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Jahresrückblick 2018 ECM, die erste Jahreshälfte

Im ersten Teil unseres ECM Jahresrückblicks wollen wir an alle Alben aus der ersten Jahreshälfte erinnern, mit denen ECM auch dieses Jahr wieder die musikalische Landschaft geprägt hat.
ECM Records
ECM Records
07.12.2018
John Surman, Nelson Ayres & Rob Waring: Botschafter musikalischer Schönheit
Bei ECM hatte John Surman zuletzt 2012 mit “Saltash Bells” von sich reden gemacht. Das Album, das er bereits 2009 vollkommen solo eingespielt hatte, wurde damals in mehreren englischen Zeitungen zum “Album des Jahres” gekürt. Anfang 2018 meldete sich der britische Saxophonist und Klarinettist bei ECM endlich mit einem neuen Werk zurück, auf dem er im Trio mit Nelson Ayres und Rob Waring ein Programm mit fesselnden neuen Kompositionen vorstellte, deren stimmungsvolle Themen zu subtilen instrumentalen Interaktionen einluden. “Man vermisst keine Sekunde lang ein Bass/Schlagzeug-Gespann, vielmehr scheinen sich in Anbetracht des konzentrierten und zumeist luftig-leichten Musizierens die zwölf großteils von Surman eigens für dieses Projekt geschriebenen Kompositionen zu einer Suite aneinanderzureihen”, notierte Peter Füßl in der Zeitschrift Kultur. “Die drei exzellenten Musiker agieren wie äußerst geschmackssichere Maler, die mit feinen Pinseln und delikaten Farben gemeinsam an wunderbaren Stimmungsbildern malen, die stets höchsten ästhetischen Ansprüchen genügen, aber dennoch immer auch erdverbunden und emotional ansprechend sind.” Im Deutschlandfunk Kultur meinte Matthias Wegner: “Es gibt ja auch bemerkenswerte Trios im aktuellen Jazz, die kein Piano-Trio sind. Zum Beispiel die neue Band des britischen Saxofonisten und Klarinettisten John Surman. Ein Brite also  und ein US-Amerikaner, nämlich Rob Waring, – beide leben schon lange in Norwegen – treffen auf dem Album ‘Invisible Threads’ auf einen geistesverwandten Musiker der brasilianischen Musikszene: Nelson Ayres hat schon mit prominenten Figuren wie Chico Buarque oder Astrud Gilberto aufgenommen – und auch er ist ein Botschafter der musikalischen Schönheit. Vor allem durch die variantenreich eingesetzten Instrumente wie Sopran-Saxofon, Bassklarinette, Vibraphon und Marimbafon entstehen beim Zusammentreffen dieser drei Musiker Klangfarben, die sehr bezaubernd und herzzerreißend sind. ‘Invisible Threads’, das neue Album von John Surman, bekommt von mir auf jeden Fall die höchste Punktzahl.”
Bobo Stenson Trio: Paradox eines vitalen Melancholikers
Seit er 1971 mit “Underwear” bei ECM debütierte, hat der schwedische Pianist Bobo Stenson all seine Alben für das Label (acht an der Zahl) im klassischen Trio-Format eingespielt. In der Konstellation mit Bassist Anders Jormin und Schlagzeuger Jon Fält existiert das Trio nun schon seit 2007. Dass die Musiker in ihrem zehnjährigen Zusammenspiel ein geradezu telepathisches Verständnis erreicht haben, zeigten sie auf ihrem dritten gemeinsamen Album “Contra La Indecisión”. “Das Klaviertrio ist ein beliebtes Format im Jazz, aber nur wenige dieser Trios versprühen so viel Magie wie das des schwedischen Pianisten Bobo Stenson”, schrieb Rolf Thomas in der FAZ. “Auf dem neuen Album ‘Contra La Indecisiòn’ profitiert der Bandleader, der am Flügel virtuose Geläufigkeit mit nordischer Schwermut auf einzigartige Weise verbindet, besonders von seinen beiden musikalischen Partnern.” In der Schweizer Weltwoche merkte Peter Rüedi an: “Stenson ist ein grosser Melancholiker. Aber, zumal im Trio, auch das Paradox eines vitalen Melancholikers – im Kollektiv mit den Partnern Anders Jormin am Bass, einem großen Sänger auf seinem Instrument; und mit Jon Fält, einem freien, flackernden Schlagzeuger. Als Komponist nimmt sich Stenson (im Gegensatz zu Jormin) auf der jüngsten CD des Trios sehr zurück. ‘Es ist nicht so wichtig, was woher kommt’, sagt er. ‘Uns geht’s mehr darum, was wir damit machen.’ So ist schon das Titelstück ‘Contra la indecisón’ eine ältere Komposition des von Stenson geschätzten kubanischen Liedermachers Silvio Rodriguez; weiter finden wir Bartóks Version eines slovakischen Volkslieds , eine ‘Elégie’ von Satie und eine Miniatur des Katalanen Frederic Mompou – neben fünf meist sehr volksliedhaften Originalen von Jormin. Alles eigenwillig überführt in die kollektiven improvisatorischen Vorgänge des Trios. Sehr eingängliche und sehr intensive Musik. Auf mehreren Ebenen zu hören.”
