In der Regel stellen wir Ihnen in dieser Rubrik LP-Neuerscheinungen vor und geben Ihnen auch
Tipps, wo Sie diese pressfrisch kaufen können. Hier wollen wir uns aber ausnahmsweise Mal dem Markt mit gebrauchten Scheiben widmen. In Konkurrenz zum vertrauensvollen 2nd-Hand-Dealer an der Ecke hat sich das Internet nämlich längst zum ebenso wichtigen Marktteilnehmer entwickelt. Ist Vinyl also wirklich das “neue Öl”, wie manche behaupten? Wohl nicht, aber seit einiger Zeit auffallend gefragter als noch vor Jahren. Das weiß auch Mathias Gordon, und der hat immerhin eine Million Platten zu verkaufen. Als Gründer von
Recordsale, Europas größtem Online-Händler für 2nd-Hand-Vinyl, bleibt Gordon dem Schallplatten-Boom gegenüber allerdings gelassen. Im Interview mit unserem Autor Thomas Kühnrich erklärt er, wieso das der Fall ist und was man als Ankäufer von schwarzem Gold in manchmal 100.000-er Einheiten so alles erlebt.
THOMAS KÜHNRICH: Verglichen mit dem Klischee des “herkömmlichen Plattenhändler-Stereotyps” bist du ein ziemlicher Paradiesvogel.
MATHIAS GORDON: Naja, ich persönlich sehe mich überhaupt nicht als Paradiesvogel. Ich halte mich für eher normal spießig. Aber du hast recht, das Klischee des grumpy old man, der seine Kunden erziehen und missionieren will, das bin ich nicht. Ich habe nicht “Hi Fidelity” gesehen und mir dann gedacht: Das will ich auch. Ich habe “Hi Fidelity” gesehen und gedacht: Um Gottes Willen, bloß nicht…
TK: Wie konnte es dann passieren, dass du jetzt doch Schallplatten verkaufst?
MG: Ich bin ja nicht über die Schallplatte zum Schallplattenverkaufen gekommen, sondern über die Musik. Damit habe ich zu tun seit ich 18 bin. Ich habe Clubs betrieben, Konzerte und Tourneen veranstaltet, das Rock’n'Roll-Leben halt. Das ist mein Zugang zur Musik. Von der ich in letzter Zeit immer mehr mache – gleichzeitig aber immer weniger höre.
TK: Man kennt das.
MG: Wie bei den Iren: 63% schreiben Gedichte, 17% lesen welche. Na jedenfalls – meine Liebe hat immer der Musik gegolten. Und für mich ist selbst die Schallplatte auch nur ein Medium. Sie ist nicht das Ziel. Und auch nicht der heilige Gral. Der heilige Gral ist mit den Rolling Stones abzuhängen und rumzuklampfen.
TK: Du hast keine emotionale Bindung zu diesem Tonträgerformat?
MG: Jein. Die Platte ist und bleibt ein Medium, nicht die Musik selber. Andererseits frage ich Leute immer gern provokativ: Was ist denn deine erste Mp3 gewesen? Kein Mensch kann sich daran erinnern. Insofern kann ein physisches Medium hier Hilfestellung leisten, sich zu erinnern. Man kann es verschenken, man muss es transportieren, es steht dann und wann im Weg rum und man stößt sprichwörtlich drauf. Kurz: In der Welt, in der wir leben, kann die Schallplatte viel mehr bewegen, als eine Mp3. Es ist eben nicht egal, ob man eine CD oder eine LP hört. Und dabei geht es überhaupt nicht nur um Klangqualität. Alles hat Vor- und Nachteile. Und Vinyl als Tonträger hat – meiner Ansicht nach – erstaunlich viele Vorteile zu bieten. Trotzdem sehe ich es sachlich. Vinyl ist nicht das Nonplusultra.
TK: Das ist erstaunlich vor dem Hintergrund, dass du Recordsale 2004 gegründet hast. Da gab es ja noch nicht einmal den Record Store Day.
MG: Das war mir auch total egal.
TK: Welche sachlichen Argument haben dich 2004 denn davon überzeugt, dass jetzt die richtige Zeit wäre, Vinyl zu verkaufen?
