ECM Sounds | News | ECM-Jahresrückblick 2022 Teil 1

ECM-Jahresrückblick 2022 Teil 1

Eine der größten Überraschungen des Jahres 2022 war für viele Jazzkritiker und -fans das zweite ECM-Album von John Scofield. Was die Presse zu diesem und anderen ECM-Highlights zu sagen hatte, lassen wir wieder in einem Jahresrückblick Revue passieren.
ECM16_9.jpg
ECM16_9.jpg
20.12.2022
Kit Downes Trio: Musik voller hauchfeiner Momente
2018 lotete Kit Downes auf seinem weithin gefeierten ECM-Debütalbum “Obsidian” ein ungemein breit gefächertes Spektrum an Orgelklangfarben aus. Bereits ein Jahr später ließ der Brite dem Debüt das kammermusikalisch getönte Album “Dreamlife Of Debris” folgen, auf dem er die instrumentale Palette deutlich erweiterte. Auf seinem dritten ECM-Album “Vermillion” zeigt Downes seine außerordentlichen pianistischen Qualitäten im Trio-Kontext mit seinen langjährigen Mitstreitern Petter Eldh am Bass und James Maddren am Schlagzeug.
“Kit Downes präsentiert ein großartiges akustisches Trio von berauschender Gewandtheit und beachtlicher Leichtigkeit.” (John Fordham, The Guardian)
“Es ist eine Musik, die völlig überrascht durch eine besondere Luftigkeit. Sehr lyrisch und melodiös begegnen die Trio-Partner einander hier, in zeitweise federleichter Bewegung. Das Aufregende dabei: Kein Stück wirkt harmlos. Denn das viele Schöne, das man hier hört, ist getragen von besonders feinen Strukturen. […] Musik voller hauchfeiner Momente.” (Roland Spiegel, Bayerischer Rundfunk)
“Kleine, unterschiedlich lange und doch miteinander verwandte Melodiesprengsel von Klavier und Bass wehen wie Daunen in den Raum, überlappen sich, driften in unterschiedliche Richtungen, tänzeln umgarnt von Schlagzeugtupfern. Locker und leicht entstehen dabei kammermusikalische Stücke, die ein sanfter Windhauch treibt und deren Elemente sich zu einem rundum harmonischen Ganzen zusammenfügen.” (Werner Stiefele, Stereoplay, Jazz-CD des Monats)
Avishai Cohen Quartet: Hypnotischer, reduzierter Jazz
Nachdem Avishai Cohen vor zwei Jahren auf “Big Vicious” einen elektrifizierenden Abstecher in die Gefilde von Rock, Pop, Funk, Electronica und Ambient unternommen hatte, ist er auf “Naked Truth” zum akustischen Quartett-Format seines zweiten ECM-Albums “Cross My Palm With Silver” von 2017 zurückgekehrt. Wie damals sind Pianist Yonathan Avishai und Bassist Barak Mori wieder mit von der Partie. Doch für den New Yorker Schlagzeuger Nasheet Waits ist diesmal Cohens Landsmann Ziv Ravitz eingesprungen, der auch schon an der Einspielung von “Big Vicious” beteiligt war.