Thomas Strønen’s Time Is A Blind Guide: Musik, die in keine Schublade passt
Als faszinierendes Beispiel für Jazz-Crossover bezeichnete John Fordham 2015 im Guardian das erste Album von Thomas Strønens Akustik-Kollektiv Time Is A Blind Guide.  Für das zweite Album “Lucus” hat der norwegische Schlagzeuger und Komponist das Ensemble vom Septett zum Quintett getrimmt und den Schwerpunkt verstärkt auf Improvisation gelegt. Aufregende neue Klangfarben bringt dabei außerdem die brillante junge Pianistin Ayumi Tanaka ins Spiel. “Mit repetitiven Figuren, flächigen Klängen und spärlichen Solopassagen bewegt sich die Musik von Time Is A Blinde Guide im Spannungsfeld zwischen Jazz, Minimal Music und Klassik”, konstatierte Bernhard Jugel im  Bayerischen Rundfunk. “Schlagzeuger Thomas Strønen ist ein Meister der leisen, aber treibenden Beats und die japanische Pianistin Ayumi Tanaka tupft ihre Soli manchmal wie nebenbei in die Tasten.” In Audio schrieb Lothar Brandt über das Album: “Schon der Bandname Time Is A Blind Guide ist außergewöhnlich. Und die Musik, die der Norweger Thomas Strønen schreibt, passt nun in gar keine Schublade. Ein ‘klassisches’ Klaviertrio mit Ayumi Tanaka (Klavier), Hakon Aase (Violine) und Lucy Shelton (Cello) tritt auf mit Ole Morten Vagan am Kontrabass und dem Komponisten am Schlagzeug. Doch das Quintett nervt nicht mit närrischem Treiben, sondern zieht den Hörer mit einer feingliedrigen Kammermusik in seine eigene Welt. Das genaue Gegenteil zu akustischem Fastfood.”
Kit Downes: Musik von eindringlicher, ätherischer Qualität
Den britischen Improvisationsmusiker Kit Downes lernten ECM-Fans 2015 als Pianisten von Thomas Strønens Band Time Is A Blind Guide kennen. Auf seinem ersten eigenen Album für das Label präsentierte sich Downes, der als eines der herausragenden jungen Jazztalente Großbritanniens gilt, dann mit im Jazz unüblichen Instrumenten: nämlich ein- bis dreimanualigen Kirchenorgeln. Obwohl die Musik von “Obsidian” auf den ersten Blick nur wenig mit “Jazz” gemein zu haben scheint, konnte sie tatsächlich nur der subtilen Fantasie eines Improvisationsmusikers mit breit gefächerten musikalischen Kenntnissen entspringen. “Die zehn Miniaturen des mit Kirchenmusik sozialisierten Tastenvirtuosen gleichen einem eruptiven Kreativprozess, bei dem sich die erkaltete musikalische Magma langsam in dunkles, vulkanisches Glas (‘Obsidian’) verwandelt”, meinte Reinhard Köchl in Jazzthing. “Ein markantes, völlig eigenständiges Werk, nicht zu vergleichen mit Keith Jarretts Ausflug auf der Kirchenorgel 1976 bei ‘Hymns/Spheres’.” In der Village Voice schrieb Michael J. Agovino: “Es gibt eine eindringliche, ätherische Qualität, die sich durch das Album zieht. Und obwohl Downes den französischen Komponisten, Improvisator und Organisten Olivier Messiaen aus dem 20. Jahrhundert als Einfluss erwähnt hat, lässt er manchmal auch den Minimalisten Terry Riley anklingen. Besonders in ‘Modern Gods’, dem einzigen Stück, bei dem er von dem Tenorsaxophonisten Tom Challenger begleitet wird, mit dem Downes häufig zusammenarbeitet. Das erinnert an Momente des Saxophon-Orgel-Duos auf Rileys 1972er Album ‘Happy Ending’. Ist ‘Obsidian’ ein Jazzalbum? Es klingt nicht nach Wild Bill Davis, Jimmy Smith oder Lonnie Smith, aber selbst, wenn die Musik kein Soul-Jazz ist, so hat sie doch Seele.”
Norma Winstone Trio: ein filmmusikalisches Gesamtkunstwerk
Auf “Descansado (Songs For Films)” hat die britische Sängerin Norma Winstone eine ungemein kreative und abwechslungsreiche Reise in die Welt des Kinos und der Filmmusik unternommen. Begleitet wurde sie bei diesem Ausflug von ihren treuen Trio-Gefährten Klaus Gesing (Saxophon/Klarinette) und Glauco Venier (Klavier), mit denen sie schon seit rund anderthalb Jahrezehnten eine Einheit bildet, sowie Helge Andreas Norbakken und Mario Brunello. “Im Gegensatz zu vielen scheinbar ähnlichen Unternehmen bedient sie sich nicht einfach der eingängigsten filmmusikalischen Ohrwürmer”, lobte Peter Rüedi Winstone in der Schweizer Weltwoche. “Zum einen zieht ihre feine kleine Band (als Gäste stoßen der Perkussionist Helge Andreas Norbakken und der Cellist Mario Brunello zur Stammbesetzung) die Musik von Michel Legrand, Nino Rota, Ennio Morricone, William Walton, Armando Trovajoli und anderen von der großen Leinwand in feinsinnigen Arrangements ins durchsichtige Kleinformat. Zum andern feiert Winstone die Filme selbst, Werke von Godard, Wenders, Zeffirelli, Fellini, Laurence  Olivier, Martin Scorsese, Michael Radford. Denn die Sängerin, und das macht sie zu einer ziemlich einmaligen Ausnahme, schreibt auch Texte, die mehr sind als ‘lyrics’, nämlich eigentliche Lyrik, die diesen Namen verdient. In ihnen gelingen ihr staunenswert dichte, stimmungsvolle Konzentrate der ganzen Filme, aus denen die Melodien stammen. Ein schönes Gesamtkunstwerk.” Zu einem ähnlichen Fazit kam in der Süddeutschen Zeitung auch Oliver Hochkeppel: “Die zwölf zum Teil sehr bekannten Kinosongs […] ergeben hier aber keine der üblichen musikalischen Anthologien. Veniers extrem reduzierte Arrangements und Winstones feiner, oft nur gehauchter Gesang verweben sie zu einem einzigen großen Werk, zu dem sich vor dem geistigen Auge des Hörers ein eigener Film entrollt.”
