ECM Sounds | News | 50 Jahre ECM - die ECM-Highlights des Jubiläumsjahrs 2019, Teil 1

50 Jahre ECM – die ECM-Highlights des Jubiläumsjahrs 2019, Teil 1

Obwohl die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubliäum von ECM Records Manfred Eicher und sein Team auf Trab gehalten und um die ganze Welt geführt haben, drosselte das Label seinen produktiven Output in keinster Weise. In dem mittlerweile schon traditionell
ECM Records - Directions in Music and Sound since 1969
ECM Records - Directions in Music and Sound since 1969
28.11.2019
Joe Lovano Trio Tapestry:  Meisterwerk poetisch sparsam gewirkter Finesse
Seit er dem Schlagzeuger Paul Motian 1982 bei der Einspielung des Klassikers “Psalm” zur Seite stand, konnte man den großartigen Saxophonisten Joe Lovano auf einer ganzen Reihe von ECM-Alben erleben. Als Sideman von Gitarrist John Abercrombie, Bassist Marc Johnson oder Pianist Steve Kuhn und natürlich immer wieder als Mitglied von Motians brillantem langjährigen Trio, das von Bill Frisell komplettiert wurde. So ist es fast schon überraschend, dass Lovano mit “Trio Tapestry” erst 2019 sein erstes ECM-Album als Leader herausbrachte. “'Trio Tapestry' – also in etwa ‘Wandteppich-Trio’ – hat Lovano seine eigens für dieses ECM-Album zusammengestellte Formation genannt, für die er mit der Pianistin Marilyn Crispell und dem Schlagzeuger Carmen Castaldi zwei improvisationserfahrene Partner gewonnen hat”, meinte Bernhard Jugel im Bayerischen Rundfunk. “Auf den zwölf Stücken des Albums zelebrieren sie die Kunst der Kommunikation durch Musik – mal bedächtig, tastend, viel Raum lassend, mal lustvoll drängend und voll verspielter Lebensfreude.” In Kultur schrieb Peter Füßl: " Titelgemäß fügen sich die elf Eigenkompositionen zu einem ungemein bunten und vielschichtigen Klangteppich zusammen – Bilder von expressiver Schönheit, mystisch Verhangenes, experimentierfreudige Trio- und Duo-Improvisationen bis hin zum übermütigen Finale ‘The Smiling Dog’. Joe Lovano schöpft sein unglaublich breites Ausdrucksspektrum auf dem Tenorsaxophon, das auf der gesamten Jazz-Geschichte basiert, voll aus, zaubert dazu noch aus dem ungarischen Tárogató sehnsüchtig-geheimnisvolle Melodien (‘Mystic’) und meditiert mit seinen vielstimmigen Gongs. Marilyn Crispell schöpft ebenfalls aus ihrem reichhaltigen Fundus und brilliert mit ihrem unorthodoxen, expressiv-lyrischen und gleichermaßen impulsiv-kraftvollen Spiel auf Stücken wie ‘Tarrassa’, ‘Seeds of Change’, ‘Sparkle Lights’ oder ‘Rare Beauty’. Carmen Castaldi erweist sich als sehr inspirierter und feinsinniger Perkussionist und Drummer, als subtiler Impulsgeber und kongenialer Dialog- und Triologpartner, der extrem viel zur Intensität der Improvisationen beiträgt." In der Weltwoche bezeichnete Peter Rüedi “Trio Tapestry” als “ein Meisterwerk poetisch sparsam gewirkter Finesse.”
