Mit ihrem titellosen Debütalbum, das 2015 bei ECM Records erschien, schrieb die damals 25-jährige Saxofonistin und Komponistin Mette Henriette gleich ein Stückchen Labelgeschichte. Denn nie zuvor hatte eine Künstlerin oder ein Künstler seinen Einstand bei ECM mit einem Doppelalbum gegeben. Auf der einen CD präsentierte sie sich mit ihrem Trio, auf der anderen mit einer 13-köpfen Formation. “Dieses Debüt setzt fraglos ein Ausrufezeichen”, meinte Josef Engels damals in Rondo. “Aber trotz dieses enormen Aufwands hat Mette Henriettes Einstand so gar nichts Auftrumpfendes. Im Gegenteil: Zerbrechlichkeit, Stille und extreme Introvertiertheit dominieren das Geschehen. ‘Breathe’, wie eines der Stücke Mette Henriettes heißt, hätte mit einigem recht auch der Titel der Gesamtaufnahme sein können.” Auf ihrem zweiten Album “Drifting” ist die junge Norwegerin nun ausschließlich mit ihrem Trio zu hören: mit von der Partie ist erneut Pianist Johan Lindvall, während die Cellistin Katrine Schiøtt durch ihre australische Instrumentalkollegin Judith Hamann ersetzt wurde.
Das neue Album ist von Trio-Gesprächen mit eigenwilligem und originellem Ausdruck durchdrungen. “‘Drifting’ ist eine lebendige Momentaufnahme”, sagt Mette. “Ich kann hören, wie auf der Platte alles noch wächst – in Bewegung ist – und wie präsent meine Fantasie ist. Bevor wir diese Aufnahmen machten, hatte ich viel Zeit, mich hinzusetzen und mich auf diese neue Musik zu konzentrieren. Ich wollte von Anfang Material erschaffen, das wachsen, sich in verschiedenen Formaten ausdehnen und kontrahieren kann.”
Mettes kammermusikalische Ausarbeitungen sind von konzentrierter und exploratorischer Beschaffenheit und werden von subtilen, doch intensiven Interaktionen geprägt. Motive und wiederkehrende Muster kristallisieren sich heraus und offenbaren ein prägnantes, verschachteltes Narrativ. Mette weist darauf hin, dass “dieses Album in Bewegung ist. Es ist auf dem Weg nach irgendwo und hat sein eigenes Tempo.- durch seine kreativen Mittel unterscheidet es sich grundlegend von dem, was ich bisher gemacht habe.”
Der Unterschied manifestiert sich nicht nur in der personellen Umbesetzung, sondern außerdem in der Struktur und dem kompositorischen Design dieser Liedersammlung. Sie ist gleichzeitig ein planvolles Programm mit einem fesselnden instrumentalen Narrativ und eine Spielwiese für Impulse und Improvisationen. Auf diese Weise gelingt es Mette, auf “Drifting” eine Verbindung zu den tieferen Prozessen in ihrem musikalischen Bewusstsein herzustellen und ein Licht auf die Mechanismen hinter ihren musikalischen Erfindungen sowie die Diktion ihrer musikalischen Sprache zu werfen. “Im Kompositionsprozess ist es für mich ist es ein sehr wichtiges Werkzeug, Ideen so weit reifen zu lassen, dass sie anfangen, ein Eigenleben zu entwickeln”, merkt Mette an. “Dann kommen die Dinge in verschiedenen Stücken spontan an die Oberfläche und beginnen, sich miteinander zu verbinden. Und ich spiele in der Musik gerne mit Präpositionen. Ich mag es, verschiedene Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, mit Vorder- und Hintergrund zu spielen, Elemente neu zu positionieren und Arrangements umzudrehen. So ergeben sich für mich verschiedene improvisatorische Möglichkeiten.”
Einige dieser Verbindungen lassen sich etwa in den korrespondierenden zögerlichen Pulsen und geistesverwandten melodischen Themen von “Across The Floor” und “Chassé” entdecken. Oder zwischen “I villvind” und “Rue du Renard”, die beide auf schwungvollen Klavierarpeggien und ähnlich dringlichen dynamischen Wellen basieren. Dann wiederum präsentiert das Trio in Stücken wie “Drifting”, “Oversoar” und “Indrifting You” seine reiche Klangfarbenpalette innerhalb weit ausgreifender, nicht-repetitiver Strukturen, die voller sich ständig verändernder tonaler Spannungen sind. Judith Hamann brilliert dort mit kühnen Cello-Flageoletts, Johan Lindvall mit unterschiedlichen akkordischen Rahmungen und Mette mit ihren charakteristischen, weit ausholenden Saxofon-Erkundungen.
“Drifting” wurde im kürzlich umgezogenen Munch-Museum in Oslo aufgenommen und in den Studios La Buissonne in enger Zusammenarbeit mit Produzent Manfred Eicher fertiggestellt. Eichers “intuitives und vollkommenes Verständnis” ihrer Musik hatte dabei, wie Mette betont, maßgeblichen Einfluss auf die Form und den Klang von “Drifting”.