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Vocoder auf Vinyl – Robert-Glasper-Album jetzt auch als LP

Robert Glasper  - ArtSience
Robert Glasper - ArtSience
14.10.2016
“A perfect union of contrary things” – der Biographie-Titel eines Musiker-Kollegen fasst perfekt zusammen, was Robert Glasper und sein Quartett namens Experiment auf ihrem mittlerweile dritten Album veranstalten. Passenderweise trägt der, wie die Vorgänger früher oder später wahrscheinlich auch Grammy prämierte, Longplayer den Titel “ArtSience”, und macht mit der Verbindung der beiden vermeintlichen Gegensätzen Kunst und Wissenschaft klar, dass Widersprüche zentrales Thema des Albums sind.
Als sprachliches Stilmittel bewährt sich das Oxymoron seit mindestens zweitausend Jahren. Musikalisch allerdings erscheint die Umsetzung von “Hassliebe”, “Flüssiggas” oder “Fleischsalat” alles andere als einfach. Zwar hatten Glasper und seine Mitstreiter – Derrick Hodge am Bass, Mark Colenburg am Schlagzeug und Casey Benjamin an Mikros und Saxophonen – bereits auf der vorausgegangenen zweiteiligen “Black Radio”-Albumserie den Versuch unternommen, Dinge unter einen Hut zu bekommen, die nicht zwangsläufig unter einen solchen passen; auf beiden Alben hatte sich das Quartett jedoch zu Gunsten der zahlreichen und vor allen Dingen singenden Gast-Künstler zurückgenommen, war quasi freiwillig in den Schatten der Feature-Stars getreten.
Auf dem so gut wie gastfreien “ArtScience” – bis auf den Turntablisten Jahi Sundance und den Sechssaiter-Spezi Michael Severson auf einigen wenigen Tracks – zeichnet das Robert Glasper Experiment alleinverantwortlich. Und wagt mehr denn je. Das gilt insbesondere für den mutigen Einsatz des Vocoders. Der Vocoder-Effekt, mit Hilfe dessen eine Stimme polyphon modifiziert werden kann, erlebt in den letzten Jahren eine Renaissance im Mainstream-Pop und ist so wie auf Glapers “ArtScience” wohl noch auf keinem Jazz-Album zum Einsatz gekommen. Insbesondere auf “Human” – die an Cover-Versionen nicht arme Diskographie Robert Glaspers erhält mit der Human-League-Appropriation einen weiteren Eintrag – zeigt sich, wie schmal der Grat ist, der sich zwischen Pop, Jazz, modernster Technik und traditioneller Improvisation auftut. Dem Robert Glasper Experiment gelingt der Balanceakt trotzdem.
Ungewöhnlich andersartig ist die Veröffentlichung aber auch bezüglich anderer Facetten. Statt der hochgradig komplexen und aufwendig bearbeiteten Foto-Collagen der Vergangenheit, mutet das Cover von “ArtScience” fast schon kindlich an: Ein handgemalter Cartoon zeigt die vier Mitglieder des Quartetts vor einer Schultafel, auf der wiederum der Album-Titel steht. Der Interpretenname scheint wie mit Kohlestift geschrieben. Und sogar das berühmte Blue Note Logo ist nachgezeichnet. Feinheiten, die  auf dem großformatigen LP-Cover selbstverständlich viel besser zum tragen kommen. So zum Beispiel auch die Aufschrift auf dem T-Shirt, das die Robert-Glasper-Figur auf dem Cover trägt:  “Rap minus Lies = Hip-Hop”.
Apropos Vinyl: Dass Glasper es sich nicht hat nehmen lassen, das Album in seiner über 70-minütigen Gänze auf wertiges Gatefold-Doppel-Vinyl pressen zu lassen, ist selbstverständlich großartig. Daran ändert der fehlende Download-Code genauso wenig wie die komplett informationslosen Innenhüllen – oder sind die wichtigen Sachen vielleicht einfach nur in weiß auf weiß gedruckt? – Gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass die Wortarmut zum ästhetischen Konzept gehört. Denn auch das Aufklappcover enthält kaum mehr als das Nötigste. Down-To-Earth, Hands on, keine Fisimatenten: Der Nimbus vom eigens Handgefertigten durchzieht sämtliche Aspekte des Albums wie ein roter Faden.
Das Album “ArtScience” ist erhältlich bei JPCAmazon und Saturn und unseren Vinyl-Spezialisten.
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