 
Yonathan Avishai Trio: frappierende Feinabstimmung
Yonathan Avishai kennen ECM-Fans schon durch die beiden Alben, die er als Mitglied von Trompeter Avishai Cohens “Dream Team” für das Label eingespielt hat: “Into The Silence” und “Cross My Palm With Silver”. Parallel entwickelte der Pianist in den letzten fünf Jahren mit dem ebenfalls aus Israel stammenden Bassisten Yoni Zelnik und Schlagzeuger Donald Kontomanou in Frankreich ein eigenes Projekt namens Modern Times, mit der er nun auch sein erstes eigenes ECM-Album “Joys And Solitudes” eingespielt hat. “Schon der Einstieg lässt aufhorchen: ‘Mood Indigo’ aus dem Jahr 1930 war einer der ersten großen Erfolge aus Duke Ellingtons Feder”, merkte Gerd Filtgen in Fono Forum an. “Von dem stimmungsvollen Stück gibt es unzählige Versionen, doch Avishai entlockt dem Klassiker weitere traumhafte, mit Bluesmelodik veredelte Motive. Das Ebenmaß musikalischer Formgebung wird auch in jeder Eigenkomposition des Pianisten wie dem zauberhaften ‘Song For Any’ und ‘Tango’ erreicht. […] Mit ‘Les Pianos de Brazzaville’, in dem Avishai Impressionen von Reisen in die Demokratische Republik Kongo in lebhaften Klängen wiedergibt, endet sein packendes Trio-Album.” Im Südwestdeutschen Rundfunk meinte Georg Waßmuth: “Die Feinabstimmung ist frappierend. Zarte Klavierakkorde öffnen einen Raum, der Rhythmus wird vom Schlagzeug nur angedeutet, eine Melodie taucht im Kontrabass auf und wird langsam zum tragenden Thema. Eigentlich macht das kleine Ensemble keinen Jazz, sondern Kammermusik auf höchstem Niveau. […] Die Musik von Yonathan Avishai erzählt Geschichten von Menschen, die ihm nahestehen. Dann wiederum führt sein Trio zu einem Tango aufs Parkett oder lässt die Zügel bei einer temporeichen Nummer los. Eine sehr leichte, federnde Spannung durchzieht das gesamte Album. Lange Jahre in der Provinz gereift, ist dieses Trio aus Frankreich eine Entdeckung.”
 
 
Ralph Alessi Quintet: impressionistische Gemälde voller Anmut und Schönheit
Nach zwei von der internationalen Kritik gefeierten Quartett-Alben für ECM, präsentiert sich der Trompeter Ralph Alessi auf “Imaginary Friends”  erstmals seit 2010 mit seinem seit vielen Jahren eingespielten Quintett mit Saxophonist Ravi Coltrane, Pianist Andy Milne, Bassist Drew Gress und Schlagzeuger Mark Ferber. “Es ist eine faszinierende Welt, die der Trompeter Ralph Alessi auf ‘Imaginary Friends’, seinem dritten Album für ECM, mithilfe seines Quintetts This Against That zum Erklingen bringt”, notierte Rudolf Amstutz in Jazz’n'More. “Die Einsamkeit des Trompetenspiels taucht auf ‘Imaginary Friends’ ein in ein vom Kollektiv erschaffenes skulpturales Bad. Die raffinierten Arrangements vermeiden jegliche Art eines klischierten Aufbaus und unterstreichen Alessis Philosophie eines atmosphärisch aufgeladenen Klangraums. Die feinen Muster von Milne, die unverkennbare Lyrik Coltranes, die Subtilität des rhythmischen Unterbaus und immer wieder die zarte Melancholie Alessis münden auf ‘Imaginary Friends’ in neun unterschiedlich schattierte impressionistische Gemälde voller Anmut und Schönheit.” In Fono Forum schrieb Berthold Klostermann: “Die Instrumentierung gleicht einem konventionellen Line-up boppiger Couleur, doch als Spieler, Komponist und Leader steht Alessi für einen ganz eigenen Weg zwischen Erneuerung und Tradition, offenen und gebundenen Strukturen. Er ist kein Powerbläser, sondern verfügt über ein Ausdrucksspektrum, das von strahlender Bop-'Attack' über Miles-Davis-/Chet-Baker’sche Lyrismen bis zum vokalen Spiel eines Lester Bowie oder Don Cherry reicht. Als Improvisator spielt er ebenso ‘inside’ schulmäßiger Akkordprogression wie ‘outside’ des tonalen Rahmens. In diesem Terrain zählt er zu den Profiliertesten der Szene, und das ist bei Coltrane nicht anders. Im langsamen Opener ‘Iram Issela’ treffen sich beide nach ausgiebigen Soli zum intensiven Dialog. Mit ungewöhnlichen Intervallen und motivischen Einwürfen, auch mal mit präpariertem Klavier, zieht Andy Milne im Verlauf dieses verhalten gestimmten Albums das Interesse auf sich. Viel mehr als nur ‘Sideman’, profiliert er sich als dritte markante Stimme im Team.”