“Es ist eine Musik, die die Ästhetik, die Cohen über die Jahre entwickelt hat, auf ihre Essenz herunterkocht, ein hypnotischer, reduzierter Jazz, der in jedem Takt den vielen Farben der Trauer und der Traurigkeit hinterherspürt.” (Tobias Rapp, Der Spiegel)
“Melancholie ist ein ambivalentes Gefühl. Der israelische Trompeter Avishai Cohen verwandelt sie musikalisch in ein Panoptikum der Assoziationen. Mal klingt sie nach melodischer Einsamkeit, der Verlassenheit weiter Räume, dann wieder nach harmonischer Geschlossenheit, eingefangen in arpeggierend flirrenden Soundwirkungen oder einer mollig sanften, lächelnden Traurigkeit. Cohen spielt mit diesen Gegensätzen, sein Quartett mit Pianist Yonathan Avishai, Bassist Barak Mori und Schlagzeuger Ziv Ravitz unterstützt die Vieldeutigkeit mit kammerjazzig unaufgeregter Finesse.” (Ralf Dombrowski, Audio, Jazz-CD des Monats)
“Diese Platte ist von elementarer Schönheit, indem sie in ausgesuchten Tönen von dem spricht, was wichtig ist. Viel Melancholie ist zu hören, aber auch immer wieder kleine Mut machende Melodien voller Eindringlichkeit und Leuchtkraft. Hier wird Wert auf die Details gelegt, herrscht unbedingte Achtsamkeit, ist aus gegenseitigem Zuhören und bedachtem Reagieren aufeinander ein zartes und eben deshalb kraftvolles Meisterwerk gewachsen.” (Ulrich Steinmetzger, Leipziger Volkszeitung)
Mark Turner Quartet: Eine der wichtigsten Stimmen auf dem überfüllten Feld der Tenorsaxophonisten
Auf “Return From The Stars” knüpft Tenorsaxophonist Mark Turner in mehr als einer Hinsicht an sein weithin gefeiertes ECM-Debüt “Lathe Of Heaven” von 2014 an. Hatte sich Turner auf “Lathe Of Heaven” von einer Geschichte der US-amerikanischen Fantasy- und Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin inspirieren lassen, so diente ihm nun bei “Return From The Stars” ein Science-Fiction-Roman von Stanislaw Lem als Vorlage. Eingespielt hat er das neue Album außerdem erneut mit einem Quartett, das zwar identisch instrumentiert ist, aber beinahe komplett neu besetzt wurde: den Trompeter Avishai Cohen tauschte er gegen Jason Palmer aus und Schlagzeuger Marcus Gilmore gegen Jonathan Pinson. Einzig Kontrabassist Joe Martin ist – neben dem Leader natürlich – von der Ursprungsbesetzung des Quartetts übrig geblieben.
“‘Return From The Stars’ dokumentiert Turners künstlerisches Schaffen als erstklassiger Saxophonist, konzeptioneller Denker und Bandleader, der eine visionäre Rolle in der sich rasant entwickelnden, sich ständig erweiternden Jazzszene von heute spielt” (Ed Enright, DownBeat)
“Die Akribie und Virtuosität mit der Turner gemeinsam mit dem Trompeter Jason Palmer im Klavier-losen Quartett seine acht Kompositionen auslotet, bestätigen ihn einmal mehr als eine der wichtigsten Stimmen auf dem überfüllten Feld der Tenorsaxophonisten. Da sitzt jeder Ton, egal in welcher Geschwindigkeit und Dynamik. Jedes Stück ist eine in sich geschlossene Ideenfindung.” (Andrian Kreye, Süddeutsche Zeitung)
“So selbstverständlich wie der Trompeter Jason Palmer und der Tenorsaxophonist Mark Turner ergänzen sich nur wenige Bläsergespanne. Großartig wie der eine den anderen aus dem Hintergrund unterstützt und wie organisch sie die Rollen wechseln. Ähnlich sensibel korrespondieren der Kontrabassist Joe Martin und der Schlagzeuger Jonathan Pinson mit den beiden. […] Da alle vier das offene Konzept diszipliniert ausfüllten, entstand eine schön schwebende, harmonische Atmosphäre.” (Werner Stiefele, Audio)
Tord Gustavsen Trio: Musikalische Perlen mit großer hymnischer Kraft
Seit Tord Gustavsen vor zwanzig Jahren mit seinem ersten Trio und dem Album “Changing Places” bei ECM Records debütierte, folgt der Schlagzeuger Jarle Vespestad dem Pianisten wie ein Schatten. Nach drei Alben mit dem ursprünglichen Trio, zu dem noch Bassist Harald Johnsen gehörte, präsentierte sich Gustavsen auf vier weiteren Alben mit beständig wechselnden Ensembles unterschiedlicher Größe, bevor er 2018 auf “The Other Side” zum Trio-Format zurückkehrte. Die einzige Konstante neben Gustavsen war auf all diesen Alben Jarle Vespestad. Auch auf “Opening”, dem nunmehr neunten ECM-Album von Gustavsen, ist Vespestad wieder präsent. Komplettiert wird das Trio diesmal allerdings von dem hervorragenden Bassisten Steinar Raknes, der dem Ensemble völlig neue Möglichkeiten eröffnet hat.
