ECM Sounds | News | Digitale Diamanten: Klassiker von Chick Corea bis Eberhard Weber

Digitale Diamanten: Klassiker von Chick Corea bis Eberhard Weber

Dreizehn frühe Aufnahmen aus dem ECM-Katalog werden nun auf einen Schlag im digitalen HD-Format erscheinen und können als Download erworben oder gestreamt werden.
ECM HD-Reissues 2023
ECM HD-Reissues 2023
20.07.2023
Zu seinem 40. und 50. Jubiläum hatte ECM Records eine ganze Reihe von historischen Einspielungen erstmals im digitalen Format herausgebracht. Viele dieser Alben konnte man davor nur auf speziellen Raritätenbörsen zu Sammlerpreisen oder mit viel Glück als teuere Japan-Importe bekommen.
Einige der Aufnahmen waren ursprünglich auf dem ECM-Sublabel JAPO (Jazz by Post) erschienen, das zwischen 1971 und 1985 existiert hatte und für das neben Manfred Eicher oft der spätere Konzertagent Thomas Stöwsand (der 2006 verstarb) oder Steve Lake als Produzenten verantwortlich zeichneten. Jetzt knüpft ECM Records mit der digitalen Veröffentlichung von dreizehn weiteren Alben an diese Reihe an.
Chick Corea, Dave Holland & Barry Altschul – A.R.C.
Chick Corea gehörte mit zu den frühesten ECM-Künstlern. Als er Anfang der 1970er Jahre zu Manfred Eichers jungem Label stieß, befand sich der Pianist in einer Umbruchphase, die ihn vom freien Jazz weg- und in melodischere Gefilde hineinführen sollte. Auf “A.R.C.” ist er im Trio mit dem großartigen Bassisten Dave Holland und Schlagzeuger Barry Altschul zu hören, die damals gemeinsam mit Corea und dem Saxophonisten Anthony Braxton parallel auch das Avantgarde-Quartett Circle bildeten.
Das Repertoire auf “A.R.C.” umfasst neben drei Kompositionen von Corea und einer von Holland eine Gruppenimprovisation und eine inspirierte Interpretation von Wayne Shorters “Nefertiti”. Scott Yanow bewertete das Album bei AllMusic mit 4 von 5 Sternen und schrieb: “Die Musik, die in diesem Set zu hören ist, ist nicht ganz so frei wie die von Circle, aber oft sehr explorativ…”
Tomasz Stańko Quartet – Balladyna
“Balladyna” war 1975 Tomasz Stańkos erste Platte für ECM und sie bot dem internationalen Publikum gleich eine hervorragende Einführung in den “draufgängerischen” Lyrismus, der das stilistische Markenzeichen des polnischen Trompeters war. Bei seinem ECM-Debüt ging Stańko mit einer hochinteressant gemischten Band zu Werke, in der neben seinem Landsmann Tomasz Szukalski an Tenor- und Sopransax auch der frühere Miles-Davis-Bassist Dave Holland und der einzigartige finnische Schlagzeuger Edward Vesala glänzen konnten.
Paul Motian – Conception Vessel
Manfred Eicher war von jeher ein großer Fan des Trios gewesen, das der Pianist Bill Evans Anfang der 1960er mit Scott LaFaro und Paul Motian gebildet hatte. Und natürlich war der Produzent auch mit den frühen Aufnahmen von Keith Jarrett vertraut, auf denen der unglaublich ideenreiche Schlagzeuger sich ebenfalls gefühlvoll in Szene zu setzen verstand. Auf Eichers Anregung hin unternahm Paul Motian 1972 bei ECM seine ersten Schritte als Bandleader und Komponist. Zur Seite standen ihm bei der Einspielung von “Conception Vessel” mit Keith Jarrett und Charlie Haden zwei musikalische Partner, mit denen er zu diesem Zeitpunkt schon seit fünf Jahren zusammenarbeitete. Komplettiert wurde das ungewöhnliche Line-up durch den Violinisten Leroy Jenkins und die Flötistin Becky Friend, die damals beide Mitglieder des Jazz Composer’s Orchestra waren, sowie den Gitarristen Sam Brown von Charlie Hadens Liberation Music Orchestra.
Stanley Cowell Trio – Illusion Suite
In einer Rezension von Pianist Stanley Cowells einzigem ECM-Album “Illusion Suite”  schwärmte DownBeat 1974 vom “leisen Zauber” der dort zu hörenden Musik. “Sie schleicht sich an einen heran und trifft auf subtile Weise ins Ohr. Dinge, die man zunächst nicht wahrgenommen hat, springen plötzlich hervor. Dieses Album präsentiert [Stanley Cowells] frischen pianistischen Ansatz auf direkteste und präziseste Weise.”