 
Mats Eilertsen Trio: intensive Entdeckungsreise durch Klang und Komposition
In den zurückliegenden 15 Jahren war der norwegische Bassist Mats Eilertsen an einem runden Dutzend ECM-Aufnahmen beteiligt und spielte auf Alben von Tord Gustavsen, Trygve Seim, Mathias Eick, Nils Økland, Wolfert Brederode und Jacob Young eine tragende Rolle. Parallel verfolgte er aber auch stets eigene musikalische Projekte. Auf “And Then Comes The Night” ist er im Trio mit dem Schlagzeuger Thomas Strønen und dem niederländischen Pianisten Harmen Fraanje zu hören, das bereits seit zehn Jahren zusammenspielt. “Alles baut in diesem Klaviertrio aufeinander auf”, bemerkte Tilman Urbach in Fono Forum. “Vieles klingt so einfach, ohne je simpel zu wirken. Da kann es passieren, dass die drei Musiker aus einem Kleinstmotiv einen regelrechten Strom entwickeln. Fortwährend bauen sie Räume, in denen die Ohren spazieren gehen können, setzen vollständig auf die innere Strahlkraft ihrer Musik. Laut wird es nie. Man mag sich fragen, wo diese Musik herkommt. Ein impressionistisches Klanggemälde? Eine romantische Invention? Natürlich führt diese Musik einen gehörigen Jazzanteil mit. Immerhin geht es wesentlich um Interaktion, die hier ohne störende Kopfhörer in einem Raum realisiert werden konnte. […] Ein solch freies Musikmachen, ein solches Ineinanderfließen hat man lange nicht gehört.” In HiFi-Stars schrieb wiederum Frank Lechtenberg: “Die drei Musiker haben das Album in Lugano eingespielt und dabei versucht, den speziellen Charakter und die Atmosphäre des Studios Auditorio Stelio Molo einzufangen. Das gelingt zum Beispiel ganz hervorragend in dem ruhigen Stück ‘Perpetuum’, dass zunächst alle Instrumente im Nachhall des Raumes vorstellt, bevor sich die Komposition zum Ende hin mehr und mehr verdichtet. […] Es ist erstaunlich, welche Klangfarben der Norweger seinem Baß entlockt. Die einzelnen Stücke sind abwechslungsreich, mal eher frei assoziierend, mal ausgehend von einem eingängigen Leitmotiv (‘Albatross’). Ein spannendes Album, das mit ein wenig Zugewandtheit des Hörers zu einer intensiven Entdeckungsreise durch Klang und Komposition wird.”
 
Larry Grenadier: bezwingend schöner Fluss von Gedanken und Klängen
Mit “The Gleaners” (“Die Sammler”) hat Larry Grenadier ein tiefgründiges und höchst kreatives Bass-Soloalbum geschaffen, für das er Einflüsse aus einer Vielzahl von Quellen sammelte. Unter seine eigenen Stücke – darunter eines, dass er seinem frühen Helden Oscar Pettiford gewidmet hat – mischte Grenadier auch Kompositionen von George Gershwin, John Coltrane, Paul Motian, Rebecca Martin und Wolfgang Muthspiel. “Seine erste Solo-Produktion kommt spät, doch mit ihr reiht er sich in die Tradition von Bassisten wie Dave Holland, Barre Phillips und Miroslav Vitous ein, die bei ECM legendäre Selbstgespräche herausgebracht haben”, Manfred Papst in der NZZ am Sonntag. “Und Grenadier muss sich vor ihnen keineswegs verstecken. […] Sieben eigene Stücke von Grenadier enthält diese splendide Aufnahme, hinzu kommen Auftragskompositionen von Wolfgang Muthspiel und je eine Herrlichkeit von Gershwin und Coltrane. Wer jetzt noch denkt, Bass sei etwas von und für Brummbären, wird hier herzhaft belehrt.” Im Bayerischen Rundfunk meinte Roland Spiegel: “Überall fasziniert hier besonders eines: die erzählerische Kraft des Musikers. Packend, wie Larry Grenadier die Hörer in diesen Stücken mitnimmt in immer neue Stimmungen und Nuancen. Er streicht und zupft den Bass, liebkost und fordert ihn – und spricht durch ihn. Und es entsteht ein bezwingend schöner Fluss von Gedanken und Klängen, die sich Zeit nehmen. Die Raum haben. Und ihn – ohne jede Artistik, ohne jedes Vorzeigen von Tricks oder Kniffen – wie selbstverständlich füllen, weil hier ganz großes Können in Substanz aufgeht. Kein einziger hektischer Ton – aber Stücke, die in ihrer ruhigen Unaufdringlichkeit eine eigene Magie entwickeln. Der Elefant unter den Saiten-Instrumenten: Wie fein, wie beweglich, wie elegant kann er sein! Und wie er singen kann und sich dabei selbst begleiten – ohne, dass irgendetwas fehlen würde. Ein musikalischer Hochgenuss.”