“Dieses jüngste Trio-Album von Tord Gustavsen pendelt in beeindruckender und einzigartiger Weise zwischen Introspektive und Dramatik hin und her. […] Die Aufnahme ist ein Vorzeigewerk in Sachen Detailtreue und dynamischer Bandbreite.” (Peter Quinn, Jazzwise)
“Er ist als Pianist ein Leisetreter – durch und durch spirituell, empfänglich für jede Note aus dem Bereich des Feinstofflichen. Der Norweger Tord Gustavsen ist nach einer längeren Aufnahmepause zurück mit einem Trioalbum, das uns in seiner Friedlichkeit tröstet und uns mit all seiner Zärtlichkeit umschmeichelt.[…] Zwölf musikalische Perlen mit großer hymnischer Kraft. Ein inspirierendes Album mit einem einfühlsamen norwegischen Trio, das den Stellenwert von Tord Gustavsen als Pianist der europäischen Szene noch einmal unterstreicht.” (Sarah Seidel, Norddeutscher Rundfunk)
“Subtile Themen von innerer Schönheit, melodische Signaturen mit folkloristischen Bezügen und vorsichtige Schritte in freie musikalische Bereiche:” (Gert Filtgen, Stereo)
Jon Balke & Siwan: Magisch klingende kulturelle Vielfalt
Hafla” ist bereits das dritte Album, das der norwegische Keyboarder, Komponist und Arrangeur Jon Balke mit seinem transkulturellen Ensemble Siwan veröffentlicht hat. Wie schon auf den beiden ersten Alben ließ er sie sich auch diesmal wieder von den Legenden und der Poesie von al-Andalus inspirieren. Zur Seite standen Balke diesmal die algerische Sängerin Mona Boutchebak, der türkische Kemençe-Spieler Derya Türkan, der iranische Tombak-Meister Pedram Khavar Zamini, der innovative norwegische Perkussionist Helge Norbakken und ein dynamisches Streichensemble, das eigentlich auf Barockmusik spezialisiert ist.
“Diese kulturelle Vielfalt klingt magisch. Vom ersten Ton des Openers ‘Tarraquab’ an ist dieser Zauber da. Es ist der Mix aus feurigen Rhythmen, einprägsamen Melodien und immer wieder überraschenden Streicher-Passagen, der die unterschiedlichen musikalischen Traditionen stimmig zusammenführt. Der alte musikalische Elemente mit neuem Leben füllt. […] Alles in allem zeigt ‘Hafla’, wie viel Kraft, Schönheit und Zauber in der Kombination verschiedener Einflüsse liegen kann. Mit alten Mitteln zeigt Jon Balke, wie Zukunft klingen kann. Vielversprechende Aussichten sind das.” (Sebastian Meißner, Sounds and Books)
“Eine faszinierende instrumentale und vokale Verflechtung, die Barock, zeitgenössische, andalusische Musik und Poesie zusammenbringt. ‘Hafla’ besticht durch die Qualität der Kompositionen und Arrangements sowie durch die Qualität der Interpreten. Ein Album von schöner und ergreifender Melancholie.” (Patrick Labesse, Le Monde)
“Das langjährige, immer wieder umbesetzte Projekt fügt an Herkunft, Melodik und Instrumentierung unterschiedliches zusammen. Leichthändig verschmilzt Balke ein Multi-Kulti-Ensemble aus türkischer Blechtrommel und gestrichener Kastenhalslaute, aus Piano, Keyboards, Violine, Bratsche und spanisch-südeuropäisch inspirierten Vocals (Mona Boutchebak) mit dem achtköpfigen Ensemble Barokksolistene. […] Balke vermeidet die Konfrontation, setzt stattdessen auf Integration und schafft so das Unmögliche, die kreative Koexistenz der Kulturen ohne Dominanz.” (Heribert Ickerott, JazzPodium)
