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Ungemein subtiles und fantasievolles Klavier-Trio

Auf seinem nunmehr vierten ECM-Album “Sphere” setzt sich das Bobo Stenson Trio vor allem mit Werken von skandinavischen Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts auseinander.
Bobo Stenson Trio
Bobo Stenson Trio
15.03.2023
Die gegenwärtige Inkarnation des Trios von Pianist Bobo Stenson mit Bassist Anders Jormin und Schlagzeuger Jon Fält ist nun schon seit beinahe zwei Jahrzehnten aktiv. Im Laufe dieser Zeit haben die drei Schweden zusammen vier Alben aufgenommen – wobei das neue bereits mit eingerechnet ist. Das erste war 2008 “Cantando”, auf dem Stenson einmal mehr zeigte, dass er ein breites Spektrum an Einflüssen und Idiomen abdeckt und seine neuen Mitmusiker von Anfang an nahtlos in seinen persönlichen Sound zu integrieren versteht. Im Guardian war damals zu lesen: “Nur wenige zeitgenössische Jazzgruppen schaffen es so wie das Trio des schwedischen Pianisten Stenson, eine Atmosphäre so eindrucksvoll aufrechtzuerhalten, oder durch ein so vielfältiges Material, das von Ornette Coleman bis Alban Berg reicht, so viele Stimmungen heraufzubeschwören.” Nicht weniger Lob erntete das Trio 2012 für das Nachfolgealbum “Indicum”, über das die New York Times meinte, dass Stenson “zu Recht für die Feinheiten seines Anschlag und seiner Stimmungen gepriesen wird”. Das dritte Album “Contra La Indecisión” wiederum wurde 2018 im BBC Music Magazine als “wunderschöne Session” bezeichnet, die ein Beweis dafür sei, “dass es in diesem Format noch viel zu erkunden und zu offenbaren gibt.” Weitere Offenbarungen und Beweise für die erlesene Kunstfertigkeit dieses Trios findet man nun zuhauf auf “Sphere”.
“Wir spielen keine ‘vorkonfektionierten’ Sachen”, erklärt Bobo Stenson. “Dinge kristallisieren sich im Moment heraus und wir richten uns daran aus. Und das ist es im Kern schon. Das ist das Schöne am Zusammenspielen, dass wir das Gleiche niemals zweimal machen und dass wir von diesem Grundsatz nicht abweichen.” Diese selbstbewusste Spielfreude und die Offenheit für die Spontaneität des Augenblicks bringen auf “Sphere” ein besonders gefühlsgeladenes Gebräu hervor, bei dem die drei Akteure durch leises und ruhiges Zusammenspiel mit sanften, aber behänden Akzenten eine ergreifende, nachdenkliche Atmosphäre heraufbeschwören. Der Improvisationsansatz des Trios zeugt von einem gesteigerten Gespür für Erfahrung und Beherrschung. “Als improvisierender Künstler muss man immer wieder erfahren, dass man sich einer Sache nie ganz sicher sein kann”, bestätigt Anders Jormin die Worte Bobo Stensons. “Man muss diese Ungewissheit annehmen und sich dessen sicher sein.”
Wie schon die drei vorangegangenen Alben wurde auch “Sphere” im Auditorio Stelio Molo in Lugano aufgenommen. Und die besondere Akustik des Studios wirkt sich auf den Klang des Trios aus, verstärkt den suchenden Charakter ihrer musikalischen Kommunikation. Wie Jon Fält anmerkt, ging das Trio diesmal mit “mehr Stücken als üblich” ins Studio und reduzierte das Material dort auf eine konzentrierte Sondierung von Originalen und Musik, die von Werken der skandinavischen Komponisten Alfred Janson, Per Nørgård, Sven-Erik Bäck und Jean Sibelius inspiriert ist. “Wenn wir ins Studio gehen, haben wir eigentlich immer mehr Material, als unserer Einschätzung nach auf ein Album passen würde”, sagt Anders Jormin, der diesmal zwei Stücke zum Repertoire beigesteuert hat. “Da wir improvisieren, weiß man also nie. Aber natürlich arbeiten wir dort auch mit Manfred Eicher zusammen, der selbst ein sehr kreativer Künstler ist. Also wird die Art, wie wir spielen, auch gemeinsam mit Manfred entwickelt.”
Das Ergebnis der fruchtbaren Partnerschaft zwischen dem Trio und dem Produzenten ist geprägt von ruhigen Bewegungen, einem leichten Ansatz und schneller Aktion, wobei ein Teil des Repertoires aus Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts stammt, die zu farbenfrohen Erkundungen von Tempo, Rhythmus und Klangfarbe umgestaltet und geformt wurden. “You Shall Plant A Tree” stammt von dem dänischen Komponisten Per Nørgård und war ursprünglich die Vertonung eines Gedichts des Poeten und Physikers Piet Hein. Das Stück bietet hymnische Kadenzen und erscheint hier gleich zweimal, wodurch sich der Kreis des Albums schließt. Das Trio hat auch zwei Stücke des schwedischen Komponisten Sven-Erik Bäck überarbeitet, wobei es “Spring” eine atmosphärische Qualität der akustischen Entdeckung verleiht und “Communion Psalm” in eine Plattform für ein aufmerksames Rubato-Spiel verwandelt, bei dem die Musiker auf den Raum zwischen sich achten.
Zu den Originalen im Programm gehören Anders Jormins “Unquestioned Answer” – eine aufwühlende Hommage an den modernistischen Komponisten Charles Yves – und Jung-Hee Woos “The Red Flower”, das einem die seltenen Gelegenheit gibt, dieses Trio einmal sanft swingen zu hören. In “Kingdom Of Coldness”, einem weiteren Stück aus Jormins Feder, schwingt sich Stenson am Klavier wiederum zu seinen fließendsten Läufen auf, die von freigiebigen Interaktionen gerahmt werden. Zu “Ky And Beautiful Madame Ky”, einem Stück, das auf den 2019 gestorbenen norwegischen Komponisten Alfred Janson zurückgeht, merkt Bobo Stenson an: “Wir spielen es normalerweise anders, als wir es hier aufgenommen haben. Manfred hatte eine Menge Ideen, was wir mit dem Stück machen könnten, und hat es mit uns umgestaltet. Das eröffnete uns ganz neue Perspektiven. Aber das ist es, was er macht. Er bringt die besten Qualitäten der Musiker zum Vorschein. Er spürt, wozu sie in dem Moment fähig sind, und das fängt er dann ein.” Schließlich ist da auch noch “Valsette op. 40/1” von  Jean Sibelius. Durch die Linse des Trios betrachtet, gerät es hier zu einer Dekonstruktions-Übung, bei der sich das Thema erst in den allerletzten Takten offenbart, aber immer noch maskiert ist.