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“Tone Poet”-Serie: Die abstrakte Klangpoesie von Ornette Coleman

Erstmals erscheint in der von Fans und Kritikern gefeierten audiophilen “Tone Poet”-Vinyl-Reihe ein luxuriöses Boxset mit sechs LPs: “Round Trip: Ornette Coleman On Blue Note”.
Round Trip: Ornette Coleman on Blue Note (Tone Poet Boxset)
Round Trip: Ornette Coleman on Blue Note (Tone Poet Boxset)
03.02.2022
Dieses Boxset und weitere LPs der Blue Note Tone Poet Serie finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Seit die “Tone Poet”-Serie Anfang 2019 zum 80. Geburtstag von Blue Note lanciert wurde, sind in ihr schon rund ein halbes Hundert Alben auf audiophilem Vinyl wiederveröffentlicht worden. Jetzt erscheint mit “Round Trip: Ornette Coleman On Blue Note” erstmals ein Boxset, das sämtliche Aufnahmen enthält, die der Free-Jazz-Pionier und Multiinstrumentalist Ornette Coleman in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre für das Label von Alfred Lion und Francis Wolff gemacht hat. Das Boxset kombiniert die fünf Alben, die Coleman unter eigenem Namen für Blue Note eingespielt hatte – “At The ‘Golden Circle’ Stockholm, Vol. 1 & Vol. 2” (1965), “The Empty Foxhole” (1966), “New York Is Now!” (1968) und “Love Call” (1968) -, mit dem einzigen Blue-Note-Album, auf dem er damals als Sideman in Erscheinung getreten war (Jackie McLeans “New And Old Gospel” von 1967).
Produziert wurde “Round Trip” von Joe Harley, der die “Tone Poet”-Reihe schon von Beginn an betreut und dem sie auch ihren Namen verdankt. Gemastert wurden die Aufnahmen von Kevin Gray bei Cohearant Audio direkt von den originalen analogen Masterbändern. Für die Pressung auf 180-Gramm-Vinyl zeichnete Record Technology Incorporated (RTI) verantwortlich, während Stoughton Printing die Herstellung der luxuriösen “Old Style” Tip-On-Jackets übernahm, die in einen Hardcover-Schuber stecken. Abgerundet wird das Boxset durch ein Booklet mit seltenen Fotos und einem aufschlussreichen Essay des Jazzkritikers Thomas Conrad.
“Ich bin schon seit den späten 60er Jahren ein Fan von Ornette Coleman”, verrät Joe Harley, “und zwar seit der Zeit, als die Platten dieses Sets ursprünglich für Blue Note aufgenommen wurden. Wie sich herausstellte, ist [der heutige Blue-Note-Präsident] Don Was ein ebenso großer Ornette-Fan wie ich, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis wir unsere Köpfe zusammenstecken würden, um dieses Boxset zu planen. Ich liebe die frühen Platten, die Ornette für Atlantic gemacht hat… wer tut das nicht? Aber ich finde, dass Ornettes spätere Aufnahmen für Blue Note genauso wichtig sind, um seine musikalische Entwicklung besser zu verstehen.”
At The ‘Golden Circle’ Stockholm, Vol. 1 & Vol. 2 (1965)
1962 löste Ornette Coleman sein Quartett mit Don Cherry, Charlie Haden und Ed Blackwell auf, das in den drei vorangegangenen Jahren den Jazz revolutionierte hatte. Noch im selben Jahr fand Coleman in dem Bassisten David Izenzon und dem Schlagzeuger Charles Moffett neue musikalische Weggefährten, mit denen er in der zweiten Jahreshälfte von 1965 erstmals auf eine ausgedehnte Europa-Tournee ging. Während eines zweiwöchigen Engagements im Stockholmer Gyllene Cirkeln (Golden Circle) wurden im Dezember 1965 zwei elektrisierende Konzerte mitgeschnitten, die im darauffolgenden Jahr auf zwei Einzel-LPs veröffentlicht wurden: “At The ‘Golden Circle’ Stockholm, Vol. 1 & Vol.2”. In seinem Buch “The Freedom Principle” beschrieb der Coleman-Biograph John Litweiler die Aufnahmen 1984 als “brillante, optimistische und thematisch eng zusammenhängende Improvisationen”. Historisch sind sie außerdem, weil der Altsaxophonist sich hier zum ersten Mal als Trompeter und Violinist in Szene setzte.
The Empty Foxhole (1966)
Colemans erste Studioaufnahme für Blue Note war 1966 “The Empty Foxhole”. Und er nutzte die Gelegenheit gleich, um die Jazzwelt wieder einmal in helle Aufregung zu versetzen: denn am Schlagzeug präsentierte er seinen damals erst zehnjährigen Sohn Denardo. Dritter im Bunde war ein alter Bekannter: Bassist Charlie Haden. Die Musik ist ungeschliffen und explorierend mit tiefsinnigen Grübeleien und Ausbrüchen von unbändiger Spielfreude. Frei nach dem Motto “hart, aber herzlich”. Das Albumcover ziert ein abstraktes Gemälde, für das Ornette selbst den Pinsel geschwungen hatte. Und wie schon auf “At The ‘Golden Circle’ Stockholm” wechselt Coleman auch hier wieder gelegentlich vom Altsaxofon zu Trompete oder Geige.
New And Old Gospel (1967)
Seinen nächsten Auftritt bei Blue Note absolvierte Ornette 1967 als Sideman von Jackie McLean. Der Altsaxofonist, ein Wegbereiter des Hardbop, hatte sich zuvor schon auf Alben wie “One Step Beyond” und “Destination… Out!” auf avantgardistischeres Terrain vorgewagt (letzteres wurde gerade in der “Blue Note Classic Vinyl Edition” neu aufgelegt). Auf “New And Old Gospel” ging er im Zusammenspiel mit Ornette Coleman, der hier durchweg und ausschließlich als Trompeter agiert, Pianist LaMont Johnson, Bassist Scott Holt und Schlagzeuger Billy Higgins aber noch einen Schritt weiter. Während die A-Seite des Album aus McLeans beinahe 22-minütigem “Lifeline Medley” besteht, bietet die B-Seite mit “Old Gospel” und “Strange As It Seems” zwei aufregende Coleman-Kompositionen. In seiner AllMusic-Rezension konstatierte Thom Jurek: “Dies ist ein legendäres Blue-Note-Rendezvous, das in der großartigen Geschichte des Labels nicht oft genug erwähnt wird.”
New York Is Now! (1968)
Love Call (1968)
Seine beiden letzten Alben für Blue Note spielte Ornette Coleman am 29. April und 7. Mai 1968 bei Studiosessions mit einem ausgesprochen dynamischen All-Star-Quartett ein. Die Frontline bildete Ornette mit dem Tenorsaxofonisten Dewey Redman, mit dem er in seiner Jugend in der Band seiner Highschool in Fort Worth/Texas zusammengespielt hatte. Für den nötigen Drive sorgten wiederum Bassist Jimmy Garrison und Schlagzeuger Elvin Jones, die zwei Jahre zuvor noch das rhythmische Rückgrat des klassischen John Coltrane Quartet gebildet hatten. “New York Is Now!” enthält u.a. die beiden Coleman-Klassiker “Round Trip” und “Broadway Blues”, die ein gewisser Pat Metheny ein paar Jahre später für sein ECM-Debütalbum “Bright Size Life” aufnehmen sollte.
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