John Scofield: Preziosen aus der Gitarren-Manufaktur des Jazz
John Scofields Karriere, die nun schon fast ein halbes Jahrhundert umspannt, ist sowohl von richtungsweisenden Kollaborationen mit Jazzgrößen wie Miles Davis und Joe Henderson gekennzeichnet als auch von mehreren Dutzend Alben unter eigenem Namen, auf denen der Gitarrist die Grenzen zwischen Genres überschreitet und verwischt. Deshalb ist es um so erstaunlicher, dass er mit “John Scofield” erst jetzt sein allererstes Gitarrensoloalbum überhaupt vorgelegt hat. Das lange Warten hat sich indes gelohnt. Denn Scofield gelingt es, aus seinem enormen Erfahrungsschatz zu schöpfen und auf sehr intimistische Weise einen Pfad durch die Stile und Idiome zu schlagen, die er bis heute durchlaufen hat. Dabei tritt der Gitarrist raffiniert mit sich selbst in einen Dialog, indem er seine Soloeinlassungen oft zur eigenen gediegenen Akkord- und Rhythmusbegleitung spielt, die er live über eine Loop-Maschine abruft.
“Dies ist eines dieser Sets, bei denen man den Musiker denken hören kann. So unterschiedliche Stücke wie ‘Coral’ von Keith Jarrett und ‘You Win Again’ von Hank Williams öffnen eine Tür in Scofields Bewusstsein, während er ihre Feinheiten erforscht und sie behutsam in seinen Händen umwälzt. (Chris Pearson, The Times)
”Jeder Ton eine Preziose aus der Gitarren-Manufaktur des Jazz, jede Wendung eine phrasierte Schrittfolge, jede Abweichung vom Grundtempo eine wirkliche Nuance. Fern jeglichen plappernden Monologisierens versteht sich Scofield auf die rare Kunst essentieller Selbstgespräche: auf launig musizierte Erzählprosa, die so knapp wie sinnvoll und so gehaltvoll wie möglich gehalten ist. Ihm zuzuhören, lässt einen zurücklehnen und staunend den Hut ziehen. Ein Coup im achten Lebensjahrzehnt." (Wolfgang Gratzer, JazzPodium)
“Vieles von dem, womit er sich in dem halben Jahrhundert seiner Karriere näher befasste, liegt hier auf dem Seziertisch eines Soloprogramms, in dem Scofield immer präziser den Kern seiner Musikalität, die Liebe zur zerbrechlichen Schönheit der Melodie und der Wechselbeziehung zwischen den Tönen und Momenten der Stille  dazwischen freizulegen scheint. Man könnte ‘John Scofield’, das Album, als eine Art von Resümee hören, als ein Spätwerk voller Wärme, ein Dokument des Abstands zu den Gepflogenheiten seines Fachs.” (Stefan Hentz, Jazzthing)
Oded Tzur Quartet: Packende Musik mit meditativem Impetus
Für sein zweites ECM-Album “Isabela” nahm der israelische Tenorsaxophonist Oded Tzur ein besonders ambitioniertes Kompositionsprojekt in Angriff, bei dem er das Konzept des Ragas, des indischen Systems melodischer Strukturen, als eine Plattform für musikalische Porträts nutzte. Jede der Kompositionen auf “Isabela” wirft ein Schlaglicht auf einen anderen Aspekt desselben Ragas, während die Titelnummer selbst das Herzstück bildet. Begleiten ließ sich Oded bei seine neuen musikalischen Reise einmal mehr von dem Pianisten Nitai Hershkovits, Bassist Petros Klampanis und Schlagzeuger Johnathan Blake.