 
Dominic Miller: ein Album für die Ewigkeit
Inspiriert von französischem Impressionismus und indigener argentinischer Musik zeigt sich Gitarrist Dominic Miller auf seinem zweiten ECM-Album “Absinthe”. Während Millers erstes ECM-Album “Silent Light” ganz im Zeichen intimer Solo- und Duo-Einspielungen stand, präsentiert “Absinthe” den Gitarristen mit einem Quintett, das seinen stets lyrischen Kompositionen eine robustere Struktur gibt. Ein wesentliches harmonisch-melodisches Gegenstück findet Miller, der abwechselnd an mit Nylon- und Stahlsaiten bespannten Akustikgitarren zu hören ist, hier im Bandoneón des Dino-Saluzzi-Schülers Santiago Arias. Sehr viel Lebendigkeit erhält die Musik durch das Schlagzeug von Manu Katché, der über Jahre hinweg Millers Kollege in der Band von Sting war. Mike Lindups Keyboard-Töne verleihen Highlights wie dem Titelstück eine geisterhafte Note, während der Bassist Nicolas Fiszman dem Sound Bodenhaftung gibt. “Man hört sofort, dass Miller es gewohnt ist, in Songs zu denken”, schrieb Wolf Kampmann in Eclipsed. “Es gibt keinen überflüssigen Ton und auf Soli wird weitestgehend verzichtet. Das Besondere an dieser CD ist das Ineinandergreifen der Intentionen der Beteiligten. Es ist weder Schreien noch Flüstern, sondern es scheint, als würden die Musiker ihre Melodien lediglich im Denken manifestieren. Melodien werden gehaucht, es wird viel mehr weggelassen als gesagt. Selbst der sonst eher straighte Drummer Manu Katché streicht nur ganz zart über Felle und Ecken. Miller orientiert sich an impressionistischen Malern, und das macht er gut.” In Kultkomplott “warnte” Jörg Konrad: “Einfach ist die Musik auf seinem zweiten Album ‘Absinthe’, dass der Gitarrist für ECM aufnahm, ganz sicher nicht. Aber sie wirkt so mühelos, so unverkrampft und dadurch beruhigend. Das ist die große Kunst, die zu verwirklichen tatsächlich schwierig ist. Eben nicht in manischer Hingabe seine ganze Virtuosität in Form von Schnelligkeit auszuspielen, eben nicht die Harmonien endlos zu schichten und immer wieder zu wechseln, bis die Musik verstopft klingt und nicht mehr atmen kann. Zurückhaltung, Stille, klare, aber knappe Strukturen, das ist eine Herangehensweise, die Dominic Miller liegt. Trotzdem liebt er das Risiko, die Herausforderung, ja auch das Radikale. Aber nicht in Form von Lautstärke und überbordender Komplexität. […] Musik, die aus dem Alltag einen Festtag werden lässt, ruhig und unaufgeregt. Ein Album für die Ewigkeit.”
 
David Torn, Tim Berne & Ches Smith: Zukunftsentwurf des Jazz
“Torn, Berne & Smith machen auf diesem Album Musik mit Zutaten aus allen nur denkbaren musikalischen Schubladen”, meinte Bernhard Jugel im Bayerischen Rundfunk. “Das klingt wie Filmmusik, wie eine Free-Rock-Session, wie Elektronik-Gefrickel, wie ein durchgeknalltes Jazz-Trio. Die drei epischen Stücke des Albums sind Klangskulpturen, trotz ihrer mäandernden Struktur in sich schlüssig und in jeder Sekunde spannend. ‘Sun of Goldfinger’ ist tatsächlich so etwas wie ein Zukunftsentwurf des Jazz.” In Jazzthing lobte Ssirus W. Pakzad: “Faszinierend ist, wie sich laufend die Texturen ändern, wie Sounds in der Schleife kreiseln, wie sich aus diffusem Klangwust Strukturen herausschälen, wie sich höllisch intensive Soli ihren Weg bahnen. Zum Beginn des zweiten Stücks wird es friedvoll, fast meditativ. Doch es ist nur die kurze Ruhe vor dem Sturm. Schnell brauen sich bedrohliche Klangwolken zusammen und entladen sich dann. Was für ein aufwühlendes Klangabenteuer.” Und in Eclipsed schrieb Wolf Kampmann: “Der Amerikaner David Torn zählt zu den am sträflichsten unterschätzten Innovatoren auf der elektrischen Gitarre der letzten 30 Jahre […] Sein neues, im Trio mit Saxofonist Tim Berne und Drummer Ches Smith eingespieltes Album ‘Sun Of Goldfinger’ ist ein komplexes Meisterwerk. Die drei Longtracks (jeder über 20 Minuten lang) vereinen diverse Formate von Live-Improvisation bis zu spontaner Klangmanipulation in Echtzeit. Die Songs klingen so neu und unverbraucht, dass sich Torn nicht einmal auf sich selbst zu beziehen scheint. […] Als Gast ist Pianist Craig Taborn an diesem Klangfest zwischen unbändigem Free Jazz, meditativem Rockjazz und Minimal Music beteiligt.”
