Jakob Bro | News | Von Herzen kommend und äußerst originell: Hommage an Paul Motian

Von Herzen kommend und äußerst originell: Hommage an Paul Motian

Auf “Once Around The Room” zollen Jakob Bro und Joe Lovano mit einem außergewöhnlichen “Mini-Orchester” dem Schlagzeuger und Komponisten Paul Motian Tribut.
Jakob Bro, Joe Lovano
Jakob Bro, Joe Lovano
03.11.2022
Als einfühlsamer Schlagzeuger, fantasievoller Komponist und wunderbarer Bandleader hat Paul Motian ganze Generationen von Jazzmusikern inspiriert, vor allem natürlich all jene, die einmal das Privileg hatten, mit ihm persönlich zusammenzuarbeiten. So wie der dänische Gitarrist Jakob Bro und der US-amerikanische Tenorsaxophonist Joe Lovano. Ende vergangenen Jahres taten sich die beiden zusammen, um ihrem 2011 verstorbenen Freund und Kollegen gemeinsam eine aus tiefstem Herzen kommende und äußerst originelle Hommage zu widmen: “Once Around The Room – A Tribute To Paul Motian”.
Für dieses sehr spezielle Projekt stellte Bro eine wirklich außergewöhnliche Band zusammen, die Lovano treffend als “Mini-Orchester” bezeichnet. Das Ensemble, das sich am 22. November 2021 (auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Tod von Paul Motian) im Kopenhagener The Village Recording Studio einfand, bestand neben den beiden Hauptprotagonisten aus drei Bassisten (Larry Grenadier und Thomas Morgan am Kontrabass sowie Anders Christensen an der Bassgitarre) und zwei Schlagzeugern (Joey Baron und Jorge Rossy), allesamt Musiker, die in den vergangenen Jahren in verschiedenen Kombinationen zusammengearbeitet und für ECM aufgenommen haben. Neben je zwei von Motian beeinflussten Originalen aus der Feder von Bro und Lovano bietet “Once Around The Room” eine Gruppenimprovisation und eine besonders dynamische Interpretation der alten Motian-Komposition “Drum Music”.
Lovano – der dreißig Jahre lang (von 1981 bis 2011) gemeinsam mit dem Gitarristen Bill Frisell in Motians unvergleichlichem Trio tourte und Aufnahmen machte – erklärt den Titel des neuen Albums folgendermaßen: “Paul joggte fast jeden Tag um den als The Reservoir bekannten See im New Yorker Central Park, und er hatte ein Stück geschrieben, das sich auf dieses Ritual bezog: ‘Once Around The Park’. Bei den Aufnahmen in Kopenhagen waren wir alle in einer Art Kreis im Studio versammelt, so dass es uns, wenn wir die Stücke und unsere Soli spielten, vorkam, als würden wir im Raum herumgehen.” Dann fügt Lovano an, was er durch die enge Zusammenarbeit mit Motian gelernt hat: “Jedes Mal, wenn ich auf der Bühne oder im Studio stehe, denke ich über etwas nach, das ich von Paul gelernt habe: dass es in der Musik um tiefes Atmen und genaues Zuhören gehen sollte. Du solltest gleichzeitig führen und folgen, den Raum mit den anderen teilen und dich von der Musik tragen lassen. Es geht nicht so sehr darum, deine instrumentale Virtuosität zu demonstrieren, sondern vielmehr um die Kunst des Improvisierens, darum, den Augenblick voll zu erfassen und in der Musik wirklich präsent zu sein.”
Bro, der seinen Einstand bei ECM auf Motians Album “Garden Of Eden” gab, sagt: “Was ich an Pauls Musik so sehr liebte, war ihre ästhetische Empfindsamkeit, sowohl in der Art, wie er spielte, als auch in der Art, wie er komponierte. Ob er nun seine eigene Musik oder Standards spielte, es war immer klar, dass es Paul Motian war. Auch die Art und Weise, wie er Leute zusammenführte und seine Bands organisierte, war inspirierend. Aber für mich persönlich war das harmonische Universum von Pauls Kompositionen entscheidend bei meiner Suche nach etwas Individuellem in meinem eigenen Songwriting. Nach und nach ging ich dazu über, meine Stücke nicht mehr direkt mit denen von Paul in Verbindung zu bringen, sondern seinen Einfluss und seine Ideen eher mit einem nordischen Klang zu verbinden. Ich begann, mich auf die Musik meiner Kindheit zu beziehen, seien es Psalmen oder Volksweisen, und fing an, Brücken zwischen den Welten meiner verschiedenen Einflüsse zu schlagen. Pauls Inspiration hat mir geholfen, meine eigene Stimme zu entwickeln.”
