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Pure Poesie

Nachdem Sinikka Langeland ihr letztes ECM-Album “Wolf Rune” ganz solo eingespielt hat, präsentiert sich nun auf “Wind And Sun” mit einer norwegischen All-Star-Band und lyrischen Songs, die unter die Haut gehen.
Thomas Strønen, Mats Eilertsen, Sinikka Langeland, Trygve Seim, Mathias Eick
Thomas Strønen, Mats Eilertsen, Sinikka Langeland, Trygve Seim, Mathias EickOddleiv Apneseth
14.09.2023
“Wenn man sich mit Sinikka Langeland in einem Raum befindet, ist es, als ob man in einen nordischen Wald unter einem Nachthimmel hineinversetzt wurde. Ihre Präsenz und ihre Stimme sind schon magisch genug, aber wenn sie ihre Kantele spielt, kann man fast spüren, wie die Natur selbst vor Freude bebt.” (Fiona Talkington, Songlines)
Nur wenige Künstler/innen schaffen es, die Atmosphäre eines Ortes so anschaulich und umfassend zu verkörpern wie Sinikka Langeland, deren Musik, Live-Darbietungen, Forschungen und Aufnahmen der Kultur von Finnskogen – dem “Wald der Finnen” an Norwegens Grenze zu Schweden – ein neues Profil gegeben haben. Die 1961 im norwegischen Grue geborene Langeland, die selbst Halbfinnin ist, spielt das finnische Nationalinstrument Kantele und schöpft bei der Erschaffung ihrer kraftvollen neuen Werke aus älteren Volksmusiktraditionen wie Runenlieder und Beschwörungen. Ihre Lieder handeln von der wechselseitigen Abhängigkeit der Menschen, von der natürlichen Welt der Pflanzen und Tiere sowie der Welt der Geister. Sinikkas tiefverwurzelte Musik hat sich oft verzweigt, um Verbindungen zu Schlüsselfiguren anderer Künste herzustellen und sich mit ihnen auszutauschen – mit Improvisatoren aus der Welt des Jazz, klassischen Musikern, Dichtern, bildenden Künstlern. Manchmal, so bemerkte der norwegische Kritiker Audun Vinger Anfang April anlässlich ihres jüngsten Auftritts bei Vossa Jazz, wirkt Sinikka “ultra-hipp, wie eine finnische Wald-Alice-Coltrane. Dann wieder entführt sie uns ins Mittelalter, in die Kirche, in einen Jazzclub…” Der Ausdrucksbogen ihrer Musik reicht vom Archaischen bis zum kreativ Vorausblickenden.
Bislang hatten Vertonungen der Gedichte von Hans Børli, Edith Södergran und Olav Håkonson Hauge sowie Runenlieder aus dem finnischen Wald den Kern von Sinikkas Repertoire gebildet. Auf ihrem neuesten Album “Wind And Sun” wendet sie sich nun der zeitgenössischen Poesie von Jon Fosse zu, der den Schreibprozess als “einen Akt des Zuhörens” bezeichnet hat und in seinem Werk auf eine Weise mit Glaubensfragen ringt, die in Langelands Faszination für Naturmystik Widerhall findet. “In Fosses Gedichten gibt es so viel Raum und selten einschränkende Begriffe und Bezüge. Er schafft es, auf etwas Anrührendes hinzuweisen…”
Zum “Wind And Sun”-Projekt hat auch der Fotograf Dag Alveng beigetragen. “Ich habe mit Dag bei vielen Projekten zusammengearbeitet”, sagt Sinikka, “aber ich denke, dass seine Fotokunst und Fosses Gedichte eine besonders gute Kombination sind, da sie auch auf eine starke Weise so einfach sind. Jon Fosse schrieb mir, dass er Dags Bilder wirklich mag: ‘Es gibt eine Art von gegenwärtigem Verschwinden in ihnen.’”
Die exzellente Band, die auf “Wind And Sun” zu hören ist, wurde vor zwei Jahren für Konzerte zur Feier von Sinikkas 60. Geburtstag zusammengestellt. Es ist eine durchweg mit norwegischen Musikern besetzte All-Star-Konstellation, deren Mitglieder allesamt selbst ECM-Künstler und Bandleader mit einer komplexen, verwobenen Geschichte sind, die viele Jahre zurückreicht. Saxophonist Trygve Seim profilierte sich schon 2007 auf Sinikkas ECM-Debüt “Starflowers” und markierte seine Präsenz danach auch auf den Alben “The Land That Is Not” (2011), “The Half-Finished Heaven” (2015) und “The Magical Forest” (2016). Die sehnsuchtsvolle, gesangliche Qualität seines Spiels fügt sich bestens in Sinikkas Klangwelt ein. Seim hat außerdem eine Vorliebe für gesungene Verse, wie sein eigenes Projekt “Rumi Songs” (2016) mit Vertonungen des großen Sufi-Dichters gezeigt hat. 
Trygve Seim und Trompeter Mathias Eick haben bereits in den unterschiedlichsten Kontexten miteinander gespielt. Das Spektrum reicht von Iro Haarlas “Northbound”-Quintett über Jon Balkes Batagraf-Ensemble bis hin zur Band von Manu Katché. Eick und Schlagzeuger Thomas Strønen haben im Trondheim Jazz Orchestra zusammengearbeitet, während der Bassist Mats Eilertsen und Eick beide Mitglieder der Gruppen von Jacob Young waren. Darüber hinaus spielt Strønen immer noch in Eilertsens Trio mit dem Pianisten Harmen Fraanje, und Eilertsen ist langjähriges Mitglied des nonkonformistischen Ensembles The Source, dem auch Trygve Seim angehört. Kurz gesagt, es handelt sich hier um einfühlsame Musiker, die ein fortgeschrittenes Improvisationsverständnis haben. Sowohl einzeln als auch kollektiv heben sie die Stimmungen von Sinikkas Liedern hervor und gestalten die musikalischen Implikationen aus, die durch die Kantele und Fosses Verse in Gang gesetzt werden. “Die Instrumentalisten sind allesamt der Einfachheit der Musik sehr treu geblieben”, sagt Sinnika, “sie folgen meinen Kompositionen und dem Ausdruck der Gedichte und führen die Dinge dann in ihren eigenen unglaublichen improvisierten Soli weiter.”