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Kollektive transkulturelle Kreativität

Auf “Pasado En Claro” hat der Bassist Anders Jormin sein Trio mit der Sängerin Lena Willemark und der Koto-Spielerin Karin Nakagawa durch den Schlagzeuger Jon Fält zum Quartett erweitert.
Jon Fält, Lena Willemark, Karin Nakagawa, Anders Jormin
Jon Fält, Lena Willemark, Karin Nakagawa, Anders Jormin
19.01.2023
Die kreative Partnerschaft zwischen dem Bassisten Anders Jormin und der Sängerin, Violinistin und Bratschistin Lena Willemark hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten stets besondere Musik hervorgebracht.
Ziemlich am Anfang ihrer Zusammenarbeit, die erstmals 2004 auf dem ECM-Album “In Winds, In Light” dokumentiert wurde, merkte Jormin an:
“Wie es Lena Willemark schafft, ihren lokalen musikalischen Dialekt zu bewahren und gleichzeitig so ausdrucksstark, so persönlich, empfänglich und zeitgenössisch zu sein, ist nicht nur für mich eine ungeheure Inspiration.” Willemark, die mit der traditionellen Musik der schwedischen Region Älvdalen aufgewachsen war, hatte zuvor schon bei Aufnahmen mit Ale Möller – darunter die beiden ECM-Alben “Nordan” (1994) und “Agram” (1996) – gezeigt, dass sie die Grenzen des “Folk” zu überschreiten vermag. Die Zusammenarbeit mit Anders Jormin war ein logischer nächster Schritt.
Nach einer produktiven Kollaboration bei dem von Jormin komponierten Oratorium “Between Always And Never” (2013 bei dem Label Swedish Society Discofil erschienen), stellten Anders und Lena 2015 auf dem ECM-Album “Trees Of Light” ein neues Projekt mit der japanischen Koto-Spielerin Karin Nakagawa vor. Das US-Magazin Stereophile lobte die Musik für ihre “erfrischende Originalität, Kraft, Anmut, Dunkelheit, Licht, Gravität, Esprit und die vollkommene Aufmerksamkeit, die jeder Einzelne der Stille und den Klängen der jewils anderen zollen”.
Mit der Hinzunahme von Schlagzeuger Jon Fält, Jormins langjährigem Gefährten im Bobo Stenson Trio, hat das Ensemble nun seine improvisatorische Bandbreite erweitert. Auf “Pasado En Claro” werden viele kreative Ideen erkundet, die sich aus der Gegenüberstellung von gesungener Poesie und musikalischer Interaktion ergeben. Jormin streckt seine Fühler in alle möglichen Richtungen aus, versammelt hier Texte aus alten chinesischen und japanischen Quellen sowie zeitgenössische skandinavische Poesie, vertont aber auch Gedichte von dem mexikanischen Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Octavio Paz und dem italienischen Renaissance-Lyriker Petrarca.
Die wie immer sehr erfinderische Lena Willemark verleiht diesem Querschnitt von Versen aus aller Welt ihre Stimme, fügt dem Repertoire aber auch vier eigene Lieder hinzu. Trotz all ihrer Bandbreite behält die Musik durch die Kombination von Stimme, Geige, Koto, Bass und Perkussion ihre eigene Gruppenlogik bei. Insbesondere die kargen, archaischen Klänge der Koto scheinen neue Räume zu eröffnen, in denen die kollektive Kreativität aufblühen kann. “Wenn der einzigartige musikalische Dialekt eines jeden Musikers, der von Neugier angetrieben wird und mit offenem Ohr zuhört, mit denen der anderen verschmilzt und kommuniziert, kann etwas erwachen, das stärker ist als unsere vier individuellen Stimmen”, erläutert Anders Jormin. “Dann passiert etwas, das nicht im Voraus entschieden und kontrolliert wird.” Das Ergebnis ist “sorgfältig herauskristallisierte und zu Herzen gehende Musik.”
Anders Jormin, 1957 im schwedischen Jönköping geboren, hat seit den frühen 1990er Jahren an zahlreichen Aufnahmen für ECM mitgewirkt. Zusätzlich zu seinen eigenen Alben für das Label – “Xieyi”, “In Winds, In Light”, “Ad Lucem” und “Trees Of Light” – spielte er seit 1993 sieben Alben mit dem Bobo Stenson Trio ein: “Reflections”, “War Orphans”, “Serenity”, “Cantando”, “Goodbye”, “Indicum” und “Contra La Indecisión” (ein neues Werk dieses Trios wird schon bald unter dem Titel “Sphere” erscheinen). Darüber hinaus ist Jormin auf ECM-Einspielungen von Charles Lloyd, Tomasz Stańko, Don Cherry, Sinekka Langeland, Jon Balke, Marilyn Mazur und Ferenc Snétberger zu hören. Bei all diesen Unternehmungen kommen seine improvisatorische Phantasie und sein profundes Gefühl für Melodien wunderbar zum Tragen.
Die 1960 im schwedischen Evertsberg geborene Lena Willemark hat ihr stilistisches Spektrum im Laufe der Jahre stetig erweitert, von Folk über Jazz bis hin zu freier Improvisation – wobei sie ihren Fokus aber immer auf das Konzept der Musik als Erzählkunst richtete. Die Gedichte und Liedtexte, die sie hier vorträgt, sind allesamt von einer lebendigen Bildersprache geprägt. Etwa wenn Lenas eigenes Stück “The Woman Of The Long Ice” Tomas Tranströmers “Kingdom Of Coldness” vorausgeht, letzteres mit seinen Schnappschüssen von “klirrenden Tamburinen aus Eis” und “Hochspannungsleitungen / straff gespannt im spröden Königreich der Kälte / nördlich aller Musik”.
Karin Nakagawa, 1979 in Tokio zur Welt gekommen, begann im Alter von drei Jahren mit dem Klavierspiel und wechselte mit zwölf Jahren zu der sehr speziellen 25-saitigen Koto. Schon zwei Jahre später gab sie mit dem nur seltenen zu hörenden Instrument Konzerte, bei denen sie eigene Kompositionen spielte. Heute ist sie bekannt für ihre improvisatorische Vielseitigkeit und ihre Fähigkeit, die Essenz ihres Klangs, der seine Wurzeln in der alten japanischen Tradition hat, in die unterschiedlichsten zeitgenössischen Kontexte einzubringen.
Jon Fält, 1979 im schwedischen Gävle geboren, zog erstmals 2007 internationale Aufmerksamkeit auf sich, als er an der Seite von Bobo Stenson und Anders Jormin auf dem Album “Cantando” zu hören war. Er übernahm seinerzeit eine Rolle, die vor ihm zwei wahre Ikonen und Stilistiken des Jazzschlagzeugs innegehabt hatten: Jon Christensen und Paul Motian. Fält beeindruckte sofort mit seinem eigenen geschmeidigen rhythmischen Ansatz und mit seiner Fähigkeit, das musikalische Geschehen auf vielfältige Weise fortlaufend perkussiv zu kommentieren.