Andy Sheppard Quartet: Verträumtheit als übergreifende Charakteristik
“Impressionistisch und doch erfüllt von durchdringender emotionaler Klarheit.” Mit diesen Worten umschrieb die Jazz Times die Musik, die das Andy Sheppard Quartet vor drei Jahren auf seinem ersten Album des Ensembles als “Surrounded By Sea” spielte. Für das zweite Album “Romaria” wollte der Saxophonist diese Stimmung wieder aufgreifen, aber zugleich den Kern der Musik ein wenig robuster machen und den Schwerpunkt stärker auf Groove und Energie verlagern. “Es ist ein magisches musikalisches Universum, in dem sich Andy Sheppard bewegt”, meinte Gerd Filtgen in Stereo. “Fast immer führen Sheppards Chorusse wie in ‘Thirteen’ oder ‘All Becomes Again’ zu meditativen, in sich ruhenden Improvisationen. Sie bekommen durch die darauf abgestimmten, mitunter orchestral klingenden, elektronisch erzeugten Gitarreneffekte, die sonoren Bass-Einsätze und die stimmigen Beats noch stärkere Präsenz. Auch in dem mit atmosphärischen Ambient-Sounds startenden ‘They Came From The North’ lässt sich Sheppard mit seinen weitgeschwungenen Saxofon-Diskursen, in denen sich melodiöse Tonfolgen zu kunstvollen Motiven vereinen, von den energiereichen rhythmischen Verschiebungen und markanten Riffs seiner Band inspirieren.”
Auf All About Jazz schrieb Geno Thackara: “Sheppard verwendet den Begriff ‘Traumband’, um dieses Quartett zu beschreiben, und das ist in mehr als einer Hinsicht angemessen. Verträumtheit ist die übergreifende Charakteristik der Session und die seit langem zusammenspielenden Musiker vertrauen einander, wo auch immer es sie hintreibt. Mit Michel Benita am Bass und Sebastian Rochford am Schlagzeug hatte Sheppard bereits das Spiel im Trio-Format ohne Akkordinstrument ausgelotet; auf ´Surrounded By Sea' sorgten die Gitarrenklänge und elektronischen Töne des gelegentlichen Mitstreiters Eivind Aarset 2015 für eine ausgezeichnete Erweiterung. Ihr gemeinsames Nachfolgealbum ist nun im Vergleich nur um einen Tick dynamischer, weil die Musiker ihre Identitäten wahren, während sie eine weitere Facette ins Licht rücken. Die mühelose Chemie dieses Quartetts erschafft eine charmante Klanglandschaft, die sowohl einladend als auch faszinierend ist, und ‘Romaria’ büßt selbst in den lebhaftesten Momenten nie das luftige Gefühl einer wohligen Träumerei ein.”
Shinya Fukumori Trio: ein fragiles musikalisches Kleinod
Mit folkloristischen japanischen Liedern aus der Shōwa-Ära im Stile europäischer Improvisationsmusik überraschte das in München ansässige Shinya Fukumori Trio auf seinem brillanten ECM-Debütalbum “For 2 Akis”. Schlagzeuger Shinya Fukumori, der auch der Hauptkomponist der Band ist, erweist sich hier als phantasievoller Melodiker mit feinem Gespür für Klangfarben, Details und Räume. Die Weiträumigkeit der Musik nutzen Fukumoris Spielpartner – der französische Saxophonist Matthieu Bordenave und der deutsche Pianist Walter Lang – hervorragend zur eigenen Entfaltung.
“Das von einem Schlagzeuger geleitete japanisch-französisch-deutsche Trio ist für ECM ein echter Fund”, urteilte Nick Lea in Jazz Views. “Sein sanfter, melodischer und kammermusikalischer Jazz, der sich von westlichen Harmonien, einer europäischen Jazz-Ästhetik und der Musik der japanischen Shōwa-Ära zwischen 1926 und 1989 nährt, passt perfekt zu Manfred Eichers Label. […] Die drei Musiker warten mit einer einzigartigen lyrischen Melange auf, die über ihre unterschiedlichen musikalischen und kulturellen Hintergründe hinausweist. Da es jedem der Musiker gelingt, sich in die Traditionen der anderen einzufühlen und sie zu verstehen, kann die Musik auf sehr natürliche und organische Weise atmen. Was dieses Album auszeichnet, und es zu etwas wirklich Besonderem macht, ist, dass es kein typisches Schlagzeuger-geführtes Ensemble ist. Ja, der Berklee-geschulte Fukumori versteht es durchaus auch, die Musik auf traditionelle und swingende Weise voranzutreiben, aber hier liegt der Schwerpunkt auf einer intimeren Ebene, da er sich sich auf tiefgründige, aber kontemplative Gespräche mit seinen Musikerkollegen einlässt. […] Shinya Fukumori führt in seinem Trio unterschiedliche musikalische Seelen zusammen, die eine gemeinsame Vision und einen gemeinsamen Klang gefunden haben, der ein dezentes Gefühl von Überschwang hat.” In Stereo schrieb Reiner H. Nitschke: “Dieses Album wirkt wie ein großer, befreiender Atemzug, der sich im Dreieck zwischen Japan, München und der Provence entwickelte und vom Musiker-Produzenten Manfred Eicher in ein fragiles musikalisches Kleinod gegossen wurde.” 
Nicolas Masson Quartet: Improvisationen ohne Chaos-Energie
Nach zwei vielbeachteten ECM-Alben mit dem kooperativen Trio Third Reel stellte der Schweizer Holzbläser Nicolas Masson auf dem Album “Travelers” sein eigenes Quartett mit Colin Vallon, Patrice Moret und Lionel Friedli vor. Die Band, die auch unter dem Namen Nicolas Masson’s Parallels bekannt ist, besteht bereits seit rund zwölf Jahren in derselben Besetzung. “Ein rundum gelungenes, dabei aber kein reißerisches, kein aufdringliches Album, Resultat einer bald zwölfjährigen Zusammenarbeit”, meinte Steff Rohrbach in Jazz’n' More.