 
Vijay Iyer & Craig Taborn: ein Wechselstrom der Phantasie
Vijay Iyer und Craig Taborn gehören zweifellos zu den aufregendsten und einfallsreichsten Pianisten der zeitgenössischen Improvisationsszene und kreativen Musik. Ihre Wege kreuzten sich das erste Mal vor siebzehn Jahren in Roscoe Mitchells Band Note Factory. Im Schmelztiegel dieser Band bildeten sie damals ihr Duo, mit dem sie seitdem immer mal wieder auf Gastspielreise gehen. Bei einem Auftritt in der Franz-Liszt-Akademie in Budapest entstand im im März 2018 ihr erstes Duo-Live-Album “The Transitory Poems”. “Die Kraft dieses Mitschnitts ist beachtlich”, befand Sebastian Meißner in Sounds and Books. “Wenn Iyer und Taborn spielen, wird aus Zwei Eins. Sie bleiben in ihrem Spiel unverkennbar, verschmelzen sich gleichzeitig zu etwas Neuem – egal, ob in Slow-Motion-Passagen wie etwa in ‘Kairos’ oder in halsbrecherischem Tempo wie in ‘Shake Down’. Iyer und Taborn schaffen hier Großes und vermitteln bei allem Anspruch vor allem eines: Hunger auf Neues.” In Jazzthetik schrieb Angela Ballhorn: “Zwei Klaviere sind eine delikate Sache, der Klang muss durchsichtig bleiben, zudem darf der individuelle Charakter der Pianisten nicht verschwinden. Iyer und Taborn lösen das großartig, ihr Spiel bleibt immer transparent, nie wird der Hörer erschlagen von der schieren Wucht der zwei Flügel. Im Diskurs setzen sie Klangblöcke gegen filigrane Linien und kosten flirrend und nervös die komplette Tastatur ihrer Instrumente aus. Das Gleichgewicht zwischen ausnotiert-komponiert und freiem Spiel zerfließt.” Ueli Bernays merkte in der Neuen Zürcher Zeitung an: “In den schönsten Momenten, sie sind nicht selten auf ‘The Transitory Poems’, nimmt die Musik gewissermaßen selbst das Heft in die Hand. In ihrer Eigendynamik entwickelt sich eine flirrende Drift oder eine klangmalerische Tiefe, die man kaum auf Einzelaktionen der beiden Pianisten zurückzuführen weiß. Die kongeniale Improvisation von Craig Taborn und Vijay Iyer hebt eben regelmäßig ab vom Boden individueller Bravour. […] Die zwei Klaviaturen und vier Hände schaffen so einen Wechselstrom der Phantasie, der sich bald in ozeanischem Rauschen ausbreitet, bald entlädt in sinfonischen Verwerfungen. Zwischen Chaos und Stille agierend, verlieren die Pianisten die Kontrolle zwar nie. Aber sie sind offen für den Zauber der Form, der sich als Klangsignatur, als elektrisierende Melodik oder swingende Phrasierung einschreibt ins Wimmelbild der Sounds.”