MG: Spaß an Musik, ganz einfach. Ich wollte mit Leuten zusammenarbeiten, die auch Spaß daran haben. Wir wollten zusammen Schallplatten verkaufen, weil sie uns schon immer besser gefallen haben als CDs. Ob das damals hip war oder nicht, hat uns nicht interessiert. Das interessiert uns immer noch nicht. Übrigens: Den größten Vorteil aus dieser Vinyl-Hipness, den ziehen Amazon, Mediamarkt und Konsorten. Davon kommt nicht viel bei uns an. Wir haben seit 12 Jahren eher ein konstantes Wachstum. Die enorme mediale Präsenz des Mediums Schallplatte spiegelt sich bei uns nicht wieder.
TK: Das heißt, man kann sicher sein, dass alle Recordsale-Kunden einen Plattenspieler zu Hause haben…
MG: Ich habe neulich die erste Person in meinem Leben kennengelernt, die keinen hat. Ihre Platten stünden in einem Bücherregal, sagte sie.
TK: Ist ja auch was zum Lesen drauf.
MG: Jaja, sie sagte dann auch noch etwas von Geldanlage…
TK: Hach.
TK: Sie hatte eine David Bowie “Black Star” Erstpressung. Ich wollte ihr das am Ende dann nicht ausreden.
TK: Krass.
MG: Ich habe das von Händlern aus China gehört, die kaufen massenweise Klassik. Und die Platten verkauft man dann eher so wie Bilder und Gemälde. Die hängst du dann an eine Wand bei dir zu Hause.
TK: Verrückt. Verrückt ist auch, welchen Aufwand Recordsale betreibt, um das 2nd-Hand-Vinyl zu “graden”, d.h. sowohl die Plattenhülle, als auch das Vinyl selber in ihrer Zustandsqualität zu bewerten.
MG: Ich habe neulich für einen Kunden eine Tausend-Euro-Platte bestellt, bei einem Raritäten-Händler. Als die dann ankam, stellte sich raus, dass der sie viel besser bewertet hatte, als ihr optischer Zustand das zuließ. Daraufhin er: “Ich grade nur akustisch”.
TK: Ach was.
MG: Genau. Und hier hinter dir steht eine Sammlung von – keinen Namen bitte – einem der berühmtesten Sammler der Welt. Jede einzelne Schallplatte ist gegradet. Allerdings nur visuell. Keiner von diesen beiden Leuten hat verraten, dass er beim Grading immer jeweils eine Komponente komplett außen vor gelassen hat. Auch bei Recordsale werden nicht alle Ein-Euro-Scheiben in Gänze akustisch gegradet. Und was bei den anderen nicht gemacht wird, das wissen wir nicht. Ich glaube, wichtiger ist, wie die Händler sich verhalten, wenn Kunden nicht einverstanden sind mit dem Grading. Ob sie dann rumzicken oder nicht. Selbst beim rein akustischen Grading kommt es vor, dass mein Gegenüber komplett anderer Meinung sein kann. Und weil die Meinung da so auseinandergehen können, bin ich an der Stelle total radikal: Wenn jemand nicht zufrieden ist, dann kriegt der eine andere Pressung, sein Geld zurück, vielleicht sogar das Rückporto usw. Ich glaube, das ist entscheidender, als jede Patte von vorne bis hinten durchzuhören. Übrigens: So viele machen das eh nicht – wir schon. Aber nur bei teuren Platten. Und dann schreiben wir es auch dazu.
TK: Kannst du dich an die erste Platte erinnern, die du für mehr als tausend Euro verkauft hast – so nach dem Motto: Boah, vierstellig!?
MG: Ich kann mich an die erste Platte erinnern, für die ich mehr als tausend bezahlt habe.
TK: Die du für über tausend angekauft hast, um sie für über tausend und noch ein bisschen mehr wieder zu verkaufen?
MG: Ja. Nicht für mich. Ich habe nicht das Geld, um mir für über tausend Euro Platten zu kaufen.
TK: Und welche war das?
MG: Fourth Level Of Existence. Eine Griechische Prog-Band aus den 1970ern. Von kurz nach dem Ende der Militärjunta.
TK: Wow. Wie sieht eigentlich dein Alltag bei Recordsale aus? Hast du das letzte Wort bei kniffligen Gradings, im Umgang mit renitenten Kunden und: Wo und wie findest du die Leute, die Platten im großen Stil verscheuern, damit du sie dann ankaufen kannst?