Eingespielt hatte Cowell das Album 1972 mit zwei absolut hochkarätigen Trio-Partnern: der Bassist war kein Geringerer als Stanley Clarke und am Schlagzeug saß Jimmy Hopps, der ansonsten mit Größen wie Rahsaan Roland Kirk, Pharoah Sanders und Charles Tolliver zusammenarbeitete.
Jack DeJohnette’s Special Edition – Inflation Blues
“Inflation Blues” war 1983 bereits das dritte Album von Schlagzeuger Jack DeJohnettes sich kontinuierlich wandelnder Band Special Edition.
Wie schon auf den vorangegangenen Alben führte der Bandleader, von dem auch alle Kompositionen stammten, das Ensemble auch hier wieder auf abenteuerliche neue Wege und legte dabei vor allem Wert auf die dynamischen Interaktionen innerhalb der Gruppe. Zu DeJohnette, den beiden Holzbläsern Chico Freeman und John Purcell sowie Bassist Rufus Reid gesellte sich diesmal als fünfter Mann der Trompeter Baikida Carroll. Stereo Review kommentierte das leidenschaftliche Zusammenspiel der Band damals mit den Worten: “Jack DeJohnette’s Special Edition wirbelt wie ein Feuerwerk umher und entlädt seine Energie in herrlichen Farben und Formen.”
David Darling – Journal October
Mit seinem ungemein inspirierten Spiel auf Ralph Towners Album “Old Friends, New Friends” erregte der Cellist David Darling im Juli 1979 Manfred Eichers Interesse. Schon drei Monate später holte ihn der Prodzuzent deshalb ins Studio zurück, um den Amerikaner das ausgefallene Solo-Cello-Album “Journal October” aufnehmen zu lassen. “Obwohl es strenggenommen kein Jazzalbum ist, verdient David Darlings Soloalbum Aufmerksamkeit”, schrieb Ron Wynn bei AllMusic über “Journal October” und gab dem Album 4 von 5 Sternen. “Seine Technik ist verblüffend, auch wenn er oft mehr an Farben und Texturen als an Rhythmen interessiert ist. Er ist sicherlich von zeitgenössischer klassischer Musik beeinflusst, und manchmal wird er so introspektiv, dass er fast schon losgelöst wirkt. Aber es ist lohnend, sich in seine Musik zu vertiefen, da Darling zu aufregenden Aussagen fähig ist.” Der poetische, beschwörende Charakter des Albums begeisterte auch Filmemachern wie Jean-Luc Godard, der Darlings Musik in seine Projekte “Nouvelle Vague” und “Histoire(s) du Cinéma” einbaute.
Barre Phillips – Mountainscapes
Auf seinem Album “Mountainscapes” brachte der Bassist Barre Phillips 1976 sehr gegensätzliche Elemente zusammen: das furiose, energiegeladene Spiel im Trio mit John Surman (Sopran- & Baritonsax, Bassklarinette & Synthesizer) und Stu Martin (Schlagzeug & Synthesizer) wird mit weiträumigen impressionistischen Stücke kontrastiert, die Phillips ursprünglich für das Balletensemble der Choreographin Carolyn Carlson geschrieben hatte. Die Kombination von akustischen und elektronischen Instrumenten (neben Surman und Martin ist auch der damals oft mit Joe Zawinul verglichene österreichische Synthesizer-Spezialist Dieter Feichtner zu hören) ist wunderbar ausgewogen. Während der Aufnahmesession schaute der Gitarrist John Abercrombie im Studio vorbei, um im letzten Stück mit der Band zu jammen, was das Energielevel noch weiter anhob. Melody Maker umschrieb die Musik von “Mountainscapes” als “weiträumig, eindrucksvoll und fantastisch” und bezeichnete sie als “Ausgangspunkt für die Form des zukünftigen Jazz”.
Edward Vesala – Nan Madol
Das 1974 zunächst bei JAPO erschienene Debütalbum des finnischen Schlagzeugers Edward Vesala ist vielleicht auch seine wildeste und feurigste Aufnahme für ECM Records. Für “Nan Madol” hatte Vesala eine besonders lebhafte elfköpfige Band zusammengestellt, aus der als Solisten vor allem der amerikanische Saxophonist Charlie Mariano und sein finnischer Instrumentalkollege Juhani Aaltonen hervorstachen.
“Solche Musik hätte John Coltrane vielleicht gemacht, wenn er als Europäer zur Welt gekommen wäre”, schwärmte der Melody Maker. “‘Nan Madol’ ist – man kann es nicht anders beschreiben – eine wahre Klangorgie, und das Stück ‘Areous Vlor Ta’ ist eines der außergewöhnlichsten und bewegendsten Stücke, das je für eine Bigband geschrieben wurde.... Sortieren Sie das Album in Ihrer Plattensammlung gleich neben [Coltranes] ‘Ascension’ ein.”