 
Sokratis Sinopoulos Quartet: entrückt daherkommende Klangwelten
Vier Jahre nach seinem von der Kritik gelobten Debütalbum “Eight Winds” melden sich der Lyra-Spieler Sokratis Sinopoulos und sein Quartett mit dem treffend betitelten Zweitling “Metamodal” zurück. Auf subtile Weise durchkämmt die in Athen ansässige Band hier eine riesige Ansammlung von Einflüssen. Geprägt ist die Musik von den breitgefächerten Erfahrungen der einzelnen Musiker mit folkloristischen Formen, byzantinischer und klassischer Musik sowie vielen unterschiedlichen Improvisationsmethoden und Jazz. “Der Schmerz, aber auch die Schönheit von Jahrhunderten scheint in dieser die Atmosphäre der Ägäis verströmenden Musik zu liegen”, notierte Peter Füssl in Kultur, “wohltuende Wärme und melancholische Sehnsucht, die sich von Zeit zu Zeit in lebensfrohen, quicklebendigen, fast schon zum Tanzen einladenden Passagen entladen. Ungeheure Tiefe, zerbrechliche Zartheit und ganz großes Drama fügen sich mit großer emotionaler Kraft in diesen acht neuen Kompositionen zusammen, die der griechische Lyra-Virtuose Sokratis Sinopoulos sich und seinem Langzeit-Quartett mit dem Pianisten Yann Keerim, dem Kontrabassisten Dimitris Tsekouras und dem Drummer Dimitris Emmanouil auf den Leib geschrieben hat.” Bei Radio Bremen meinte Andreas Kisters: “Ein ums andere Mal überrascht das harmonierende Quartett mit entrückt daherkommenden Klangwelten. Und neben dem quasi omnipräsenten Klagemodus offenbaren Sokratis Sinopoulos' Kompositionen immer wieder dessen tiefe Verwurzelung in byzantinischen Musiktraditionen. Häufig beginnen die Stücke mit einer Art Taksim, einem langen, typisch orientalischem Vorspiel, das gewissermaßen den Tonvorrat und die jeweilige Stimmung festlegt, die dann besonnen im Team weiterentwickelt wird. Haften bleibt – sozusagen als Alleinstellungsmerkmal – die Lyra mit ihrem eigentümlich verwundbaren Ton, zugegeben, ein Ton, der zu Tränen rührt, …”
 
Giovanni Guidi: ein Album voller Farben, Nuancen und Unterschiede
Seit rund sieben Jahren unterhält der italienische Pianist Giovanni Guidi nun schon sein Trio mit dem US-amerikanischen Bassisten Thomas Morgan und dem portugiesischen Schlagzeuger João Lobo. Ihr fabelhaftes Zusammenspiel haben sie bereits auf den beiden von der Kritik hochgelobten ECM-Alben “City Of Broken Dreams” und “This Is The Day” gezeigt. Auch auf Guidis neuem Album “Avec Le Temps” sind Morgan und Lobo wieder verlässliche Partner des italienischen Pianisten. Für neue Klangfarben sorgen diesmal als Gäste des Trios der Saxophonist Francesco Bearzatti und Gitarrist Roberto Cecchetto. “42 Minuten, das reicht. Keine Note zu viel, keine weitschweifigen Alleingänge: Voller Konzentration lotet Giovanni Guidi auf ‘Avec le Temps’ die acht Stücke aus”, meinte Ralf Dorschel im Norddeutschen Rundfunk. “Geschlossen wird das Album dann mit Guidis Hommage an den von ihm bewunderten polnischen Trompeter Tomasz Stanko – der es wie wenige andere verstand, Vergänglichkeit, auch Verletzlichkeit, in Töne zu kleiden. […] Für ‘Avec le Temps’ hat Guidi sein Stammtrio erweitert: Neben dem US-Bassisten Thomas Morgan und dem portugiesischen Drummer João Lobo spielen hier auch Gitarrist Roberto Cecchetto und Saxofonist Francesco Bearzatti. ‘Inferno’, so nennt Guidi dieses Ensemble, dabei lebt dieses Inferno aus der Spannung zwischen kontrollierten Momenten der Ruhe und den Ausbrüchen. Es ist eine Gratwanderung zwischen der Jazztradition und Exkursionen in freie Bereiche – kammermusikalische Themen, die neben Tomasz Stańko viel dem Werk eines Enrico Pieranunzi schulden oder auch eines Enrico Rava, mit dem sowohl Guidi als auch Cechetto gespielt haben. Guidis drittes Album für das ECM-Label macht sich gut als Visitenkarte: Einer der spannendsten jungen Jazzer Europas steht da in Großbuchstaben.” Im Bayerischen Rundfunk urteilte Roland Spiegel: “Ein Ereignis ist bereits dieses Titelstück von Giovanni Guidis aktueller CD. Doch die gewinnt mit jedem Stück noch mehr an Profil. Zum einen: Man weiß nie, was folgt.  Zum anderen: Alles wirkt organisch. Auf diesem Album gibt es keine verlässliche Masche. Jedes Stück überrascht. Manche tun dies sogar sehr – und doch wirkt dabei nichts bemüht anders. […] Ein Album voller Farben, voller Nuancen, voller Unterschiede. Zeit kann hier ungestüm dahinrasen – und an vielen Stellen fast stehenbleiben in einer Zartheit und Schönheit, die ganz selten sind. Es endet mit einer Verbeugung vor dem großen polnischen Trompeter Tomasz Stanko und seiner Musik. Und man hört: Jazz als Kunst der Fingerspitzen. Augenblicke, die eben nicht verfliegen.”