“Keiner der vier Musiker muss sein Können mit solistischer Extravaganz unterstreichen – es blitzt auch so bei allen reichlich hervor. Die Themen werden in jederzeit verblüffendem Interplay gemeinsam vorangetrieben, wobei allein schon die absolut superbe, aufs Schönste harmonierende Rhythmusgruppe Freude macht. Darüber singt das souveräne Saxophon mit seinem samtweichen Ton, der gleichzeitig eine so angemessene Prise Dringlichkeit vermittelt, dass die Leichtigkeit in keinem Augenblick verloren geht.” Im US-Musikmagazin Blurt schrieb Michael Toland: “Für sein erstes ECM-Album unter eigenem Namen (nach zwei LPs mit dem Trio Third Reel) hat der Schweizer Holzbläser seine langjährige Band Parallels umgetauft und ihr luftig arrangierte und von klassischer Musik geprägte Kompositionen vorgesetzt, um sie zu Improvisationen ohne Chaos-Energie anzuregen. Masson bevorzugt sowohl auf dem Tenor- und Sopransax als auch auf der Klarinette einen nüchternen Ton und klare Linien.und spornt seine Musiker an, in den Stücken genau so viel Raum zu lassen wie er selbst es tut. In dieser Hinsicht ist der Pianist Collin Vallon sein perfektes Abbild, da er lieber ein Akkordfundament legt, statt seine Tastatur rauf und runter zu wetzen.”
Keith Jarrett, Gary Peacock & Jack DeJohnette: Klang-Dokument eines beflügelnden Moments 
Im Laufe ihrer rund dreißig Jahre umspannenden gemeinsamen Geschichte haben Keith Jarrett, Gary Peacock und Jack DeJohnette – allgemein bekannt als “das Standards-Trio” – viele herausragende Aufnahmen gemacht. 1998 meldeten sie sich nach einer zweijährigen Spielpause, bedingt durch eine schwere Erkrankung des Pianisten, mit frischer Inspiration bei einem Auftritt in Newark/New Jersey auf der Bühne zurück. Das Konzert wurde damals mitgeschnitten, aber erst im März 2018 auf dem Doppelalbum “After The Fall” veröffentlicht.
“Jarrett nennt das Ganze im Booklet ‘ein unheimliches Experiment’”, berichtete Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung, “keiner wusste schließlich, ob er überhaupt ein ganzes Konzert durchstehen würde, aber um es kurz zu machen, das Experiment war ein voller Erfolg, von Krise, Müdigkeit, fragilem Zustand ist nichts zu hören, im Gegenteil, man wundert sich, wie er direkt aus der kranken Einsamkeit kraftvoll mitten hineinspringt in die Musik und eineinhalb Stunden lang Bebop vom Feinsten abschnurren lässt […] Bebop also. Beschwingt und leicht. Altbekannte Nummern, Charlie Parker, Bud Powell, Sonny Rollins, ‘Autumn Leaves’, aber alles unbedingt mehr wie Frühling als wie Herbst […] Schöner kann man Genesung nicht feiern.” Im Bayerischen Rundfunk schwärmte Roland Spiegel: „Für andere Musiker wären einige der Stücke harte Prüfsteine, für Jarrett waren sie offenbar musikalische Sicherheitsanker. Und wie das Jarrett-Trio hier die Themen zum Leuchten bringt und mit einem für diese Musiker zum Teil ungewöhnlichen Repertoire allerhöchste Trio-Disziplin zeigt, reißt mit und bringt nicht nur Spezialisten zum Schwelgen. Ein leises, entspanntes Highlight: ‘Doxy’ von Sonny Rollins. Das hat Blues, Swing und eine fesselnde Eleganz. Und fast meint man beim Hören der beiden CDs zu spüren, wie Jarrett sich bei diesem Konzert allmählich von den Nachwirkungen seines Müdigkeits-Syndroms freispielt. Selten verbreitet einer wie er auch offenbar so viel Spaß am Spiel. Das Klang-Dokument eines beflügelnden Moments – und das beflügelt auch beim Hören." 
Mathias Eick: durch souveräne Zurückhaltung zu Esprit und Elan
Auf seinem von der Kritik gefeierten Album “Midwest” hatte sich der Trompeter Mathias Eick 2015 mit dem Exodus von Hunderttausenden seiner Landsleute auseinandergesetzt, die im 19. Jahrhundert aus Norwegen in die weiten Ebenen des Mittleren Westens der USA gezogen waren. Auf seinem jüngsten ECM-Album begab er sich auf eine noch persönlichere Spurensuche. Denn für die Kompositionen von “Ravensburg” ließ sich Eick, der hier auch als Vokalist debütierte, von seinem eigenen Familien- und Freundeskreis inspirieren. “Raffiniert zwischen schönen Melodien und fragmentarisch-atmosphärischen Einfällen sind Eicks Kompositionen und Arrangements häufiger”, merkte Ingo J. Biermann in Nordische Musik an, “und hier setzt auch Andreas Ulvo immer wieder unerwartete Klavierakzente; sein Spiel sorgt, wie schon auf ‘Skala’, eher für eine popmusikalische Farbe, während bei Jon Balke die Jazzpoesie durchkam. Als Gegenüber zu Lofthus bringt Helge A. Norbakken mit seinen Schlaginstrumenten recht freigeistiges Flair zu diesem vitalen Ensemble. Wie Eick seine Band scheinbar gerade durch souveräne Zurückhaltung zu Esprit und Elan anregt, verführt dazu, dass man diese dichte, vielgestaltige Suite wieder und wieder neu erkunden möchte.” In Jazzthing schrieb  Reinhard Köchl: “Acht Songs, deren Struktur verblüffend simpel und – dank der beiden Schlagzeuger Torstein Lofthus und Helge Andreas Norbakken sowie E-Bassist Audun Erlien – extrem rhythmisch anmutet, mit einem starken Piano (Andreas Ulvo), melancholischen Geigenstrichen (Håkon Aase) und einer fein geblasenen Trompete immer hart an der Grenze zum Pathos, diese aber nie überschreitend. Eicks Familienaufstellung besetzt gerade wegen ihrer offenen, lyrischen Erzählart eine eigenartige Tiefenwirkung und berührt.”
