Keith Jarrett | News | Ein ausgeschlafenes Quartett

Ein ausgeschlafenes Quartett

Keith Jarrett Sleeper
Keith Jarrett Sleeper© Terje Mosnes/ECM
15.11.2012
“Das unbekannte Meisterwerk” titelte Karl Lippegaus in der SZ, als er dort das Doppelalbum “The Sleeper” von Keith Jarrett und Jan Garbareks “Belonging”-Quartett vorstellte. Und sein Kollege Volker Doberstein schwärmte in tonart von “telepathischem Interplay in Vollendung”.

Text: Jörg Eipasch | Fotos: Daniela Yohannes / Patrick Hinely / Terje Mosnes

33 Jahre lang hatten diese Live-Aufnahmen des bahnbrechenden Ensembles in den Tonarchiven geschlummert. Dann veröffentlichte sie ECM-Produzent Manfred Eicher endlich auf der Doppel-CD “Sleeper”. Und besser, das belegen die Lobeshymnen der Kritiker, hat man dieses inspirierte Ensemble noch nie zuvor gehört!

In den 1970er Jahren stieg Keith Jarrett endgültig zu einem der ganz großen Stars der globalen Jazzszene auf. Das verdankte er zum einen natürlich seinen atemberaubenden, improvisierten Solokonzerten, die er bei dem jungen Münchner ECM-Label auf Platte herausbrachte, aber auch der Zusammenarbeit mit zwei auf den ersten Blick gar nicht so verschiedenen Ensembles. Das eine war sein amerikanischem Quartett mit Dewey Redman, Charlie Haden und Paul Motian, das andere das europäische Gegenstück mit Jan Garbarek, Palle Danielsson und Jon Christensen. Von letzterem kamen nur vier Alben heraus, die natürlich auch Jarretts norwegische Partner – allen voran Jan Garbarek – ins internationale Scheinwerferlicht katapultierten.

Durch “Sleeper” wird die schmale Diskographie des Quartetts, die bisher aus den zwischen 1974 und 1979 aufgenommenen Alben “Belonging”, “My Song”, “Nude Ants” und “Personal Mountains” bestand, bedeutend erweitert. Die Nummern, die das Quartett am 16. April 1979 im Nakano Sun Plaza in Tokio spielte, waren bis auf eine Ausnahme Kompositionen, die Jarrett eigens für diese Besetzung geschrieben hatte: “Personal Mountains”, “Innocence”, “Oasis”, “Chant Of The Soil”, “Prism” und ”New Dance”. “So Tender” hatte der Pianist schon 1972 zu Airto Moreiras Album “Free” beigesteuert. “Prism” und “So Tender” nahm Jarrett später auch noch einmal mit seinem “Standards”-Trio auf. Hier werden sie alle nun mit enormer Verve interpretiert. Das Quartett war dafür bekannt gewesen, dass es verstand, innerhalb der melodischen und rhythmischen Strukturen, die Jarretts Kompositionen vorgaben, sehr frei und ausgelassen zu spielen, mit einem außerordentlichen und ungezwungenen Sinn für musikalischen Fluss. “Ich selbst, als so genannter Leader, wünsche mir sehr, sehr oft mit den anderen drei Musikern zu verschmelzen”, sagte Jarrett damals, “und diese Konstellation erlaubt mir das, weil hier niemand gegen den anderen ankämpft. Jeder versucht einfach nur, die ganze Sache transparent und klar zu machen und sich wohl zu fühlen.”

“‘Sleeper’ ist ein einmaliger Moment in der Jazzgeschichte”, meint auch Wolf Kampmann in der Jazzthetik, “ein Juwel, eine Platte, die weit über den Jazz-Kanon hinauswirkt und vor allem jüngeren Protagonisten des gehobenen Straight Ahead Jazz nachhaltig vor Augen hält, was es bedeutet, ohne jede Rücksicht auf den Einzelnen im Kollektiv zu explodieren.”
Mehr von Keith Jarrett