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Jorge Rossy Trio: Ebenbürtige Spielpartner auf gleicher Wellenlänge

Nachdem er sich schon einen Namen als Schlagzeuger und Pianist gemacht hat, präsentiert sich Jorge Rossy auf seinem ECM-Debüt “Puerta” als Vibraphonist und Marimbaspieler.
Jorge Rossy
Jorge Rossy
04.11.2021
Auf Jakob Bros jüngstem Trio-Album “Uma Elmo” war Jorge Rossy Anfang des Jahres an der Seite des dänischen Gitarristen und des norwegischen Trompeters Arve Henriksen noch als einfühlsamer Schlagzeuger zu hören. In dieser Funktion hatte er auch schon 2013 zu Steve Swallows Album “Into The Woodwork” beigetragen, das auf Carla Bleys Label XtraWatt erschien. Tatsächlich aber konzentriert sich der vielseitige katalonische Musiker bei seinen eigenen Alben schon seit geraumer Zeit auf das Spielen zweier anderer Instrumente: Vibraphon und Marimba. Und mit ihnen präsentiert er sich nun auch auf “Puerta”, seinem Solo-Debütalbum für ECM Records. Gemeinsam mit seinen beiden Trio-Partnern – dem Bassisten Robert Landfermann und Schlagzeuger Jeff Ballard – gestaltet er hier ein ungemein abwechslungsreiches musikalisches Programm, das aus neun Eigenkompositionen und einem Original des Saxophonisten Chris Cheek besteht.
“Bei diesem Trio geht es vornehmlich darum, den Instrumenten viel Raum zum Atmen und zur Entfaltung zu geben”, erläutert Rossy. “Das erreichen wir, indem wir weniger Noten spielen und uns auf die wesentlichen beschränken. Nachdem ich es mir in der Vergangenheit in harmonisch dichten Besetzungen etwas leicht gemacht hatte, schien mir nun endlich der Zeitpunkt gekommen zu sein, mich aus der Komfortzone herauszuwagen.” “Puerta” ist das Produkt einer Zusammenarbeit von drei gleichberechtigen Musikern, bei der jedes einzelne Instrument in gleichem Maße im Scheinwerferlicht steht.
Ähnlich seinem Ansatz als Schlagzeuger – früher seine Hauptrolle in jeder Band und vor allem in der ersten Inkarnation des Brad Mehldaus Trio, dem er zehn Jahre lang angehörte – entfaltet sich Jorge Rossys Vibraphonspiel in eleganten Wellen, die aus minimalistischen Phrasen und einem ergreifenden Vokabular gebildet werden. Seine Partner reagieren darauf entsprechend. Der Vibraphonist überlässt wenig dem Zufall, sondern gestaltet seine Melodielinien mit aller Sorgfalt und mit absoluter Beherrschung der ihm zur Verfügung stehenden Mittel. “Ich neige dazu, auf dem Vibraphon und der Marimba ein Minimalist zu sein”, gesteht Rossy. “Ich spiele wenige Töne und mache mehr Gebrauch von dem Raum, der die einzelnen Klänge voneinander trennt. Als ich noch sehr jung war, habe ich zehn Jahre lang Trompete gespielt. Die Lektionen, die ich damals in Punkto Melodie gelernt habe, lassen sich auch sehr gut auf das Vibraphon oder die Marimba übertragen.”
Dementsprechend meißelt Rossy auf “Puerta” aus schwungvollen Vamps klare Melodien heraus, die von seinen inspirierten Partnern, die der Musik ihre eigene Handschrift verleihen, abwechselnd unterbrochen oder begleitet werden. “Jeff und Robert fangen die Essenz meiner Stücke sehr gut ein. Und ich glaube, dass sie sich sehr wohl fühlen, weil sie gleichzeitig sie selbst sein können”, merkt Rossy an. “Ich wusste, dass ich für dieses Trio keine Partner haben wollte, die nur als Rhythmusgruppe agieren. Ich brauchte drei Solisten, damit es eine komplett ausgewogene Angelegenheit werden konnte.”
Der im Dreivierteltakt swingende “Post-Catholic Waltz”, “Ventana” und das auf George Gershwins “The Man I Love” basierende “Maybe Tuesday” bieten einen seltenen Einblick in die traditionellere Ausrichtung des Trios und schmeicheln dem Ohr mit gewandten Walking-Bass-Figuren und flotten Soli zu einem feinnervigen Puls. In anderen Nummern liefert sich Rossy mit seinen Partnern einen einfallsreichen Austauch, bei dem die zugrundeliegenden melodischen Themen zwar im Vordergrund stehen, der rhythmische und strukturelle Impetus aber erweitert wird. Für “S.T.”, “Scilla e Cariddi” und “Taínos” wechselt Rossy zur Marimba und lässt dessen erdige, hölzerne Klänge sich im Rahmen der variierenden Arco- und Pizzicato-Bass-Begleitung von Landfermann und der Umhüllung von Jeff Ballards perkussivem Beckennebel subtil entfalten. “Cargols” – ein Stück von Rossys oftmaligem Spielpartner Chris Cheek – hat einen Mid-Tempo-Groove, über den Rossy und Landfermann ihre Soli spielen. Abgerundet wird das Repertoire durch die Rubato-Ballade “Adagio”, die ein Paradebeispiel für eine ruhige Improvisation ist, und den unverblümten Tango “Adiós” ganz zum Schluss.
“Puerta”, das Titelstück dieses Albums, schrieb Jorge Rossy, als er sich in seinem Leben an einem Scheidepunkt befand: “Es war wie eine Vorahnung, eine Intuition – ich habe ‘Puerta’ in einem Hotelzimmer in London komponiert”, erinnert er sich zurück. “Unmittelbar vor meinem drittletzten Auftritt mit Brad [Mehldau]. Zu diesem Zeitpunkthatte ich ihm noch nicht gesagt, dass ich die Band verlassen würde. Aber ich hatte einfach das Gefühl, dass es an der Zeit war, meiner Wege zu gehen. ‘Puerta’ ist Spanisch und bedeutet ‘Tür’. Ich glaube, ich dachte unterbewusst schon daran, eine neue Tür zu öffnen, um in eine neue Phase einzutreten, ein neues Kapitel aufzuschlagen.”
Auch das Album “Puerta” funktioniert wie eine Tür, die eine aufregende Perspektive auf einen der begabtesten und vielseitigsten Musiker der Gegenwart eröffnet.