 
Bill Frisell & Thomas Morgan: Perlen der modernen Gitarrenliteratur
“Wehmütig und hypnotisierend… klanglich genial und eindringlich” – mit diesen Worten umschrieb der Guardian 2017 die Musik von Bill Frisell und Thomas Morgans erstem Duo-Album “Small Town”, dass bei einem Auftritt im New Yorker Village Vanguard mitgeschnitten worden war. Im März 2018 bestieg das Gespann erneut die Bühne des legendären Clubs im Greenwich Village, um dort auch sein zweites ECM-Album “Epistrophy” live einzuspielen. In dem intimen Rahmen beweist das Duo einmal mehr sein seltenes musikalisches Einfühlungsvermögen. Auf dem Programm standen wieder poetische Preziosen aus dem Americana-Songbook, allseits bekannte Jazzstandards von Thelonious Monk und Billy Strayhorn, ein Filmsong von John Barry und eine Komposition von Paul Motian. “Was Frisell und Morgan auf ‘Epistrophy’ zum Besten geben, kommt dermaßen unprätentiös daher, dass es eine wahre Freude ist”, schrieb Andreas Collet in Jazzthetik. “Zwei Freunde, die einander nichts beweisen müssen. Hier geht es um die Essenz der einzelnen Stücke, deren Seele und die Freiheit der Interpretation. Reduktion und Reharmonisierung als stilistische Mittel. So werfen sie sich die musikalischen Bälle zu, greifen Ideen, Motive, Fragmente auf, führen sie weiter, erschaffen Neues – und in diesem steten musikalischen Fluss voller Magie entstehen Perlen der modernen Gitarrenliteratur.” In Jazzthing meinte Uli Lemke: “Natürlich greifen Frisell und Morgan auch die alten Zeiten der Countrymusik auf und sogar Frisells Dauerliebling ‘Wildwood Flower’ taucht auf. Die Kunst des Duos besteht aber eben darin, jedem Liedgut Großes zu entlocken, immer wieder Neues zu entwerfen, Melodien zum Schweben zu bringen, egal, woher sie kommen. Ein Drifters-Klassiker in E-Dur zum Mitwippen steht hier auf gleicher Stufe mit dem vertrackten Thema von Motians ‘Mumbo Jumbo’ und der strahlenden Klarheit von Monks ‘Pannonica’. Für einen Dialog, wie ihn Frisell und Morgan führen, braucht es einfach keine Grenzen.” Und in Sounds & Books befand Joachim Meißner: “Seinen Namen erhält das Album von Thelonious Monk, dessen ‘Epistrophy’ und ‘Pannonica’ ebenfalls zum Set gehören, und die Frisell ‘magisch’ nennt. Magisch ist auch das Zusammenspiel zwischen Bill Frisell und Thomas Morgan. Wie die beiden immer wieder die Rolle tauschen, Melodie und Begleitung wechseln, die Ideen des anderen antizipieren und sich an Feinfühligkeit und Spielwitz überbieten, ist schlicht großartig. Humor und Empathie und tiefe Ehrfurcht vor den Idolen ist hier zu hören und produziert eine Musik, die zeitlos ist und vor allem guttut.”