Jakob Bro: sterbensschönesd Album mit einer Prise bitterer Würze
Zu einem spannenden Dialog zwischen zwei Musikergenerationen lud der 1978 geborene dänische Gitarrist Jakob Bro auf seinem Album “Returnings” ein. Gemeinsam mit dem US-Bassisten Thomas Morgan, in dem Bro vor einigen Jahren einen musikalischen Seelenverwandten gefunden hat, verbündete er sich mit zwei lebenden Legenden des nordischen Jazz verbünden: Palle Mikkelborg und Jon Christensen. “In einem leisen, langsamen Spiel finden sich die zwei jungen und die zwei alten Musiker”, beobachtete Florian Bissig in Jazz’n'More. “Vier eigenständige musikalische Stimmen haben hier nie nach Aufmerksamkeit zu fischen, sondern haben stets den Raum, den ihr nuancierter Ton braucht, um sich zu entfalten. Kaum je wird dem Hörer ein Puls aufgedrängt, und fast mit dem ersten Ton von jedem Stück ist alles Zeitgefühl weg und ein sanfter Traum beginnt. Allein im Titeltrack ‘Returnings’ bläst Mikkelborg etwas heftiger in sein Horn und rückt ein reduziertes Motiv in Sekundenschritten herum, Christensen schlägt seine Tom-Toms und Bro tritt auf den Verzerrer und andere Effektpedale. Bro und Mikkelborg haben das Stück gemeinsam geschrieben, das diesem sterbensschönen Album gerade die rechte Prise bitterer Würze verleiht.” In Manafonistas meinte Michael Engelbrecht: “Neben dem Bassisten Thomas Morgan bereichern auf ‘Returnings’ zwei Altmeister ihres Fachs das Ensemble, die erstmals, lang ist’s her, auf Terje Rypdals Fusion-Meilenstein ‘Waves’ zusammenspielten: Palle Mikkelborg, Trompete, und Jon Christensen, Schlagzeug. Ist Jakob Bros Gitarrenspiel einmal mehr eine unerschöpfliche Studie in Transparenz, steuern Mikkelborg und Christensen im besten Sinne Eigensinniges bei: der Trompeter mit eindringlicher Strahlkraft selbst in abgründigen Zonen (so verinnerlicht habe ihn bislang nie gehört), der Schlagzeuger, indem er kaum je einen Rhythmus aufrechthält, allein Suggestionen und Schattenklänge zelebriert. In keinem Moment läuft das Album Gefahr, in (blauen) Pastelltönen zu zerfließen – zwei lange Stücke sorgen, ideal platziert, für eine Art Wildheit, ja,  Furor, die dem Werk immense Spannung verleihen.”
Arild Andersen: von Funkenflug begleiteter Energy-Jazz
Zehn Jahre nach ihrem gefeierten Album “Live At Bellville”, auf dem sie sich als akustisches Power-Trio erwiesen, hat der norwegische Bassist Arild Andersen mit dem Saxophonisten Tommy Smith und dem Perkussionisten Paolo Vinaccia mit “In-House Science” eine neue atemberaubende Konzertaufnahme vorgelegt. “Unbekümmert, aber hoch motiviert stürmt Andersen durch fast alle der sechs Tracks”, notierte Ssirus W. Pakzad in Jazzthing, “flankiert vom wie entfesselt aufspielenden schottischen Tenoristen Tommy Smith (einer Art Michael Brecker der Highlands) und angetrieben vom trommelnden italienisch-norwegischen Querdenker und -schläger Paolo Vinaccia. Bei diesem von Funkenflug begleiteten Energy-Jazz wird aus dem Walking Bass schnell ein ‘Running Bass’ und der Zuhörer kommt aus der Puste. Erschöpft aber glücklich.” In dem Magazin Kultur konstatierte Peter Füßl wiederum: “Wir haben es hier mit einem echten Power-Trio zu tun, das zwar auch atmosphärisch bezaubernde Soundgemälde kreieren kann, diese dienen allerdings hauptsächlich als notwendige Ruhe-Inseln zwischen kraftstrotzenden, pulsierenden, hochenergetischen Eruptionen, bei denen sich die exzellenten Techniker durchaus gerne von ihrer muskulösen Seite zeigen. Für Jazztraditionalisten wäre es von der Papierform her vielleicht klar, wer hier soliert und wer begleitet, Andersen, Vinaccia und Smith durchbrechen das gewohnte Rollenspiel aber permanent und improvisieren als völlig gleichberechtigte Partner. Die äußerst ausdrucksstarken, ungemein intensiven und sich oftmals zu überblasenen Eruptionen steigernden Saxophonparts des Schotten gehen natürlich besonders unter die Haut, aber auch die fesselnde Rhythmusarbeit Vinaccias und Andersons vielseitige und farbenreiche Könnerschaft auf dem Kontrabass ziehen einen in den Bann.”
Kristjan Randalu: dynamisch-energetisch fein austarierter Kammerjazz
Auf seinem beeindruckenden ECM-Debütalbum “Absence” präsentierte sich der estnische Pianist Kristjan Randalu als Komponist einzigartig stringenter, aber lyrischer Musik und gewiefter Improvisator mit feinem Sinn für Strukturen. Eingespielt hat er die durchweg eigenen Stücke mit einer extra für diese Aufnahme zusammengestellten Band mit dem US-Gitarristen Ben Monder und dem finnischen Schlagzeuger Markku Ounaskari.
“Alle Kompositionen der vorliegenden Aufnahme stammen aus der Feder Randalus und zeichnen sich aus durch Melodik, Struktur und Atmosphäre, sind in sich abgeschlossene Sphären voller Brillanz, Ruhe und Ausgewogenheit”, bemerkte Ulfert Goeman im Jazz Podium. “Die innere Klammer ist immer der sparsame, aber klar konturierte Klang des Pianos.
