagan. Als Rollins kürzlich einen Artikel über den verstorbenen Pianisten las, wurde ihm so nostalgisch zumute, daß er das Stück nun einfach noch einmal spielen mußte.

“Serenade” wurde von Ricardo Drigo komponiert und war die Titelmusik einer längst der Vergessenheit anheimgefallenen Radiosendung. “Die Melodie habe ich nie vergessen”, erzählt Rollins. “Vor ein paar Jahren habe ich die Nummer schließlich aus der Versenkung geholt und in mein Repertoire aufgenommen.”

“Stairway To The Stars” war in den 30er Jahren eine beliebte Ballade und Noel Cowards “Someday I’ll Find You”, das aus derselben Zeit stammt und die Titelmelodie der Radiosendung “Mr. Keene, Tracer Of Lost Persons” war, wurde von Sonny Rollins 1958 schon einmal für sein Riverside-Album “Freedom Suite” eingespielt.

“Sonny, Please!” ist das erste Album, das Sonny Rollins auf seinem frisch gegründeten eigenen Label Doxy präsentiert. “Da mein [34 Jahren bestehender!] Vertrag mit Milestone auslief und meine Frau nicht mehr da war, um sich um das Geschäftliche zu kümmern, dachte ich mir, es wäre an der Zeit, diese Dinge selbst aktiver in die Hände zu nehmen.” Benannt hat Rollins das Label nach seiner bekannten Komposition “Doxy”, die erstmals 1954 von Miles Davis und den Modern Jazz Giants (Rollins, Thelonious Monk, Horace Silver, Milt Jackson, Percy Heath und Kenny Clarke) für das legendäre Album “Bags' Groove” aufgenommen wurde.

Walter Theodore “Sonny” Rollins kam am 7. September 1930 als Sohn von Einwanderern von den amerikanischen Jungferninseln in Harlem, New York zur Welt. Obwohl auch sein älterer Bruder Valdemar und seine Schwester Gloria musikalisches Talent besaßen, bliebe es einzig Sonny vorbehalten, eine professionelle Karriere als Musiker einzuschlagen. Zum Jazz und Blues fand er früh durch einen Onkel, der selbst ein professioneller Saxophonist gewesen war.

Nachdem er zunächst Altsaxophon gespielt hatte, wechselte Rollins – inspiriert vor allem durch Coleman Hawkins – während seiner Highschool-Zeit zum Tenorsaxophon. Gleich nach Abschluß der Schule begann er die Zusammenarbeit mit renommierten Musikern wie Babs Gonzales (mit dem er 1949 erstmals in ein Tonstudio ging), Bud Powell, Fats Navarro und Roy Haynes. Sein Plattendebüt als Leader machte er als 21jähriger 1951 für das Label Prestige, für das er in den folgenden Jahren auch noch solche Klassiker wie “Worktime” (1955), “Saxophone Colossus” (1956) und “Tenor Madness” (1956 / mit John Coltrane) einspielen sollte.

Anfang 1956 wurde Sonny Rollins Mitglied des Quintetts von Max Roach und Clifford Brown, das als eines der besten Hard-Bop-Ensembles Jazzgeschichte schrieb. Der ungeheuer fruchtbaren Zusammenarbeit wurde allerdings schon im Juni desselben Jahres durch den Unfalltod des damals erst 25jährigen Trompeters ein vorschnelles Ende bereitet. So konzentrierte sich Sonny Rollins ab 1957 auf seine Karriere als Leader eigener Bands. Oftmals spielte er dabei in einer Trio-Besetzung ohne Pianisten. So nahm er 1957 mit Ray Brown und Shelley Manne “Way Out West” und noch im selben Jahr mit den Bassisten Wilbur Ware und Donald Bailey sowie den Schlagzeugern Elvin Jones und Pete La Roca “A Night At The Village Vanguard” auf. 1958 folgte die “Freedom Suite” mit Oscar Pettiford und Max Roach.

1959 legte Rollins die erste seiner als “sabbatical” bezeichneten künstlerischen Auszeiten ein. Er lebte damals in der Lower East Side von Manhattan, wo man ihn oft unter der nahegelegnenen Williamsburg Bridge üben sehen konnte. “Ich wollte an meiner Phrasierung arbeiten, mich mehr in die Harmonielehre vertiefen und selbst auch ein besserer Mensch werden”, erzählte Rollins einst dem Jazzchronisten Stanley Crouch. “Und ich wollte einfach raus aus dieser Jazzatmosphäre, die von Zigarrettenrauch, Alkohol und Drogen verpestet war.”

1961 kehrte Rollins auf die Szene zurück, nahm mit Jim Hall, Bob Cranshaw und Ben Riley das Album “The Bridge” auf, leitete ein anderes Quartett mit Don Cherry und Billy Higgins und ging auch mit seinem Idol Coleman Hawkins ins Studio. Für den Soundtrack, den er 1966 für den Film “Alfie” komponierte, erhielt Rollins eine Grammy-Nominierung (erst 2004 kam ein Remake des Films wieder in die Kinos). Ende der 60er Jahre zog sich Sonny dann ein zweites und letztes Mal vorübergehend zurück, diesmal um in Japan Zen-Buddhismus zu studieren und in Indien Yoga zu praktizieren. Während er in einem Ashram lebte, spielte er sogar mit dem Gedanken, die Musik ganz aufzugeben und sich nur noch spirituellen Studien zu widmen. Glücklicherweise konnte ihn einer seiner Lehrer davon überzeugen, daß gerade die Musik sein spiritueller Weg sei.

So kehrte Rollins 1972 also erneut auf die Szene zurück und unterschrieb seinen Plattenvertrag bei Milestone Records, den erst erst jetzt – nach 34 Jahren Treue – auflöste. Das erste Milestone-Album war “Next Album”. In den folgenden drei Jahrzehnten veröffentlichte er rund zwei Dutzend Alben, die er u.a. mit Musikern wie Tommy Flanagan, Jack DeJohnette, Stanley Clarke, Tony Williams, Ron Carter und McCoy Tyner einspielte.

Seinen ersten hochverdienten Grammy erhielt Sonny Rollins 2001 für das Album “This Is What I Do”, den zweiten 2004 für sein Solo in “Why Was I Born?” von dem Album “Without A Song (The 9/11 Concert)”. 2004 wurde Sonny Rollins von der NARAS (National Academy of Recording Arts and Sciences) außerdem der “Lifetime Achievement Award” überreicht.

“Ich bin davon überzeugt, daß jede Kunst das Verlangen hat, das Gewöhnliche hinter sich zu lassen und sich auf eine spirituelle Weise auszudrücken”, sagte Sonny Rollins kürzlich in einem Interview mit dem katalanischen Magazin Jaç. “Aber im Jazz, in der Welt der Improvisation hat man da vielleicht das höchste Niveau erreicht, weil wir nicht die Möglichkeit haben, noch Änderungen vorzunehmen. Es ist, als würde man vor Publikum malen. Man kann nicht am nächsten Morgen hingehen und dann die Farben des Gemäldes ändern. Wir müssen, bevor wir die Bühne betreten, schon wissen, welche Farben wir wo und wie verwenden. Deshalb ist der Jazz für mich die anspruchsvollste Kunst, die es gibt.”

Und Sonny Rollins ist – wie “Sonny, Please!” eindrucksvoll beweist – nach wie vor einer der absoluten Meister der Jazzimprovisation.