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Lee Konitz & Dan Tepfer – Momentaufnahmen eines ungewöhnlichen Duos

Seit rund zehn Jahren bilden der legendäre Altsaxophonist Lee Konitz und der junge Pianist Dan Tepfer ein musikalisches Gespann. Mit dem Album “Decade” ziehen sie nun eine Bilanz.
Lee Konitz & Dan Tepfer
Lee Konitz & Dan TepferJosh Goleman
02.07.2018
24 Jahre jung und frisch in New York angekommen war Pianist Dan Tepfer, als er 2006 dem damals 79-jährigen Altsaxophonisten Lee Konitz vorgestellt wurde. Zustande gekommen war der Kontakt über Tepfers französischen Mentor Martial Solal, der in den 1970ern und 80ern selbst einige aufsehenerregende Duo-Alben mit Konitz eingespielt hatte. Trotz des enormen Altersunterschieds sprang der Funke zwischen Tepfer und Konitz sofort über. Und schon wenige Monate später gaben sie in der New Yorker Jazz Gallery ihr erstes Duo-Konzert. 2009 erschien das erste gemeinsame Album “Duos With Lee”. Jetzt feiern sie auf “Decade” ihre seit über zehn Jahren bestehende nicht alltägliche musikalische Partnerschaft und Freundschaft.
“In den vergangenen Jahren haben Lee und ich oft darüber geredet, eine weitere Duo-Platte zu machen”, sagt der in Paris geborene Pianist. “Unser erstes, ‘Duos With Lee’, nahmen wir 2008 auf. Und unsere musikalische Komplizenschaft hat sich seitdem entwickelt und vertieft. Wenn man über zehn Jahre hinweg Tourneen durch die ganze Welt unternimmt, bleibt das wohl nicht aus. Ich bin auch als Musiker gereift. 2008 war ich erst 26 Jahre alt, Lee 81. Als wir anfingen diese Platte zu machen, ging Lee schon stramm auf die 90 zu, und ich war fast Mitte dreißig. Es war einfach an der Zeit, wieder aufzunehmen.”
Wie sehr die Chemie zwischen den beiden stimmt, spiegelt sich darin wieder, dass alle Stücke bis auf eine Ausnahme – den Johnny-Green-Klassiker “Body And Soul” – freie Improvisationen sind. Die meisten entstanden zwischen 2015 und 2016 spontan bei kurzen Aufnahmesessions im Yamaha-Klaviersalon in Manhattan. Um ohne jeglichen Druck arbeiten zu können, verwendete Tepfer dabei sein eigenes Aufnahme-Equipment.
“Stil war mir noch nie sonderlich wichtig”, meint Tepfer. “Ich bin in Frankreich zweisprachig in einer amerikanischen Familie aufgewachsen. Das mag erklären, warum ich mich immer mehr mit dem Inhalt als mit der Form beschäftigt habe, mehr mit dem, was gesagt wird, als mit der Sprache, in der es ausgedrückt wird. Daher habe ich in meiner Musik zunehmend verschiedene Ausdrucksmittel ausprobiert, um die Botschaft stärker vom Medium zu isolieren.”
Diese Experimentierlust, die auch Lee Konitz in seiner gesamten Karriere umgetrieben hat, manifestiert sich besonders in dem Stück “Through The Tunnel”. Konitz ist hier ausnahmsweise am Sopransax zu hören, während Tepfer ein sogenanntes Disklavier spielt, für das er Computer-Algorithmen entwarf, auf die beide bei der Improvisation reagieren. Konitz ließ sich am Ende des Stücks sogar zu einer kuriosen Gesangseinlage hinreißen. Bei einer Session, die auf den 11. September 2015 gefallen war, schlug Lee vor, der Ereignisse zu gedenken, die vierzehn Jahre zuvor die Welt erschüttert hatten. So entstand ihre “9/11 Suite”, die sie den Opfern der Terroranschläge widmeten. Die Solostücke “Alter Ego”, “Egos Alter” und “Eager Altos” waren wiederum 2010 in Konitz' Apartment aufgenommen worden. Tepfer hatte die Idee, den Altsaxophonisten per Overdub-Verfahren mit sich selbst kommunizieren zu lassen. 2015 schlug Lee dann vor, dass Tepfer seine Solonummern “Pulsing Orange” und “Pulsing Green” im selben Modus einspielen sollte.
“Das Gefühl der Entdeckung – ist es nicht das, wofür die Improvisation da ist?”, fragt Tepfer abschließend. “Wenn es etwas gibt, das ich in all der Zeit mit Lee gelernt habe, ist es, dass einem jeder Moment eine Chance bietet, Präsenz zu zeigen, zu kommunizieren, etwas Bedeutungsvolles beizutragen, zu entdecken – und dass man solche wertvollen Gelegenheiten nicht vergeuden sollte. Lee legt in dieser Hinsicht die Messlatte sehr hoch. Seine kindliche Begeisterung für das harmonische Zusammenspiel mit einem anderen Menschen, für die Erschaffung einer ausgewogenen Melodie, für eine echte musikalische Konversation – Dinge, die immer wieder neu entdeckt werden müssen -, diese Freude hat bei ihm in den elf Jahren, die ich nun schon mit ihm spiele, kein bisschen nachgelassen und scheint jetzt, wo er die 90 Jahre überschritten hat, in mancher Hinsicht sogar noch ausgeprägter zu sein.”