Monders Gitarre dient der Orchestrierung, einer Aufgabe, die meist dem Bass zukommt. Hinzu kommen die eher zarten Töne Ounaskaris auf Becken und Trommeln, einem Aquarell gleichend, in dem das Klavier den Pinsel setzt (gestrichelt-Morsezeichen-ähnlich oder als hell leuchtende Wellenkämme in der Dünung wie auf dem Cover). Eine grandiose Aufnahme!” In Audio schrieb Ralf Dombrowski: “Das Trio mit dem New Yorker Gitarristen Ben Monder und dem finnischen Drummer Markku Ounaskari ist eine kommunikative, weitschweifend klanggefächerte Kombination ästhetisch starker Charaktere. Randalus aufbrausende Läufe und Arpeggien treffen auf Monders ausgreifende Raumgestaltungen und meist pulsierende, kommentierende Schlagzeugwogen. Das ist dynamisch-energetisch fein austarierter Kammerjazz, der sich auch Ausflüge in sinistere Klangsphären erlaubt.” 
Elina Duni: Selbstgespräche im weiten Raum der Musik
Auf ihrem ersten vollkommen solo aufgenommenen Album “Partir” bricht die albanisch-schweizerische Sängerin Elina Duni zu neuen musikalischen Ufern auf. Sich selbst auf Klavier, Gitarre und Rahmentrommel begleitend, interpretiert die in Tirana geborene Sängerin hier in neun Sprachen ein rundes Dutzend bewegende Lieder über Liebe, Verlust und Aufbruch. Geprägt sind alle Stücke durch ein sie verbindendes Gefühl der Sehnsucht, das durch Dunis einzigartig ausdrucksstarke Stimme und ihre sparsamen Arrangements zusätzliche Intensität gewinnt.
“Zwölf Lieder aus aller Herren Länder hat sie ausgewählt”, notierte Manfred Papst in der NZZ am Sonntag."Wir hören ein Volkslied aus Kosovo, eins aus Armenien, eins aus Mazedonien. Es gibt aber auch Ausflüge in den portugiesischen Fado und ins Italien von Domenico Modugno. Jacques Brel wird mit ‘Je ne sais pas’ zitiert, die Schweiz ist mit ‘Schönster Abestärn’ vertreten. Das klingt nach Beliebigkeit, nach globalem Birchermüesli gar, doch das Gegenteil ist wahr: Dieses Album ist aus einem Guss. Auf einen nachdenklichen Ton ist es gestimmt, obwohl es vom Aufbruch handelt. Aber es ist eben kein euphorischer oder gar leichtfertiger Aufbruch. Elina Duni besingt ihn mit erdiger Präsenz und beherrschter Kraft." In der Neuen Zürcher Zeitung meinte Üeli Bernays: “'Partir'? Ausgerechnet? Mutet das nicht etwas seltsam an angesichts der geradezu heimatlichen Verbundenheit, die Elina Duni im Umgang mit dem musikalischen Material stets an den Tag legt? Die Sängerin nimmt damit Bezug auf ihr szenisches Soloprogramm ‘Aufbrechen’, in dem sie Musik mit Texten ergänzte. ‘Partir’ aber ist tatsächlich auch eine sinnige Chiffre für ihre Gesangskunst, die Traditionen zelebriert, ohne einem volkstümlichen Traditionalismus zu verfallen. ‘Partir’ ist eben der Moment, in dem das Vertraute in Melancholie und Nostalgie umschlägt; zum andern öffnen sich wieder neue Horizonte.  […] vermisst man dabei den Austausch mit einer Band, den Dialog zwischen Musikern? Nein. Fasziniert hört man zu, wie diese Selbstgespräche widerhallen im weiten Raum der Musik.”
Nik Bärtsch’s Ronin: mitreißendes Groove-Jazz-Album in fantastischer Klangqualität
Nach sechs Jahren “Funkstille” meldete sich Nik Bärtsch’s Ronin auf seinem fünften ECM-Album “Awase” als Quartett und mit einem neuen Bassisten zurück. “Ich wollte Ronin den Frieden und Raum geben, denn die Band brauchte, um sich zu entwickeln”, begründete der Schweizer Komponist und Pianist die lange Pause. “Ich wollte sie nicht unter Druck setzen und vor der nächsten Aufnahme alle notwendigen Schritte unternehmen.” Auf “Awase” zeigte die Band, dass sie eine neue Freiheit und Flexibilität im Umgang mit dem Material gefunden hat, was wiederum in größerer Transparenz, mehr Interaktion und mehr Freude bei jeder Performance mündet.
“Der Titel des neuen Albums ‘Awase’ gibt die Richtung vor: ein Begriff aus der japanischen Kampfkunst Aikido, der das Zusammenfließen von Energien beschreibt”, erklärte Reinhard Köchl in Jazzthing. “Demzufolge kommt der ‘neue’ Ronin leichtfüßiger daher, nicht zuletzt, weil sich Jordi im Gegensatz zu seinem häufig solierenden Vorgänger Björn Meyer auf die klassische Rolle des Bassisten als Begleiter konzentriert und dadurch dem Piano mehr Luft gibt. Die Band arbeitet immer noch mit Bärtschs Modulen, diesmal fünf an der Zahl und bis zu 18 Minuten lang. Als Novum steuert Sha eine eigene Komposition bei (‘A’). Und sie beherrschen immer noch die Kunst der harmonischen und rhythmischen Verschiebung, 2018 jedoch noch einen Tick differenzierter und variantenreicher als in den Jahren von Sturm und Drang.” In Mint meinte Lothar Brandt: “Ein mitreißendes Groove-Jazz-Album in fantastischer Klangqualität […] Der Titel des neuen Albums ‘Awase’ meint im japanischen Aikido-Kampfsport so etwas wie ‘gemeinsames Bewegen’. Und genau das passiert in den von Bärtsch traditionell nur mit Modul und einer Nummer bezeichneten Stücken […] Die Wirkung ist zum Teil hypnotisch, so wie das von Thommy Jordis satt grundierendem Bass und Kaspar Rasts markigem Schlagzeug getragene Ensemble losgroovt. […] Das Highlight ist ‘Module 58’, das geradezu rockt und die formidable Klangqualität der Produktion bestens zum Tragen bringt.” 
