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Areni Agbabian – Musik voller spiritueller Sehnsucht und Schönheit

Auf ihrem ECM-Debüt “Bloom” ist die amerikanisch-armenische Pianistin und Sängerin Areni Agbabian in einem intimen Duo mit dem Schweizer Perkussionisten Nicolas Stocker zu hören.
Areni Agbabian
Areni AgbabianMher Vahakn / ECM Records
24.04.2019
Areni Agbabian zieht einen auf ganz leise und behutsame Art in ihren Bann: als improvisierende Vokalistin, Folksängerin, Geschichtenerzählerin und Pianistin. Die Musik, die sie mit ihrer “glockenhellen” (The Guardian) und “opulenten” (Los Angeles Times) Stimme kreiert, ist laut New York Times “ungemein fokussiert und steuert auf eine Art versteckte Wahrheit zu”. Agbabians ECM-Debütalbum “Bloom” ist von einem klanglichen Reichtum, der über die Sparsamkeit der Mittel hinwegtäuscht: sie braucht hier nicht mehr als ihre suggestive Stimme und ihr (gelegentlich präpariertes) Klavier sowie die genial subtile Perkussion von Nicolas Stocker (den man bei ECM zuletzt mit Nik Bärtsch’s Mobile hören konnte). Agbabian, die in Los Angeles in einer armenischen Familie aufwuchs, erlangte durch Auftritte und Aufnahmen mit dem armenischen Jazzpianisten Tigran Hamasyan international Beachtung. Auf “Bloom” schöpft sie selbst tief aus ihrem armenischen Erbe, indem sie u.a. eine sakrale Hymne, eine traditionelle in Sprechgesang vorgetragene Geschichte und eine von dem großen armenischen Komponisten und Ethnomusikologen Komitas transkribierte dunkle Volksmelodie neu interpretiert. Eingestreut hat sie diese Lieder zwischen ihre eigenen vokalen und instrumentalen Kompositionen, die breitgefächerte Einflüsse von Komitas bis Tigran Mansurian, von Morton Feldman bis George Crumb und von Patty Waters bis Kate Bush kanalisieren.
Agbabian nahm “Bloom” unter der Regie von ECM-Gründer und Produzent Manfred Eicher im Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano auf. Die beiden hatten sich ein paar Jahre zuvor bei einem Abendessen nach einem Konzert in Paris kennengelernt. Als Eicher damals ihr erstes Soloalbum “Kissy(bag)” hörte, war sein Interesse gleich geweckt. Die Zusammenarbeit mit dem Produzenten war für Agbabian eine ganz besondere Erfahrung: “Zunächst einmal ist das Studio in Lugano ein warmer mit Holz ausgekleideter Raum, der mit seinem natürlichen Hall und seiner natürlichen Projektion perfekt für diese Art von akustischer Musik ist. Mit seiner langjährigen Erfahrung versteht es Manfred Eicher, einen Künstler zur rechten musikalischen Balance hinzuführen. Bei meinen Songs schlug er einige Änderungen vor, um sie in der Studioaufnahme, die sich ja von einer Konzertaufführung unterscheidet, besser zur Geltung zu bringen. Er schlug auch vor, ein paar geringfügig anders geartete Takes desselben Materials zu spielen, wodurch wiederkehrende Motive entstanden, die dem Album seine narrative Form gaben. Die beiden Stücke ‘Rain Drops’ und ‘Whiteness’, die Manfred als Urheber nennen, dienen als Klammern für die Bilderbuch-Atmosphäre von ‘Bloom’. Er hatte vorgeschlagen, dass ich einen mittleren Akkord in Es-Dur spiele und mich langsam auf luftige Weise auf der Tastatur nach oben bewege. Er dirigierte diese Momente live im Studio.”
Stocker steuerte mit “Light Effects” und “Colored” zwei Stücke für Solo-Perkussion zum Album bei. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden kam durch einen Zufall zustande. “Als ich dazu eingeladen wurde, das Studio auszutesten, lernte ich Nicolas kennen, der dort gerade eine Aufnahmesession mit Nik Bärtsch machte”, erzählt Agbabian. “Er war mir auf Anhieb sehr sympathisch und mir gefiel auch die Klangpalette seines Perkussionsarsenals, das einzigartige Glocken und Gongs umfasst. Bevor wir die Aufnahmen machten, arbeiteten wir einige Wochen lang intensiv in Los Angeles und Zürich miteinander. Ich fügte seiner Perkussionssammlung noch ein paar Instrumente wie z.B. tibetische Klangschalen hinzu. Ferner sorgten die Klavier-Präparationen bei einigen der Stücke dafür, dass wir einen einheitlichen Perkussionssound erhielten, vor allem bei ‘The Water Bride’. Und ‘The River’ war eine reine Improvisation von uns beiden, aus der sein polyrhythmischer Groove für ‘Colored’ hervorging.”
