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Passt in keine Schublade – die stilübergreifende Musik des neuen Quartetts von Dominique Pifarély

Mit zwei alten Weggefährten und einem neuen Gesicht hat Violinist Dominique Pifarély sein neues Album “Tracé Provisoire” eingespielt.
Dominique Pifarély Quartet
Dominique Pifarély Quartet© Jean-Baptiste Millot
02.06.2016
Letztes Jahr veröffentlichte ECM Dominique Pifarélys außergewöhnlich kreatives Solo-Recital “Time Before And Time After”. Nun folgt mit “Tracé provisoire” ein erfrischendes Quartett-Album, das einen wunderbaren Kontext für die enorme Ausdruckspalette des französischen Violinisten bietet. Wie jeder Musikfan, der seine Karriere schon länger verfolgt hat, wissen dürfte, ist Pifarély ein Musiker, der auf dem schwankenden Territorium zwischen Improvisation und Komposition ganz besonders aufblüht. Die Stücke des neuen Albums warten mit Ideen, Strukturelementen und Themen auf, die ad hoc zu strukturellen, lyrischen und abstrakten Improvisationen einladen. Das Zusammenspiel der Musiker ist dynamisch, explorativ und fesselnd und inspiriert Pifarély zu ebenso feinen wie differenzierten Soli. Die instrumentale Besetzung der neuen Band mit Violine, Klavier, Bass und Schlagzeug mag auf den ersten Blick “jazziger” wirken als die früherer Ensembles des Franzosen. Aber der Schein trügt. Obwohl der Jazz hier ganz sicher eine Rolle spielt, verweilt die Band kaum einmal lang genug an einem Ort, um stilistisch in eine Schublade gesteckt werden zu können. Der freie Energiefluss ist von zentraler Bedeutung für diese Musik, deren Bogen sich von Kollektivimprovisationen über leuchtende Kontrapunktik und starkes inneres Pulsieren bis hin zu offenen, lyrischen Flächen spannt.
Sein neues Quartett gründete der Violinist im Frühjahr 2014. Aber die musikalischen Pfade von Pifarély, Bassist Bruno Chevillon und Schlagzeuger François Merville haben sich in den letzten rund dreißig Jahren immer wieder gekreuzt. Pifarély und Chevillon konnte man zum Beispiel schon 1987 gemeinsam auf Louis Sclavis' Album “Chine” erleben. Der Bassist war auch mit von der Partie, als Pifarély und Sclavis 1993 für ECM ihr Album “Acoustic Quartet” einspielten. Zusammen mit Schlagzeuger François Merville war Pifarély wiederum an Sclavis' “Dans La Nuit”-Projekt beteiligt, für das sie – auf Anregung von Regisseur  Bertrand Tavernier – Musik für den gleichnamigen Stummfilmklassiker von Charles Vanel schufen. Dominique und Bruno arbeiteten 2009 auch in dem französisch-amerikanischen Quartett Out Of Joint mit Tim Berne und Craig Taborn. Die Liste der Querverweise ließe sich noch endlos fortsetzen, denn Pifarély, Chevillon und Merville sind in Frankreich seit Jahrzehnten Grundpfeiler der Szene für improvisierte Musik, der sie immer wieder – so wie auf diesem Album – neue Impulse geben.
Komplettiert wird das Quartett durch Antonin Rayon, der hier zum ersten Mal auf einem ECM-Album zu hören ist. Pifarély entdeckte Rayon auf dem “Spring Roll”-Album der Flötistin Sylvaine Hélary und spielte danach mit ihm auf dem Album “Tower Bridge” des Gitarristen Marc Ducret zusammen. Bisher kannte man Antonin vor allem als Hammond-Organisten. Doch Pifarély rückt auf “Tracé provisoire” sein aufmerksames und kreatives Klavierspiel, das stets dem Ensembleklang dient, in den Fokus.