Keith Jarrett | News | Concerts Bregenz/München - “Herkulische” Solodarbietung von Keith Jarrett

Concerts Bregenz/München – “Herkulische” Solodarbietung von Keith Jarrett

Keith Jarrett
Keith Jarrett© Rose Anne Colavito / ECM Records
12.11.2013
“Die Bregenz/München-Konzerte waren Jarretts bis dahin brillanteste Live-Aufnahmen”, meinte Jarrett-Biograph Ian Carr einst über “Concerts Bregenz/München”, “sein Inspirationsgrad ist absolut außergewöhnlich, und die Musik besitzt eine größere musikalische und emotionale Bandbreite als je zuvor. Er geht fabelhafte Risiken ein, bewegt sich stets am Limit.” Insofern war es für Jarrett-Fans eine nicht geringe Enttäuschung, dass ECM die CD-Ausgabe 1982 auf die Aufnahmen beschränkte, die am 28. Mai 1981 im Festpielhaus in Bregenz entstanden waren. Bei jedem Jubiläum des Künstlers oder der Plattenfirma hofften sie, dass endlich beide Konzerte zusammen auf CD wiederveröffentlicht würden oder zumindest das fehlende Konzert, aufgezeichnet am 2. Juni 1981 im Münchner Herkulessaal, auf CD herauskäme. Nun ist soweit: “Concerts Bregenz/München” erscheint in einem Box-Set mit drei CDs, die erstmals die gesamten Originalaufnahmen der ursprünglichen Vinylversion enthalten.

Mit dem Mitschnitt der beiden Konzerte lieferte Keith Jarrett 1982 sein für geraume Zeit letztes Piano-Soloalbum ab. In den folgenden Jahren widmete er sich – nach einer kurzen Auszeit – stattdessen der Interpretation klassischer Musik und ab 1983 dem äußerst intensiven und fruchtbaren Zusammenspiel mit einem neugegründeten Ensemble: dem “Standards”-Trio mit Bassist Gary Peacock und Schlagzeuger Jack DeJohnette. Erst 1987 sollte Keith Jarrett sich mit dem in Japan aufgezeichneten Live-Album “Dark Intervals” wieder als Solist auf der Szene zurückmelden.

“Jarretts Kunst liegt im Gestus, nicht im Material”, schrieb Peter Ruedi damals in seinen Liner Notes zu “Concerts Bregenz/München”. “Wer (wie Zuhörer aus dem Bereich der abendländischen E-Musik) diese Solokonzerte auf die Herkunft der einzelnen musikalischen Partikel hin anhört, wer den Blick auf das Geschiebe richtet, das dieser Bewusstseinsstrom mitführt, statt auf die Bewegung, ist verloren. Ihm entgehen ob der Versessenheit aufs Detail (die Inhalte, die déjà-entendues) die eigentlichen Sensationen dieser Himmel- und Höllenfahrten: die großen Atembögen, die irritierenden Wendungen der expressiven Melodielinien, die Verschattungen der scheinbar simplen, von der abendländischen Musikgeschichte ausgeborgten Akkorde, die Brechungen des Wohlklangs. Vor allem entgeht einem solchen Zuhörer die Radikalität von Jarretts Meta-Eklektizismus (der alles andere ist als ein ironisches Spiel mit Versatzstücken aus dem Fundus der Musikgeschichte): die Ausweitungen und Schrumpfungen von Texturen, Rhythmen, Melodieformen, Klangkonstellationen. Jarretts Ausgangsmaterial ist oft eingängig. Wie er es einsetzt, ist kühn. Es geht ihm, dem Fundamentalisten, gewissermaßen um Emotionalität an sich. Das Material, könnte man zugespitzt sagen, hat nur noch die Funktion, diese Emotionalität sichtbar zu machen, wie Feilenspäne die Linien eines Kraftfeldes.”
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