Die Vorstellung, ein Klangereignis zu re-kontextualisieren, ist ein reizvolles Experiment. Denn Kontextualisieren an sich bedeutet ja schon, für ein jeweils definiertes Item ein speziell geschaffenes Ambiente zu schaffen, das wiederum Anknüpfungspunkt für die Erkenntnisprozesse von Künstler und Publikum sein kann. Hebt man das Ganze nun im Zusammenhang der Neuen und zeitgenössisch elektronischen Musik auf die Ebene des Kommentars, entsteht quasi ein Meta-Effekt der kulturellen Wahrnehmung, der dem ähnelt, was ernsthafte Remixer im avancierten Clubbing-Segment probieren. Insofern ist das ECM-Debüt „Kurtágonals“ der Hortogonals, hinter denen sich die Komponisten und Musiker György Kurtág Jr, László Hortobágyi und Miklós Lengyelfi verbergen, ein Grenzgängertum der Stilfelder, dessen ungewöhnliche Klangskulpturen weitere Wege eines ästhetischen Netzwerks erforschen, auf dem derzeit bei ECM New Series auch John Hassell und Ambrose Field/John Potter unterwegs sind.
Letztlich geht es bei einer Aufnahme wie „Kurtágonals“ um die Fragen Interkontextualität. Was gehört wohin? Wo enden Zitate, wo beginnt der kreative Prozess? In welche Zusammenhänge lässt sich Musik stellen, insbesondere, wenn sie keine Referenzen im natürlichen Raum hat? Ist der Kommentar, die Veränderung bereits künstlerische Originalität? Welche Funktion übernehmen Electronics in einer Zeit, da sich Schaffensprozesse mit fortschreitender Dekontextualisierung im virtuellen Raum auseinander setzen müssen? Für György Kurtág Jr sind das ebenso wenig neue Themen wie für László Hortobágyi und Miklós Lengyelfi. Ersterer hat bereits in den frühen achtziger Jahren, als er eine Assistenten-Stelle am Pariser Institut de Recherche der Coordination Acoustique/Musique (IRCAM) bekleidete, sich ausgiebig mit Fragen von Wahrnehmung und Wertung, von Analyse und Ästhetik akustischer Phänomene beschäftigt, bis hin zu Projekten wie dem Méta-Mallette Joystick Orchestra oder auch Jean Haurys „Meta-Performer“.
László Hortobágyi wiederum hat sich dem Thema von einer grundsätzlich anderen Seite genähert. Schon in den späten Sechzigern begann er, damals noch ein junger Student und nebenbei Orgelbauer aus Budapest, sich ausführlich mit indischer Musik zu beschäftigen, lernte zahlreiche fernöstliche Instrumente von Sitar bis Tabla und fand auf diese Weise über die spirituelle, klassische Ebene zu ähnlichen Fragen. Er gründete mehrere musikalische Forschungsinstitute und machte sich einen Namen als Instrumentalist ebenso wie als Wissenschaftler, der sich außerdem frühzeitig mit computergestützter und futuristischer Musik beschäftigte. Miklós Lengyelfi schließlich ist ursprünglich Bassist, hat in Rockbands wie KFT gespielt, darüber hinaus aber ebenfalls als Musikwissenschaftler sich mit diversen klangethnischen Fragestellungen beschäftigt und darüber hinaus 14 Jahre lang ein Musikermagazin herausgegeben. Und er arbeitete mit György Kurtág Jr schon seit Schultagen in verschiedenen Bands zusammen.
So wundert es kaum, dass „Kurtágonals“ wie ein organisch gewachsenes Klangganzes wirkt, das auf verschiedenen Ebenen mit den Möglichkeiten via Computer und Synthesizer reproduzierter und dekonstruierter Musik agiert. Zum einen sind die im vergangenen Sommer in Budapest entstandenen Sondscapes Zeichen eines umfassenden Deutungskomplexes, der Motive und Kompositionen von allem von György Kurtág Jr aufnimmt und in die musikalische Gegenwart überträgt. Darüber hinaus aber sind sie auch Teil eines übergreifenden Diskurses, der auf der Basis der technischen Möglichen das klanglich Nötige thematisiert. Bei „Kurtágonals“ jedenfalls ist kein Ton überflüssig, im Gegenteil. Man wünscht sich vielmehr, es wäre ein Doppel-Album.