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Tord Gustavsen Trio – Being There

18.04.2007
Der norwegische Pianist Tord Gustavsen betrachtet “Being There” als den abschließenden Teil einer Alben-Trilogie, die sein Trio mit “Changing Places” (aufgenommen in den Jahren 2001 und 2002) begonnen und mit “The Ground” (aufgenommen 2004) fortgeführt hatte. Auf “Being There” hat er an seinen musikalischen Prioritäten festgehalten. Den Titel des Albums borgte er sich ganz bewußt von einem Stück des ersten ECM-Albums “The Ground”, um die Kontinuität der Musik zu betonen und auch um sein Arbeitskonzept hervorzuheben. Dies wird von Gustavsen folgendermaßen charakterisiert: “Es geht uns darum, äußerst gegenwärtig, aufmerksam und auf die Fülle des Moments fokussiert zu sein. Das Trio hat eine definitive Ausrichtung bzw. einen definitiven Klang, aber innerhalb dieses Rahmens gibt es immer noch viele Nuancen auszuloten.”
Gustavsens klar skizzierte Melodien definieren einen Großteil der klanglichen Identität des Trios. Nicht weniger tut dies jedoch auch die Art und Weise, wie sich das Trio diesen nähert. Technische Extravaganzen spielen in Gustavsens Klangwelt so gut wie keine Rolle: Dezenz ist ein Markenzeichen seiner Musik.
 
“Das ist natürlich eine Frage der Disziplin”, erklärt Gustavsen. “Aber es handelt sich hier um eine Disziplin, die auf eine Vorliebe für Zwischenräume zurückzuführen ist und nicht auf eine anorektische Minimalisten-Ideologie. Es geht darum, ‘jede einzelne Note zu lieben’ – wenn ich das mal in Schlagworte fassen darf – oder darum, das zu spielen, was man selber wirklich hören möchte, und nicht das, von dem man denkt, daß man es spielen sollte.” Diese “Zurückhaltung” schafft Raum, in dem andere musikalische Entwicklungen natürlich knospen können. Etwa wenn Jarle Vespestads Schlagzeug in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Das Schlagzeug, so Gustavsen, ist eine entscheidende Komponente dieser Musik. Bei den Konzerten des Trios wurde dem schon recht früh Rechnung getragen, besonders evident wird die wichtige Rolle des Schlagzeugs nun auf “Being There”.
 
“At Home” wurde bereits kurz nach der Veröffentlichung von “The Ground” komponiert und ist bereits seit drei Jahren fester Bestandteil des Live-Repertoires des Trios. Das lyrische, fast schon romantische Stück, mit dem das Trio schon häufig Konzerte begann, dient als Eröffnungsnummer des Albums. “Es bietet uns immer noch faszinierend viel Raum für die Erkundung rhythmischer und tonaler Möglichkeiten”, meint Gustavsen.
 
Das Stück “Vicar Street” wurde nach der Straße und einem Veranstaltungsort in Dublin benannt, wo das Trio die Nummer zum ersten Mal aufführte. Bei seiner Einspielung im Osloer Rainbow-Studio gab die Band ihm eine neue Richtung: “Es beginnt abstrakter und die Melodie schält sich erst gegen Ende des Stücks heraus. Es ist eine einfache Melodie, und die Tatsache, daß es eine Art pastorale Implikation besitzt, ist nicht ohne Bedeutung.”

“Draw Near” ist die erste von einer Reihe wortloser Hymnen, die man auf diesem Album vorfindet. “Ein clusterähnlicher Akkord am Anfang verleiht dem Stück einen Anflug von tonaler Zweideutigkeit. Doch dann endet es mit einer sehr eindeutigen Gospel-Stimmung. Dieses Stück zu spielen, bedeutet eine Balance zwischen der Offenheit und der fundamentalen Verwurzeltheit zu finden. Das gilt übrigens für eine ganze Reihe von Stücken dieses Albums.”
 
“Blessed Feet” bezeichnet Gustavsen als ein “leise sprechendes, aber tanzendes Stück”. Die Inspiration dazu liefert dem Pianisten sein kleiner Neffe, dem er das Stück auch widmete. “Die folkähnliche, verspielte Melodie basiert auf ein paar Silben, die er einmal gebrabbelt hat”, erläutert Gustavsen. Unüberhörbar besteht auch eine entfernte Verwandtschaft zu Keith Jarrett und seinem “Belonging”-Quartett sowie zu Jon Christensens trockenen Schlagzeug-Patterns. Ganz sicher zählt “Blessed Feet” zu den “Hits” von “Being There”.
 
