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Terje Rypdal – mit neuer Band und neuem Repertoire

Mit “Conspiracy” präsentiert der experimentierfreudige E-Gitarrist Terje Rypdal sein erstes neues Studioalbum für ECM in rund zwanzig Jahren.
Terje Rypdal
Terje RypdalJohn Kelman / ECM Records
10.09.2020
Die klangliche Handschrift von Terje Rypdal ist unverwechselbar. Die sehnsuchtsvollen, himmelwärts gerichteten Sustains, mit denen er sein neues Album beginnt, könnten von niemand anderem stammen. Auf “Conspiracy” knüpft der norwegische E-Gitarrist (auf die Betonung des “elektrischen” legt Terje bei seinem Instrument viel Wert) an die Inspiration an, die ihn in den 1970ern beim Einspielen der frühen Meisterwerke “Whenever I Seem To Be Far Away”, “Odyssey” und “Waves” befeuerte, als er das Potenzial seines Instruments mit der Begeisterung des Rock-Improvisators für ungebändigte Energie und dem Gespür eines Komponisten für Raum und Klangfarben auslotete. “Conspiracy”, aufgenommen im Osloer Rainbow Studio, ist Terjes erstes neues Studioalbum für ECM in zwei Jahrzehnten. Alle anderen Aufnahmen, die er seit der Jahrtausendwende bei dem Label herausbrachte, basierten auf Konzertmitschnitten. Die Klarheit und Tiefe der neuen Produktion sowie der panoramaartige Bogen der Musik laden den Hörer dazu ein, die Maserung, die Details und die Textur dieser verhüllenden Klänge genauer unter die Lupe zu nehmen.
“Conspiracy” ist hier nicht nur der Titel des Albums und einer Komposition, sondern zugleich auch der Name von Terjes aktueller Band. Keyboarder Ståle Storløkken, der zuvor schon an den Rypdal-Alben “Vossabrygg” und “Crime Scene” mitgewirkt hatte und auch Mitglied von Terjes Skywards-Band war, erweist sich als idealer Mitverschwörer. Mit seinem ganz eigenen, intuitiven Gespür für komplementäre Schattierungen und Tönungen gibt er der Musik fortwährend eine geheimnisvolle Note und verdichtet die Spannung. Der Sound seiner Hammond-Orgel, der wechselweise mit dem von Terjes Stratocaster verschmilzt oder ihn umhüllt, kann sowohl nostalgisch als auch futuristisch wirken.
Auf “Conspiracy” gibt es außerdem ein willkommenes ECM-Comeback von Pål Thowsen, dessen subtiles, detailreiches Schlagzeugspiel in den 1970er Jahren erstmals in Aufnahmen von Arild Andersen (“Clouds In My Head”, “Shimri” und “Green Shading Into Blue”) zu hören war. Wie Terje anmerkt, ist Thowsen derjenige unter den norwegischen Schlagzeugern, dessen Gefühl für Time und Dynamik von Tony Williams’ Ende des perkussiven Spektrums herrührt; sein differenziertes Spiel auf den Becken ist durchweg exzeptionell. Rypdal und Thowsen spielten das erste Mal 1976 zusammen, als Terje bei einer Aufnahmesession unter der gemeinsamen Leitung von Pål und seinem Schlagzeugerkollegen Jon Christensen (“No Time For Time”) als Gast in Erscheinung trat. Komplettiert wird die Conspiracy-Band durch den begabten jungen Bassgitarristen Endre Hareide Hallre, den Terje im Stück “By His Lonesome” prominent als Solisten featuret.
Als er das Conspiracy-Projekt startete, wollte sich Terje ursprünglich noch einmal Stücke aus dem Repertoire seiner populären Bands Odyssey und The Chasers neu vorknöpfen und diese weiterentwickeln. Aber schon kurze Zeit später verwarf er diese Pläne wieder. Die Kompositionen dieses Albums sind allesamt neu. “Einige”, verrät der E-Gitarrist, “wurden im Studio zum ersten Mal überhaupt gespielt.” So zum Beispiel das Klanggemälde “Dawn”, mit dem das Album endet. Das Stück hat zwar denselben Titel wie eine alte Odyssey-Nummer, ist aber vollkommen anders. Es handelt sich sozusagen um eine neue “Morgendämmerung”.
Im Opener “As If The Ghost…Was Me” segelt die E-Gitarre über einen Teppich aus filigranen Becken-Rhythmen, transparente, flächige Keyboard-Klänge und die melodischen Töne des sich vollkommen frei bewegenden bundlosen Basses. “What Was I Thinking” ist indes eine Rubato-Ballade mit einer Menge Feeling und einem experimentellen Flair, bei der sich das Ensemble hinter Terjes leidenschaftlicher E-Gitarre versammelt. Das Titelstück “Conspiracy” ist eine sechsminütige psychedelische Rocknummer mit einem schweren Beat von Drummer Pål Thowsen, einem karftvoll pulsierenden Bass von Endre Hareide Hallre, infernalischen Stratocaster-Sounds von Terje Rypdal selbst und wilden Hammond-Einlagen von Ståle Storløkken, die Larry Young zu Ehre gereicht hätten. All das inspiriert Terje zu einem seiner typischen ekstatischen Soli, dem sich Ståle Storløkken mit eigenen eindringlichen Statements anschließt. Die Klänge von Storløkken und Rypdal werden auch in dem schwebend-bluesigen “Baby Beautiful” miteinander verflochten und einander gegenübergestellt. Zu den Highlights gehört hier ein ausgedehntes Orgelsolo mit Besenbegleitung von Pål Thowsen, dass nach und nach der geradezu wimmernden Gitarre Platz macht.