Die erste Zusammenarbeit zwischen Bro und Lovano hatte sich 2009 ergeben, als der Saxophonist an drei Abenden im Copenhagen Jazzhouse mit dem Trio des Gitarristen auftrat, dem damals Anders Christensen und der Schlagzeuger Jakob Høyer angehörten. “Seit ich mich erinnern kann, war ich von Joe fasziniert: von seinem Sound, seinem rhythmischen Gespür, seinem Sinn für Ausdruck”, erklärt Bro. “Ich höre in Joes Spiel immer die tiefe Geschichte des Jazz. Aber gleichzeitig hat er seinen eigenen Ton und seine eigene Herangehensweise an die Musik. Auch seine Welt der Harmonien weist nach vorne.” Lovano erwidert das Kompliment, indem er auf den Sound des Gitarristen verweist – sein harmonisches Schimmern, die läutenden Linien und die geloopten Stimmungen. “Jakob ist in vielerlei Hinsicht ein großartiger Schüler von Bill Frisell, aber er hat seine eigenen Vorstellungen von der Musik und vom Leben”, sagt der Saxophonist. “Er ist kein ‘Leadgitarrist’ im eigentlichen Sinne – obwohl er das durchaus kann. Sein Ding ist eher ein orchestraler Sound, sehr kreativ. Und er hat wirklich entscheidend an der Konzeption dieses Albums mitgewirkt.”
Zu den Kompositionen, die Lovano zu “Once Around The Room” beisteuerte, gehört das in Art von Zwölftonmusik gehaltene und mit Bordunklängen gewürzte Stück “As It Should Be” (dessen Titel eine indirekte Anspielung auf “It Should’ve Happened A Long Time Ago” ist, das zeitlose Titelstück des ersten Albums des Trios Motian/Lovano/Frisell, das 1985 bei ECM erschien). Diese Nummer und Lovanos evokative Hommage “For The Love Of Paul” nutzen in hervorragender Weise das aufwühlende doppelte Schlagzeug, um die Dynamik des Ensembles zu verstärken; das Stück enthält auch einige der bewegendsten Momente von Lovano auf diesem Album sowie ein läutendes Solo von Bro. Der Gitarrist schrieb wiederum den balladesken “Song To An Old Friend” (bei dem Lovano den größten Teil der Melodie trägt) und das folkige “Pause”, bei dem Bros intimes Spiel im Sog der Bässe mitschwingt. Die Gruppenimprovisation “Sound Creation”, die aus einer anfänglichen Idee des Saxophonisten hervorgegangen ist, lotet den orchestralen Klang des Ensembles auf atmosphärische Weise aus, mit all den ineinander verwobenen Melodien, die im Moment erfunden wurden. In der Mitte des Stücks legt Lovano sein Tenorsax zur Seite, um eine Melodielinie auf dem osteuropäischen Rohrblattinstrument Tarogato zu spielen.
Bei “Drum Music”, der einzigen Motian-Komposition des Albums, treten Baron und Rossy sowohl allein als auch zusammen in Erscheinung; Bro steuert zu der Nummer eines seiner draufgängerischsten Soli bei, auf das Lovano mit einem eigenen schrillen Solo antwortet. “‘Drum Music’ war so etwas wie eine Erkennungsmelodie für Pauls Trio mit Bill und mir”, sagt der Saxophonist. “Wir spielten es gewöhnlich am Ende eines Sets, manchmal nur das Thema, manchmal eine Abwandlung davon. Auf dieser Platte haben wir uns so richtig in das Stück hineingekniet! Es ist ein kraftvolles Stück Musik.”
Im Rückblick auf die Session für “Once Around The Room” kommt Bro zu dem
Schluss: “Angesichts der Anzahl der Musiker in der Gruppe und des vollen Terminkalenders aller, grenzte es an ein Wunder, dass wir überhaupt einen Termin gefunden haben, an dem wir alle konnten. Und dann fiel dieser per Zufall auch noch just auf denselben Tag, an dem uns Paul verlassen hat. Ein anderes Wunder war, dass es in der Covid-Ära alle nach Kopenhagen geschafft haben, wo Anders und ich bereits warteten – Joe ist aus Paris eingeflogen, Larry aus London, Thomas aus New York, Jorge aus der Schweiz und Joey aus Berlin. Es kam uns fast schon surreal vor, als wir alle versammelt und bereit für die Aufnahmen waren – und trotzdem herrschte eine so warme und offene Atmosphäre im Studio. Wir hatten alle eine Verbindung zu Paul, und es kam uns so vor, als ob er irgendwie mit uns im Raum war.”
Am 9. November wird Jakob Bro im Trio mit Larry Grenadier und Jorge Rossy im Aachener Musikbunker auftreten und dabei sicher auch das eine oder andere Stück von “Once Around The Room – A Tribute To Paul Motian” live vorstellen.
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