Egberto Gismonti – Sol Do Meio Dia
Im Duo mit dem Perkussionisten und Vokalisten Naná Vasconcelos hatte der Gitarrist und Pianist Egberto Gismonti im November 1976 sein erstes ECM-Album “Dança das Cabeças” im legendären Talent Studio in Oslo eingespielt. Genau ein Jahr später kehrten die beiden Brasilianer dorthin zurück, um bei einer Session auf die bereits etablierten ECM-Künstler Ralph Towner, Collin Walcott und Jan Garbarek zu treffen.
Das Ergebnis war ein von Anfang bis Ende faszinierendes Album, das – wie Jazziz 1988 schrieb – “zweifellos ein Klassiker ist”. Inspiriert war die Musik von “Sol Do Meio Dia” von Egbertos Zeit bei den Xingu im Amazonasgebiet, denen er das Album auch widmete.
Eberhard Weber – The Colours Of Chloë
Mit seinem Debütalbum für ECM erregte der deutsche Bassist Eberhard Weber 1974 weit über die Grenzen Europas hinaus große Beachtung. Der Vibraphonist Gary Burton spielte das einprägsame Titelstück sieben Monate später mit Pat Metheny, Mick Goodrick, Steve Swallow und Bob Moses und Eberhard Weber als Gast sogar für sein eigenes ECM-Album “Ring” ein. Auf “The Colours Of Chloë” stellte Weber seine Band mit Keyboarder Rainer Brüninghaus, Flügelhornist Ack van Rooyen und Schlagzeuger Peter Giger vor, zu der sich noch die Cellisten Südfunk-Sinfonieorchesters Stuttgart, die Vokalistin Gisela Schäuble und bei einem Stück der Schlagzeuger Ralf Hübner gesellten. Das Album wurde 1975 mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet.
Derek Bailey, Evan Parker, Hugh Davies, Jamie Muir & Christine Jeffrey – The Music Improvisation Company
Das 1970 in London aufgenommene Album “The Music Improvisation Company” dokumentiert das Aufeinandertreffen einiger der abenteuerlustigsten Improvisatoren Großbritanniens: Avantgarde-Gitarrist Derek Bailey, Sopransaxophonist Evan Parker, der elektronische Musiker Hugh Davies (der eine Zeit lang Karlheinz Stockhausens persönlicher Assistent war) und Perkussionist Jamie Muir (der kurz danach durch King Crimson bekannter wurde). Die vier Musiker vereinen ihre kreativen Kräfte hier in einer atemberaubenden und alle musikalischen Grenzen sprengenden Performance, bei der Form, Textur und schräge dissonante Konstruktionen gleichberechtigt nebeneinander stehen. Als Gastvokalistin wirkt in zwei Stücken außerdem Christine Jeffrey mit.
Ralph Towner with Glen Moore – Trios / Solos
Als Solist auf akustischer zwölfsaitiger und klassischer Gitarre sowie Klavier präsentierte sich der Multiinstrumentalist Ralph Towner bei seinem ECM-Debüt in lediglich vier von neun Stücken. Die restlichen Nummern spielte er mit Hilfe seiner Kollegen der Band Oregon in wechselnden kammermusikalischen Besetzungen ein: allen voran der auf dem Cover mitgenannte Bassist Glenn Moore (der in fünf Stücken zu hören ist) sowie Paul McCandless an der Oboe und Colin Walcott an der Tabla. Dabei werden sowohl Skizzen als auch ausgefeiltere musikalische Formen ausgelotet. Als das Album 1973 veröffentlicht wurde, beschrieb Die Zeit die Stücke als “moderne Jazzgedichte – voller schöner Metaphern und Reflexionen, die Stimmungen suggerieren und Gefühle wecken”. Im DownBeat hieß es: “Dies ist einfach eine atemberaubende Platte – direkt und schön. Sie erweckt den Anschein von Zartheit, aber es gibt keinen Moment der Zerbrechlichkeit.”
Jan Garbarek, Edward Vesala & Arild Andersen – Triptykon
Nachdem er sich auf seinen ersten beiden Alben “Afric Pepperbird” und “Sart” mit Quartett- und Quintett-Besetzungen präsentiert hatte, spielte der Saxophonist Jan Garbarek sein drittes ECM-Album “Triptykon”, auf dem er sich von seiner improvisationsfreugigsten Seite zeigte, 1972 im Trio mit Bassist Arild Andersen und Schlagzeuger Edward Vesala ein. Die Schweizer Weltwoche lobte das Album damals in den höchsten Tönen: “In diesem norwegischen Triptychon hat der Free Jazz eine Form gefunden, die keine Fesseln zu fürchten braucht.”