Marc Sinan & Oguz Büyükberber: charismatisches Musikabenteuer
Seit sich Gitarrist Marc Sinan und Klarinettist Oğuz Büyükberber vor rund einem Jahrzehnt in Istanbul kennenlernten, haben sie schon in einer Reihe von unterschiedlichen Kontexten miteinander gearbeitet. Auf ihrem stimmungsvollen Duo-Album “White” steckten sie subtil ein weites musikalisches Feld ab und setzten dabei auch großzügig elektronische Mittel ein, um die Linien zwischen Realem und Surrealem zu verwischen. “Herzstück des Albums”, befand Sebastian Meißner, in Sounds and Books, “ist das fünfteilige ‘Upon Nothingness’, das als musikalische Reaktion auf Aufnahmen von Liedern armenischer Gefangener gedacht ist, die während des Ersten Weltkriegs nach Deutschland deportiert wurden. Sinan hat die Field Recordings in die Textur seiner Stücke eingearbeitet. Der Ton ihrer Musik erzeugt während der gesamten Aufnahmen hindurch eine fesselnde Atmosphäre. Dazu trägt auch der wohldosierte Einsatz elektronischer Elemente bei. So erhalten die Kompositionen immer wieder einen surrealen Charakter. Dass Büyükberber sich viel mit Eric Dolphy beschäftigt hat, wird an vielen Stellen deutlich. Ansonsten sind Verlinkungen zur Musikgeschichte eher in Andeutungen zu erkennen. ‘White’ ist sehr eigenständig, neu und nicht zuletzt genau deshalb eine faszinierende Hörerfahrung.” Im Jazzpodium schrieb Jörg Konrad: “Beide bewegen sich musikalisch in einem weiten Bereich, der mit ihrer jeweiligen Sozialisation und persönlichen Neugier zu tun hat. Da sind Versatzstücke aus der westlichen Klassik, östliche Musiktraditionen, freie Improvisationen, elektronische Verfremdungen und Field Recordings, die sie einfallsreich miteinander in Beziehung bringen. Das klingt auf ‚White' manchmal riskant und ist in der Tat nicht immer so ganz eingängig oder gar sanftmütig. Aber wer sich auf dieses charismatische Musikabenteuer einlässt, sich der Offenheit der Ideen stellt, der wird am Ende akustisch reich belohnt.”
Ketil Bjørnstad & Anneli Drecker: eine Schatzkiste, gefüllt mit Perlen aus Pop, Jazz, Klassik, Folklore und Blues
Vertonungen von Gedichten und anderen literarischen Texten bilden in der Diskographie des norwegischen Pianisten und Komponisten Ketil Bjørnstad (der bekanntlich auch selbst Schriftsteller und Lyriker ist) eine besondere Kategorie. Auf “A Suite Of Poems” präsentierte er gemeinsam mit der Sängerin Anneli Drecker einen Liederzyklus, der auf poetischen Postkartentexten des mit Bjørnstad befreundeten norwegisch-dänischen Schriftstellers Lars Saabye Christensen basiert. “Oden an die Flüchtigkeit sind diese Miniaturen für Gesang und Piano, traumnah bis klar”, meinte Christian Mückl in der Nürnberger Zeitung. “Es kann einem schwindelig werden von Dreckers stimmlichen Höhenflügen – während Bjørnstad als ruhiger Begleiter durch dunkle Kammern führt. Beim Jazz-Label ECM sind diese Klangreisenden gut untergebracht.
” In Kultkomplott äußerte sich Jörg Konrad folgendermaßen: “Als Grundlage für die dreizehn Kompositionen dienten ihm kleine Gedichte, die ihm sein schon seit Jugendjahren vertrauter Freund und Schriftsteller Lars Saabye Christensen schrieb. […] Die knappen Songs klingen wie eine Schatzkiste, gefüllt mit Perlen aus Pop, Jazz, Klassik, Folklore und dank dem Astor Crowne in New Orleans auch mit ein wenig Blues. Annelie Drecker, einst Sängerin des Trios Bel Canto, besticht durch ihre unprätentiöse, natürliche Stimme. Keine virtuosen Hundertmeterläufe, keine vokale Koketterie, kein Scat. Unschuldig, staunend, neugierig singt sie die Songs, manchmal mit einem Schuss Glückseligkeit angereichert, manchmal von einem Hauch Melancholie durchweht.” Und in Jazzthetik schrieb Thomas Bugert: “Bei diesem Album lohnt es sich, neben dem Hören die Lyrics mitzulesen, um besser in die eigenständige Klangwelt zwischen Schönheit, Wärme und Melancholie einzutauchen, die zweifelsohne von der Lyrik der Gedichte maßgeblich vorgegeben wird. Jedes Stück für sich klingt rund und in sich geschlossen, und Anneli Dreckers fragiler Gesang schafft zusammen mit Bjørnstads klanglicher Ausleuchtung der Gedichte auf dem Klavier eine sehr intime Stimmung.”  
Steve Tibbetts: wie ein Bündel Liebesbriefe im Flüsterton
Seit er 1994 bei ECM sein sechstes Soloalbum “The Fall of Us All” herausbrachte, veröffentlicht der Gitarrist Steve Tibbetts in einem gemächlichen Achtjahresrhythmus. So hat er reichlich Zeit, zwischendurch die Welt zu bereisen und stets neue musikalische Inspiration zu finden. “Life Of” ist Tibbetts' neuntes Album für ECM und in gewisser Weise eine Fortsetzung seiner 2010 erschienenen letzten ECM-Aufnahme “Natural Causes”, über die die Jazz Times damals urteilte: “Musik, in der man sich verlieren kann.” Im Mittelpunkt steht erneut der Klangreichtum von Tibbetts' zwölfsaitiger Martin-Akustikgitarre, sein gamelanartiges Klavierspiel und die kunstvoll eingesetzten Samples von Field Recordings balinesischer Gongs; abgerundet wird das Klangbild vom feinsinnigen Perkussionsspiel seines langjährigen musikalischen Partners Marc Anderson und den fast unterschwelligen Borduntönen von Michelle Kinneys Cello.