“Eine berückende Aufnahme des in Tel Aviv geborenen einzigartigen Improvisators und Komponisten. […] ‘Isabela’ ist ein Juwel in Sachen ‘weniger ist mehr’. Das Album sollte Oded Tzurs ohnehin schon aufsehenerregenden Sound und sein besonderes Einfühlungsvermögen noch bekannter machen.” (John Fordham, Jazzwise)
“…zauberhafte, berührende und packende Musik mit einem unverkennbaren, meditativen Impetus, die nicht selten wie ein Fluss von der Quelle bis zur Mündung anschwillt. Jede Komposition und ihre Umsetzung gleichen einer Forschungsreise zwischen den sanftesten Noten, die ein Mensch in der Lage ist, auf dem Saxophon zu spielen, absoluter Stille und leidenschaftlicher Ekstase.” (Reinhard Köchl, Augsburger Allgemeine)
“Das Saxophonspiel ist noch inbrünstiger geworden. Die Band setzt ohne großes Vorgeplänkel sofort hoch an mit ‘Invocation’, gefolgt von einem Lobgesang, ‘Noam’. Ein paar Töne genügen und ‘The Lion Turtle’ bekommt etwas Leichtes, fast Barockes, Hornklang und Ensmble verschmelzen. Das Klavierspiel von Nitai Hershkovits wirkt ebenso erstaunlich we Johnathan Blakes große Kunst des Aussparens, während Petros Klampanis einen federnden, hölzernen Ton am Bass erzeugt. In diesen achteinhalb Minuten Musik steckt Magie.” (Karl Lippegaus, Fono Forum)
Steve Tibbetts: Atemlose Spannung auf der Grundlage individueller Freiheit
In Form eines Doppelalbums hat der Gitarrist Steve Tibbetts auf “Hellbound Train” eine Retrospektive seiner 40 Jahre umspannenden ECM-Karriere präsentiert. In diesem Zeitraum nahm er für das Label von Manfred Eicher bislang acht Alben auf: Angefangen bei seinem ECM-Debüt “Northern Song” (1982) bis hin zu “Life Of” (2018). Unterteilt ist diese aus 28 Stücken bestehende Sammlung in je ein elektrisches und ein akustisches Kapitel. Mit seinen fließenden Melodien und Texturen, hypnotischen Pattern und Pulsschlägen, die subtil von der Musik verschiedener Kulturen beeinflusst sind, stellt es eine ideale Einführung in das einzigartige Werk des Gitarristen dar. Dabei hat es manchmal den Anschein, dass Tibbetts dem Minimalismus, dem alternativen Rock oder der Ambient-Musik näher steht. Doch letztendlich ist seine eigene künstlerische Handschrift dabei stets unverkennbar.
