Keith Jarrett, Gary Peacock und Jack DeJohnette bilden wohl das einzige Trio in der Welt, das einen ganzen Konzertabend mit immer neuen Interpretationen ein und desselben Songs bestreiten könnte, ohne daß einem auch nur eine Sekunde langweilig werden würde. Auf “The Out-Of-Towners” übertrifft das Trio einmal mehr sich selbst.
Es gab und gibt im Jazz weder ein beständigeres noch großartigeres Trio als jenes, das der Pianist Keith Jarrett im Januar 1983 mit dem Bassisten Gary Peacock und dem Schlagzeuger Jack DeJohnette aus der Taufe hob. Seit die drei damals ihr erstes Album “Standards, Vol. 1” einspielten, betrachten progressivere Jazzfans die von ihnen zuvor oft geschmähten Klassiker des “Great American Songbook” mit ganz anderen Augen. Im vergangenen Jahr feierte das längst nur noch als Standards-Trio firmierende Star-Ensemble mit der Veröffentlichung seines sechzehnten Albums “Up For It” sein 20jähriges Jubiläum. Und von Abnutzungserscheinungen oder Fluchten in die Routine ist bei Aufnahmen und Konzerten des Trios noch immer keine Spur zu entdecken. Statt dessen scheint es, als würden sich die drei immer wieder neu erfinden und übertreffen.
“The Out-Of-Towners” heißt das neueste Opus des Trios, das wie die Mehrzahl seiner Vorgänger bei einem Konzert mitgeschnitten wurde. Dieses fand am 28. Juli 2001 in der Bayerischen Staatsoper in München statt. “Das Auditorium spürt die Einzigartigkeit dieser Nacht. Alle haben sich erhoben und applaudieren frenetisch und rufen, schreien in Richtung Bühne”, beschrieb Michael Naura in der Wochenzeitung Die Zeit damals die Atmosphäre und schloß seinen Konzertbericht mit einem Rilke-Zitat: “…und waren Könige von Klängen. Und mild und tief und meisterlich.” Treffender hätte man es kaum formulieren können.
Jarrett selbst sagte wenig später in einem seiner seltenen Interviews, daß das Trio in den letzten paar Jahren eine Art Metamorphose durchlaufen hätte. Diese war nicht zuletzt auf die lange und schwere Krankheit des Pianisten zurückzuführen, die ihn 1996 aus heiterem Himmel traf. Durch sie bedingt konnte er zunächst längere Zeit überhaupt nicht spielen. Und als er physisch endlich wieder dazu in der Lage war, mußte er vor seiner Rückkehr zur Bühne erstmals seit Ewigkeiten wieder üben. Seine Finger hatten, wie Jarrett es ausdrückte, ihr Erinnerungsvermögen verloren. Und dieser “Gedächtnisverlust” gab ihm schließlich die Möglichkeit zu einem grundlegenden Neustart, der in seinem heutigen Spiel reflektiert wird.
Die beiden Grundingredienzen der Musik mögen unverändert Jazzstandards und freie Improvisation sein, dennoch klingt das Trio heute paradoxerweise zugleich viel freier und wesentlich pointierter. Neben Standards wie Cole Porters “I Love You” und Gerry Mulligans “Five Brothers” gibt es auch Nummern wie das Titelstück zu hören, die ihre Entstehung der spontanen Erfindungsgabe der drei Protagonisten verdanken. Den krönenden Schlußpunkt dieses fabelhaften Trio-Albums setzt Jarrett mit einer solistischen Darbietung der Ballade “It’s All In The Game”. Das Stück wirkt wie ein Nachtrag zu dem Soloalbum “The Melody At Night, With You”, das Keith Jarrett in der Zeit aufgenommen hatte, als er unter dem chronischen Erschöpfungssyndrom litt.
Das Münchner Konzert war eines der ersten, daß der Pianist nach seiner Rekonvaleszenz gab. Daß er sich allerdings gleich in solch glänzender Form präsentieren würde, hatte damals wohl niemand erwartet. Die Könige der Klänge setzten sich majestätischer denn je in Szene.
“Unter den Klaviertrios des aktuellen Jazz beansprucht die Combo um Keith Jarrett, den Kontrabassisten Gary Peacock und den Schlagzeuger Jack DeJohnette seit jeher das Prädikat Sonderklasse”, so Stefan Hentz in der Financial Times Deutschland. “Und mit ‘The Out-Of-Towners’, dem nun endlich veröffentlichten Mitschnitt dieses Konzerts, unterstreichen sie den Anspruch. Lässig und intensiv driften sie durch das Reich ihrer Musik, graben sich für einen Moment in die innere Mechanik einer Standardballade, ringen ihr im nächsten einen Ausflug in tonal angespannte Klangbezirke ab, die sie mit raffiniertem Swing und dem Klangfarbenreichtum einer erstaunlich vielfältigen Palette kolorieren. … Aus der Ruhe und Vertrautheit einer Zusammenarbeit, die schon mehr als 20 Jahre überdauert, spielt dieses Trio frisch und frei, rein und eigensinnig, wie direkt aus der Quelle des Jazz heraus.”
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