“Sani” wurde wie “Vicar Street” nach dem Ort benannt, an dem das Stück öffentlich uraufgeführt wurde. “Das Sani-Festival findet am Meer bei Thessaloniki statt. Wir waren letztes Jahr dort und spielten auf einem majestätischen Hang, von dem man einen atemberaubenden Ausblick auf die steilen Berge hatte, die geradewegs in die See hinabzustürzen schienen.” Das Stück wurde von Tord Gustavsen und Jarle Vespestad im Duo eingespielt. “Sehr frei in Tempo und Ausdruck und ziemlich frei improvisiert”, bemerkt der Pianist. In den improvisatorischen Fluß werden aber immer wieder Melodiefragmente eingestreut.
 
Daran schließt sich das von Gustavsen solo interpretierte “Interlude” an, das “den gleichen Geist wie ‘Sani’ hat, aber keine klare, vorher komponierte Melodie besitzt. Stattdessen ist es ein rigoros aus dem Stegreif erschaffenes Stück. Ich führe solche Interludien häufig bei Konzerten auf, um einen Übergang zwischen Stücken zu schaffen.”
 
“Karmosin” ist die einzige Nummer dieses Albums, die nicht von Tord Gustavsen stammt. Komponiert hat sie Bassist Harald Johnsen. “Ein wunderbares, tangoähnliches Stück, das förmlich nach einem Regisseur schreit, der es als Filmthema übernimmt. Für diese Aufnahme haben wir das Stück neu arrangiert. Dadurch, daß es hier mit einem Schlagzeugsolo beginnt und die Phrasierung des Baß anders ist, schlägt das Stück eine andere Richtung ein.”
 
“Still There”, eine langsame Gospel-Nummer im 6/8-Takt, ist geradezu charakteristisch für Gustavsens Kombination von “radikaler Simplizität und tonaler Zweideutigkeit”. Der Tonartwechsel in der Mitte des Stücks ist kaum wahrnehmbar. Wie “Draw Near” gehört auch “Still There” zu den hymischen Stücken dieses Albums. “Die Hymnen habe ich so über das Album verteilt, um eine formale Bindung herzustellen.”
 
Mit seinem phrygischen Modus und dem dezent “spanischen” Anstrich erweckt “Where We Went” den Eindruck, als breche das Trio zu vollkommen neuen musikalischen Ufern auf. “Hinsichtlich der Art und Weise, wie das Stück konstruiert wurde, stimmt dies auch”, räumt Gustavsen ein, “weniger indes hinsichtlich seiner Essenz. Es beginnt mit einem deutlichen Uptempo, während wir ansonsten ja oft eher langsam beginnen, um uns alle rhythmischen Optionen offenzuhalten. Aber auch hier lassen wir durch unsere Herangehensweise wieder viele offene Räume. In dem Stück kombinierten wir Ideen, zu denen wir durch den Cool-Jazz der Ostküste inspiriert wurden – für den Lennie Tristano ein Musterbeispiel wäre -, mit einem erdigeren und raumorientierten Ganzen. Ich weiß selbst nicht, wie sich dieser spanische Einfluß eingeschlichen hat. Wir hatten nie im Sinn, Musik zu spielen, die von spanischen oder karibischen Klängen beeinflußt ist…”
 
In “Cocoon” geht es, wie der Titel schon vermuten läßt, um Verwandlung und Transformation. “Dies ist ein Stück, bei dem wir mit Formen spielen. Das heißt: bekannten Formen einen kleinen, anderen Dreh geben.'Cocoon' an sich hat – anders als einige andere Stücke des Albums – eine suitenähnliche Form – einen Rubato-Teil und einen Abschnitt mit einem Gospel-Feeling, der zu einem Baßsolo überleitet – wir kontrollieren das Material hier auf eine andere Art.”
 
“Around You” ist eine romantische Ballade, die dank der Akkordstruktur an das Stück “Your Eyes” von “Changing Places”, dem ECM-Debütalbum des Trios, erinnert.
 
“Vesper” wiederum ist ein Stück, das als Vorspiel sogar schon bei Gesangsgottesdiensten in norwegischen Kirchen Verwendung fand. Es ist buchstäblich eine Hymne: zutiefst ruhig und in seiner Einfachheit ein geradezu kühnes Statement. “Unsere Musik basiert mindestens genauso sehr auf Hymnen und Gospelmusik wie auf zeitgenössischem Jazz oder zeitgenössischer Klassik.”  
 
Mit “Wide Open”, einer letzten Hymne, klingt dieses wunderbar harmonische und zugleich spannende Album dann aus. Im Mai wird das Tord Gustavsen Trio die Musik von “Being There” bei sechs Konzerten in Deutschland präsentieren: am 3. Mai tritt es im Hamburger Stageclub auf, am 4. Mai im Koblenzer Café Hahn, am 5. Mai in der Darmstädter Centralstation, am 6. Mai im Kino Babylon in Berlin, am 9. Mai im Stuttgarter Theaterhaus und am 10. Mai schließlich im Alten Pfandhaus in Köln.

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