“Ein sehr eindrucksvolles Zeugnis grenzenloser Überzeugung und kompromissloser Musikalität.” (Félix Marciano, Jazz Magazine)
“‘Hellbound Train’ zeigt uns Tibbetts als Globetrotter der Moderne – und sein Markenzeichen ist die stilistische Offenheit. Er pendelt zwischen Jazz und Weltmusik, spielt auf zahlreichen Instrumenten, er amalgamiert Kulturen und bleibt doch immer ein Melancholiker, der uns die Zeit vergessen lässt.” (Wolfram Goertz, Rheinischen Post)
“Die einzige Klassifikation, auf die sich das Label und der Musiker eingelassen haben: Eine CD hat er mit elektrischen Gitarren eingespielt, die zweite mit akustischen Saiteninstrumenten. Und so klingt der eine Teil auch rauer, in seiner verzerrten, manchmal schrägen Ästhetik und durchgreifenden Intensität wie Rock’n’Roll aus dem Himalaya. Das Trommelfeuer, entzündet an Congas (Marc Anderson) und Tables (Marcus Wise), gibt der Musik Bodenständigkeit und eine fließende Seele. Der andere Teil besitzt etwas magisch Stilles, etwas entspannt Reflektiertes. Improvisierte Folkloreklänge auf der Demarkationslinie Orient/Okzident. Kein Pathos, sondern waches Streben zum Licht. Zusammengenommen bietet ‘Hellbound Train’ atemlose Spannung auf der Grundlage individueller Freiheit. Ein zeitloses Ereignis, das gehört werden will!” (Jörg Konrad,  Kultkomplott)
Gard Nilssen Acoustic Unit: Ein Kaleidoskop der Kontingenz
Gard Nilssen, der einen sehr eigenständigen neuen Ansatz in Sachen Rhythmus und Freiheit gefunden hat, gilt derzeit als einer der kreativsten improvisierenden Schlagzeuger Europas. Bei ECM war er in den vergangenen Jahren schon auf hochgelobten Alben von Mathias Eick (“Skala”, 2011) und dem Maciej Obara Quartet (“Unloved”, 2017, und “Three Crowns”, 2019) zu erleben. Auf “Elastic Wave”, seinem ersten eigenen Album für ECM, stellt der Norweger sein Powerhouse-Trio Acoustic Unity mit Saxophonist/Klarinettist André Roligheten und Bassist Petter Eldh vor. Zu den definierenden Attributen dieses Ensembles, das temperamentvolle Hymnen und ergreifende Balladen mit viel Elan und Überzeugung spielt, gehören dynamische Interaktionen, ein Sinn für swingenden Puls und kühne, scharf umrissene Themen.
“Das agile skandinavische Trio hat mit seinem neuesten Album einen Volltreffer gelandet. Die sich ins Gedächtnis einbrennenden Themen, die von allen Mitgliedern – Schlagzeuger Gard Nilssen, Holzbläser André Roligheten und Bassist Petter Eldh – beigesteuert wurden, sind kraftvoller Nährstoff für die temperamentvollen, beseelten Improvisationen und das mitreißende Zusammenspiel der Gruppe.” (Peter Margasak, The Quietus)
“Auf ‘Elastic Wave’ ist fast alles zu hören, was Gard Nilssen als Schlagzeuger ausmacht, diese Mischung aus Feinsinn und Brutalität, dieser Wechsel zwischen gleichmäßigem Puls und Extrasystolen, dieses Hin und Her zwischen Attacke und Rückzug, dieser Sinn für alles, was der Musik dient. In den kompakt gehaltenen, relativ kurzen Stücken des Albums passiert so viel – auch, weil der Saxophonist und Klarinettist André Roligheten und der kürzlich erst mit dem SWR2 Jazzpreis ausgezeichnete schwedische Bassist Petter Eldh ähnliche musikalische Vorstellungen haben wie ihr Bandleader und fast auf telepathische Weise mit ihm kommunizieren.” (Ssirus W. Pakzad, Abendzeitung)
“Im Juni 2021 in den Studios La Buissonne in Südfrankreich aufgenommen, besticht das ECM-Debüt des norwegischen Schlagzeugers Gard Nilssen als Bandleader mit einer heiteren, teilweise geradezu ausgelassenen Spielfreude. Ob dekonstruierte Hymne (‘Influx Delight’) oder Superzeitlupenballade (‘Lokket til Jon, og skjerfet til Paul’), Nilssens Acoustic Unity mit André Roligheten am Tenor-, Sopran- und Basssaxophon sowie an der Klarinette und Petter Eldh am Bass überzeugt auf ganzer Linie. Alle haben Kompositionen beigesteuert, mit jeder folgt das Trio einer distinkten Idee, während seine Mitglieder gleichzeitig maximale Freiheit zu genießen scheinen. […] Die Gedanken dieses Albums reichen anderen für ein gesamtes Lebenswerk aus. Und doch wirkt ‘Elastic Wave'  auf un(an)greifbare Weise geschlossen: ein Kaleidoskop der Kontingenz.” (Harry Schmidt, Jazzthetik)