 
Areni Agbabian: eine überwältigende Stimme, die tief berührt
Auf ihrem ECM-Debütalbum “Bloom” zieht Areni Agbabian, eine US-Amerikanerin mit armenischen Wurzeln, die Hörer auf leise Art in ihren Bann: als improvisierende Vokalistin, Folksängerin, Geschichtenerzählerin und Pianistin. Sie präsentiert hier eine minimalistische Musik, in der Stimme, Klavier und die subtile Perkussion von Nicolas Stocker immer wieder in Stille übergehen. “'Bloom' enthält 17 Miniaturen. 17 kurze Songs, die der Stille abgetrotzt sind – zart, verletzlich, voller Selbstachtung”, bemerkte Jörg Konrad in Kultkomplott. “Eingespielt von der armenischen Sängerin und Pianistin Areni Agbabian. Sie hat die Gabe und das Können mit ihrer überwältigenden Stimme tief zu berühren und mit ihren Improvisationen am Klavier neue Horizonte zu erschließen. Der physische Aufwand scheint dabei minimal. Lyrische Bilder und sehnsuchtsvolle Gedanken werden bei ihr spontan und wie mühelos zu lichtdurchfluteter, manchmal fast tonloser Musik. Selbst Schmerz verwandelt Areni Agbabian in sanfte, aber mahnende Klänge, deren Intimität bewegt. Den Geschichten, denen sie ihre sirenengleiche Stimme gibt, fehlt es weder an Schönheit noch an Intensität. Sie provoziert nicht, sondern verzaubert mit ihrer Musik. Begleitet wird sie auf ‘Bloom’ von dem sehr zurückhaltend agierenden Schweizer Perkussionisten Nicolas Stocker. Die wenigen rhythmischen Verstrebungen, die er beisteuert, wirken nachhaltig, verändern oft entscheidend die Farben der Songs, oder verdeutlichen deren Schattierungen.” Im St. Galler Tagblatt kommentierte Richard Butz: “Sie versteht sich auf die Kunst der Pause, der Stille und der Sparsamkeit. Sie bringt alles zum Fließen, dringt in die Texte ein, setzt Note für Note und erzeugt so eine meditative Stimmung. Stocker nimmt sie gekonnt auf, setzt einmal auf seiner Basstrommel zu einem hypnotischen Solo an, dann wieder lässt er den Rhythmus gekonnt verebben. Ein Höhepunkt dieses Albums sind Agbabians Versionen einer alten geistlichen armenischen Hymne.” Und in Audio meinte Lothar Brandt: “Ihre zarte, leise, aufdringliche Musik verliert sich zuweilen fast in der Stille. Die Stimme der Pianistin und Komponistin erinnert an Kate Bush, sie tönt eindringlich-meditativ auch im Sprechen. […] Toningenieur Stefano Amerio konservierte wunderbar atmosphärische, bis ins kleinste Detail durchhörbare Klänge.”
 
Stephan Micus: Musik mit einer ätherischen Dimension
Seit über 40 Jahren kennt man Stephan Micus als einen außergewöhnlichen Musikreisenden, der die Welt erkundet, Instrumente sammelt und mit ihnen seine eigenen musikalischen Welten erschafft. Für “White Night”, sein 23. Album für ECM, komponiert er wieder sämtliche Titel und spielt alle Instrumente selbst im Overdub-Verfahren ein, um wahrlich einzigartige und exquisite kammermusikalische Stücke zu kreieren. Die zehn Stücke basieren vor allem auf dem Klang verschiedener Kalimbas (Daumenklaviere) aus dem subsaharischen Afrika und der oboenartigen armenischen Duduk. Neben seiner 14-saitigen Gitarre spielt Stephan Micus hier – meistens in noch nie zuvor gehörten Kombinationen – Instrumente aus Armenien, Tibet, Indien, Ägypten, Ghana, Senegal, Tansania, Botswana, Namibia und Äthiopien. “Micus hält die Musik im Mehrspurverfahren fest”, bemerkte Ralf Dombrowski in Stereoplay, “und hat dabei über die Jahre hinweg eine Meisterschaft der akustischen Balance erreicht, sodass seine Aufnahmen zu den Spezialitäten für Freunde des exquisiten Soundempfindens gehören. Das funktioniert unter anderem deshalb, weil er Arrangements karg hält, präzise mit Charakterkontrasten von Instrumenten arbeitet und dem Perkussiven eine besondere gestaltende Qualität zuschreibt. So entwickelt sich auch ‘White Night’ auf sonderbare Weise fluid, lässt Motive schweben, sich verknüpfen, in Kommunikation mit dem Raum und dem Betrachter treten. Micus' Musik bekommt auf diese Weise eine ätherische Dimension, spirituell vielleicht, obwohl diese Eigenschaft eher strukturell als sinnstiftend verstanden wird.” In Sounds and Books schrieb Sebastian Meißner: “Vor allem afrikanische Daumenklaviere (sogenannte Kalimbas) und die armenische Duduk kommen auf dieser Platte zum Einsatz – zwei Instrumente, die zum einen kindlich-naive Spielfreude ausdrücken, zum anderen aber auch melancholisch klingen. In Titeln wie ‘The Bridge’, ‘Fireflies’, ‘All The Way’ oder ‘The Forest’ kann man diese Dichotomie deutlich hören. Die Tracks führen den Hörer durch emotionale Landschaften, nehmen in auf die sprichwörtliche Reise durch ferne Länder. Mit Micus als Reiseführer ist man dabei immer gut aufgehoben. Denn seine Musik nimmt sich viel Zeit. Sie fordert, ohne zu überfordern.”