Wenn man den Norweger Eivind Aarseth auf seinem neuen Album Électronique Noire in die Saiten greifen hört, meint man alles mögliche zu hören – nur keinen Gitarrensound: “Ich habe unendlich viel Rockmusik gehört”,sagt Gitarrist Aarset, “und ich wollte mich von den Rock’n'Roll-Klischees distanzieren, die animalische Urkraft des musikalischen Ausdrucks aber beibehalten. Wenn ich Gitarre spiele, hört sich das daher eher an wie das, was üblicherweise der Keyboarder beisteuert.”
Gegen Aarseth wirkt Feedback-Freak Jimi Hendrix wie ein blutiger Anfänger; der Norweger jagt seine Saitensounds durch Pre Amps, Harmonizer, Midicontroller, Volume Pedal, Vodoo Vibe, Wah-Wah und Power Amp, spielt über Marshall-Speaker ab, nimmt mit Shure-Mikrofonen auf und speichert dann alles auf der Harddisc seines Mac Quadra 950. Und als wäre das nicht schlimm genug, verfremdet er seine schrillen Sounds anschließend noch im High-Tech-Studio!
Bei aller klanglichen Düsternis hat Eivind Aarseth Spaß an seiner Arbeit. Für das norwegische “Maijazz”-Festival ’97 komponierte Aarseth im Winter 96/97 das Werk “7”. Im Sommer ’97 überarbeitete er die Stücke, spielte sie neu ein, mixte sie nochmals ab und schuf so sein erstes Soloalbum “Électronique Noire”. Zuvor spielte Aarseth auf rund 150 Alben, darunter Aufnahmen von Morten Harket (Ex-A-Ha-Frontmann), Arild Andersen, Dee Dee Bridgewater, Ray Charles, Ute Lemper, Cher und Nils Petter Molværs “Khmer”. Aarset wird den unterschiedlichen Ansprüchen seiner Auftraggeber stets gerecht: Er kann seine Gitarre flüstern und brüllen, säuseln und quietschen lassen, und er kann auch ganz reguläre Rock-Riffs reißen.
Wenn er aber darf, wie er will, dann verbringt er die Nächte in Studios und auf düsteren Club-Bühnen, feilt an Sounds und bastelt an Verzerrungen, bis schließlich ein faszinierender Mix aus dezentem Industrial-Lärm und fast schon harfenleichtem Jazz herauskommt (Aarseth: “Die ‘Harfe’ in dem Album-Opener ‘Dark Moisture’ sind sieben Gitarren, mit Volume Pedal und Fuzzface; ich habe mir dabei vorgestellt, Geige, Viola und Cello zu spielen”). “Électronique Noire” ist feingeistig wie Miles Davis' “Fahrstuhl zum Schafott”-Musik und (laut genug aufgedreht) hammerhart wie Metallica.
“Musik umgibt uns, immer und überall”, sagt Aarseth. “Ich nehme diese Eindrücke auf und nutze die verschiedensten Elemente, ohne zu analysieren, wie Genre und Stil jetzt scheinbar korrekt zusammengehören. Mich interessieren experimenteller TripHop, Ambient, Drum’n'Bass, aber auch Pop, Rock und Modern Jazz. Auf ‘Électronique Noire’ ist der Computer neben meiner Gitarre das meistbenutzte ‘Instrument’. Der Großteil der Stücke besteht aus digitalisierten Improvisationen, die erst nachträglich geordnet wurden.” Dennoch machen bei den neun Songs auf “Électronique Noire” auch jede Menge Gastmusiker mit, allen voran Aarseths Freund Nils Petter Molvær, dessen kehlig-metallische Trompetenklänge bereits “Khmer” zu einem musikalischen Ereignis machten.
“Das Album bewegt sich zwischen Filmmusik, Meditationsmusik, düsteren Moods und Elektro-Sounds”, sagt Aarseth stolz und greift dann wieder zur Gitarre, um stundenlang selbstversunken ungewöhnlichste Sounds auf DAT zu spielen, die dann irgendwann einmal den Grundstock zum nächsten derartigen Meisterwerk bilden könnten.