MG: Gestern beispielsweise saß ich mit einem Mitarbeiter zusammen und wir haben uns mit Rolling-Stones-Rarities beschäftigt: “Counterfades”. “Counterfades”-Versionen, verschiedene Pressungen von der 65er-US-only Veröffentlichung zu unterschieden, Einschätzung hinsichtlich der Bewertungen vorzunehmen. Und so was. Dann kriege ich eine Nachricht von einem Kollegen aus Kolumbien rein, übers Handy, der sagt, hey, in Portland gibt es demnächst eine gute Sammlung aufzukaufen. Davon wird übrigens ein gutes Viertel rare Jazz-Platten sein. Und während der Händler in Portland noch im Bett liegt, versuche ich zu klären, wie man den Kauf realisieren könnte. Und dabei das Finanzamt so unglücklich wie möglich machen könnte. Dann brauche ich einen Kontakt in den Staaten, um den Verkäufer aus Portland, Oregon, persönlich zu sprechen. Online halte ich natürlich Ausschau nach weiteren Gelegenheiten. Außerdem braucht unsere eigene Online-Präsenz immer wieder Maintenance. Und dann gibt es immer wieder auch Sachen, die betreffen – ich würde mal sagen – Recordsale-Firmenpolitik: Was macht man mit den raren Platten? Haut man die sofort raus? Oder hängt man die erstmal ins Schaufenster? Ohne Preis?
TK: Das heißt: Ohne internationale Connections geht schon mal gar nichts? Du kannst dich nicht darauf verlassen, genug gute Ankäufe in Deutschland oder auch nur Europa tätigen zu können?
MG: Richtig.
TK: Du hast gerade die Recordsale-Website erwähnt, die vor ein paar Jahren komplett erneuert wurde. In Sachen Social Media allerdings seid Ihr noch nicht so aktiv, oder?
MG: War nie unsere Stärke. Nie unser Fokus. Hat sicher auch mit mir zu tun. Die Facebook-App habe ich letzte Woche erst wieder deinstalliert. Vielleicht ist das auch ein Punkt, der uns unterscheidet. Wir spammen niemanden zu, wir packen nicht noch 14 Gutscheine und Info-Flyer, die die Leute eh nicht interessieren, in unsere Pakete. Wir bleiben da sehr gerne schlank. Wenn wir was zu sagen haben, dann tun wir das. Wenn nicht, schweigen wir.
TK: Das hätte den Wittgenstein gefreut. Gab es eigentlich Künstler, die dir den Verkauf von bestimmten Platten verbieten wollten?
MG: Ob das jetzt die Künstler waren, oder ihre Anwälte, das weiß ich nicht. Aber es gibt eine große Kanzlei in Deutschland, die sind sehr bekannt für ihre Abmahn-Aktivitäten. Die sind übrigens auf mehreren Abmahn-Märkten unterwegs. Unter anderem auf dem, der da lautet: Privater oder gewerblicher Verkauf von illegalen Schallplatten, also Bootlegs. Und wir erhalten dann die Aufforderung, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Für den günstigen Preis von ca. 1.000 Euro schicken die dann den Serienbrief raus. Von denen haben wir schon viel Post bekommen. Da würde ich auch gerne die Künstlernamen nicht erwähnen…
TK: Ist halt so.
MG: Schmeißfliegen gibt’s auf jedem Klo.
TK: Hast Du ein Lieblingscover bzw. Schallplatten-Gimmick? Der Papier-Schlüpper bei Alice Cooper zum Beispiel…
MG: Lass mich überlegen.
(Überlegt lange).
MG: Doch. Naja, das ist jetzt nicht unbedingt ein Gimmick. Aber von Durutti Column, dieses Schmirgelpapier-Cover für
“The Return Of The Durutti Column” . Das war so eine geile, destruktive Idee. Wir machen unser Cover aus Schmirgelpapier – dann sind die Cover, die im Plattenladen davor und dahinter stehen, nämlich kaputt. Das fand ich toll. Aber ein richtiger Gimmick ist das auch nicht. In Russland in den 1990ern, da war ich noch als Tourmanager unterwegs, da gab es eine Band, die hatten ihr Demo auf Kassette, aber die steckte in einer Verpackung aus Blei. Die haben dir die Kassette gegeben, und dir sind die Arme nach unten gefallen, so scheiß-schwer war das. Die hießen Caibu oder so ähnlich. Das ist aber nicht jugendfrei.
TK: Alles klar. Ich find’s trotzdem raus. Danke für das Interview.