Agbabian ist seit ihrer Kindheit Sängerin. Bereits im zarten Alter von elf Monaten summte sie Melodien mit. Sie wuchs in einer Welt des Klangs auf, spielte mit vier Jahren auf Xylophonen und Trommeln herum und dachte sich Melodien und Rhythmen aus. Mit ihrer Tante, einer ausgebildeten Opernsängerin und ausgewiesenen Kennerin der armenischen Musik, und ihrer Mutter, einer Geschichtenerzählerin und armenischen Folkloristin, sang sie Reime und Volkslieder. Diese Frauen prägten ihr die armenische Sprache, ihre Töne und Flexionen, in Geist und Körper ein. Im Alter von sieben Jahren begann Areni Agbabian ein Studium des klassischen Klaviers, das zwanzig Jahre andauerte. Parallel arbeitete sie die ganze Zeit hindurch auch an ihrem Gesang. Und mit Anfang 20 hatte sie schon in einer Reihe von Chören armenische geistliche und bulgarische Volksmusik gesungen. Danach trat sie auch professionell mit traditioneller armenischer Folklore und Musik auf. Die schrittweise Integration aller Elemente ihrer musikalischen Reise führte sie schließlich auf einen individuellen musikalischen Pfad.
Acht Jahre lang tummelte sich Agbabian in der New Yorker Szene für improvisierte Musik herum. 2015 kehrte sie wieder nach Los Angeles zurück, wo sie Tigran Hamasyan kennenlernte und Mitglied des Quintetts des aufstrebenden Stars wurde. Mit Tigran tourte sie nicht nur durch die Welt, sondern war auch an der Aufnahme seiner beiden Alben “Mockroot” und “Shadow Theater” beteiligt. Für letzteres schrieb sie sogar die Lyrics zu dem Stück “Lament”. Als Sängerin hat Agbabian allerdings nicht nur Jazz und Folkmusik gemacht, sondern auch in den Bereichen der zeitgenössischen Oper (bespielsweise in der Oper “What To Wear” des Komponisten Michael Gordon von Bang on a Can), des Tanzes, der Neuen Musik und Multimedia-Performance gearbeitet. 2014 brachte sie erstes Soloalbum “Kissy(Bag)” heraus. In letzter Zeit führte Agbabian mit dem Lernazang Ensemble, einer Gruppe junger Folkmusiker, armenische und persische Musik in Los Angeles auf; darüber hinaus arbeitet sie mit dem Gitarristen Gagik “Gagas” Khodavirdi zusammen, mit dem sie verheiratet ist.
Das ganze Album strahlt ein Gefühl von spiritueller Sehnsucht aus. Besonders auffallend ist das in Agbabians eigenen, zutiefst introspektiven Liedern “Patience” und “Mother” sowie in der armenischen Kirchenhymne “Anganim Arachi Ko”. Die Verbindung zwischen dem traditionellen Material und den selbstkomponierten Songs ist gewissermaßen genetisch bedingt. “Armenische Musik ist in meiner DNA verankert”, erklärt sie. “Sie spricht mich auf einer spirituellen Ebene an, die ich nicht erklären kann. Tatsächlich war es die sakrale Musik, die schließlich mein Leben verändert hat. Durch sie lernte ich Gott kennen, und durch die Bilder der biblischen Geschichten von der Auferstehung, die in Grabar (der altarmenischen Schriftsprache) verfasst waren, wandelte sich mein Herz. In intellektueller Hinsicht ist diese Musik wahrscheinlich schwieriger als jede andere, die ich studiert habe, einschließlich der europäischen klassischen Musik, vor allem wegen der sprachlichen und rhythmischen Herausforderungen der armenischen Musik, der Mikrotonalität und des Memorierens. Neunzig Prozent der armenischen Musik ist nicht notiert, und die Notationen, die existieren, wurden nicht in westlicher Notenschrift verfasst.”