“Keine Musik für Eilige oder Schnellfertige”, warnte Manfred Papst in der NZZ am Sonntag, “aber Balsam für Menschen, die nach des Tages Plage nicht ‘herunterkommen’ wollen, wie wir so gedankenlos sagen, sondern hinauf in andere Sphären.” In Jazzthing meldete sich Hans-Jürgen Schaal folgendermaßen zu Wort: “Der Gitarrist aus Minnesota, der früher durchaus auch laut, elektrisch und jazzrockig klang, zaubert meditative Klang- und Geräuschbilder und verschmilzt dabei den mittleren Westen der USA mit dem fernen Osten Asiens. Im Mittelpunkt steht seine alte Zwölfsaitige, halb Folkgitarre, halb Sarod, auf der er mit viel Saiten-Bending fantasiert, begleitet von Klaviertupfern, Percussion und Cello-Bordun. Das klingt zuweilen wie entschleunigter Gamelan oder Raga, doch die Stücke sind fein ziselierte Miniaturen. […] Eine echte Kostbarkeit.” Und in Tibbetts' Heimatblatt, dem Minneapolis Star Tribune, schwärmte Tim Campbell: “Dies ist ein wirklich schönes Album – intim in seinem Format und doch geräumig genug, um einen großen Saal zu füllen.... Am Ende wirkt es wie ein Bündel Liebesbriefe, die im Flüsterton geliefert werden.”
Trygve Seim: von Zeit und Raum losgelöste Melodien
Mit seinem unverhohlenen Lyrismus, markanten Themen und einem Sinn für unablässigen melodischen Erfindungsreichtum besitzt das neue Album des norwegischen Saxophonisten Trygve Seim ganz sicher das Potential mit der Zeit zu einem Klassiker zu werden. Wie der Titel des Albums nahelegt, komponierte Seim den Großteil seiner “Helsinki Songs” in der finnischen Hauptstadt, in einer Wohnung mit der “Aura eines Komponisten”. Eingespielt hat er die elf Stücke, in denen er u.a. Igor Strawinski, Jimmy Webb, Ornette Coleman und Bill Evans, aber auch seinen eigenen Quartett-Kollegen und Kindern Tribut zollt, dann allerdings in Oslo mit Musikern, die auf derselben Wellenlänge sind wie er: dem estnischen  Pianisten Kristjan Randalu, dem norwegischen Bassisten Mats Eilertsen und dem finnischen Schlagzeuger Markku Ounaskari.
“Trygve Seims neues Album ist ein Juwel”, schrieb Brian Whistler ohne Umschweife in Nordische Musik, “und ein Höhepunkt in diesem hervorragenden Jahr für ECM. Wenn ich ‘Helsinki Songs’ höre, das ausschließlich Balladen umfasst, erscheint mir Seim mit seinem rauchigen Ton fast wie ein europäischer Stan Getz. Er besitzt freilich einen Tonumfang, der ihm die Möglichkeit gibt, viel mehr Farben hinzuzufügen, mal wie ein bulgarisches Duduk, mal leidenschaftlich in oberen Lagen schreiend und singend (wenngleich er, vom letzten Stück abgesehen, seine wilderen Gedanken in dieser überwiegend verhaltenen Session zurückhält).”  Nicht weniger begeistert war Peter Füssl in Kultur: “Es sind zum Niederknien schöne 63 Minuten und 49 Sekunden, die uns Trygve Seim mit seinen elf größtenteils in der finnischen Hauptstadt komponierten ‘Helsinki Songs’ beschert. Seine von Zeit und Raum losgelösten Melodien schmeicheln sich in ihrer puren Schönheit – ohne jegliches Kalkül, unbedingt schön sein zu wollen – in die Gehörgänge. Es ist Erntezeit, die jahrelange Beschäftigung des Osloers mit der nordischen Tradition, mit ägyptischer, indischer und armenischer Musik und natürlich auch mit den unterschiedlichsten Phänomenen der Jazzgeschichte trägt nun ihre Früchte.”
Barre Phillips: der Philosoph am Kontrabass
In den zurückliegenden fünfzig Jahren hat der in Kalifornien geborene, aber seit langem in Frankreich lebende Bassist Barre Phillips in regelmäßigen Abständen Soloaufnahmen herausgebracht, die er selbst als musikalisches Äquivalent zu Tagebucheinträgen betrachtet. Auf diesen Alben hielt er einen über seine sich kontinuierlich entwickelnde Beziehung zu seinem gewählten Instrument auf dem Laufenden. Mit “End To End” hat er nun sein letztes Album in diesem anspruchsvollen Format vorgelegt. 
“Mit den letzten Seiten eines Tagebuchs vergleicht der heute 83-jährige Barre Phillips sein Album ‘End To End’”, berichtete Karl Lippegaus im Westdeutschen Rundfunk. “Dem Philosophen am Kontrabass verdanken wir mit ‘Journal Violone’ von 1968 das erste Basssolo-Album der Jazz-Historie. Jetzt hat der gebürtige Kalifornier sein offiziell letztes Solowerk in seiner langjährigen Wahlheimat Südfrankreich eingespielt. Es wurde in dreizehn Kapiteln, deren fünf Kernstücke einen erstaunlichen Songcharakter enthüllen, ein bewegendes Zeugnis der lebenslangen beharrlichen Suche nach dem so noch nie Gehörten. […] Einmal mehr zeigt sich, dass die Pioniere der Jazz-Avantgarde so manchem heutigen Bildstürmer in ihrem fortschrittlichen Denken über Improvisation weit voraus sind.” In Stereo befand Sven Thielmann: “Grandios aufgenommen von Gérard de Haro im von Phillips' Domizil nur zwei Stunden entfernten Studio Buissonne, strahlen die 13, von Manfred Eicher zu drei Themenkreisen sequenzierten Tracks in subtil-reifer Schönheit. Wobei sich die filigrane Auslotung vorbereiteten Materials mit in situ zelebrierten Improvisationen unmerklich verwebt. Was auch spieltechnisch faszinierend ist, weil Barre Phillips höchst variabel nuancierte Klangfarben erfindet, deren Intensität unvergleichlich ist.”