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Bewahrte Unschuld

Auf dem Live-Album “El Encuentro” stellt Dino Saluzzi vier suitenähnliche Kompositionen in orchestralem Rahmen vor
Dino Saluzzi © Sheldon Levy / Wikipedia
Dino Saluzzi © Sheldon Levy / Wikipedia© Sheldon Levy / Wikipedia
12.05.2010
Zusammenarbeiten mit Orchestern können leicht in Katastrophen münden. Von den Schwierigkeiten, die man als Komponist haben kann, wenn man ein geeignetes Orchester für die Aufführung seiner ambitionierten Werke sucht, konnte der große Frank Zappa nicht nur ein, sondern gleich ein Dutzend Lieder singen. Besonders schwierig ist es natürlich, wenn man sich mit seinen Arbeiten in stilistischen Grenzgebieten bewegt. An Zappas eigenwilligen Kompositionen verhoben sich selbst einige der renommiertesten Orchester der Welt. Wesentlich mehr Glück war da jetzt Dino Saluzzi beschieden, der in dem niederländischen Metropole Orchestra einen idealen Klangkörper für die Einspielung seiner wundervollen Kompositionen fand. An der auf der CD “El Encuentro” dokumentierten Begegnung waren als Solisten neben dem argentinischen Bandoneón-Virtuosen außerdem die Cellistin Anja Lechner und der Tenorsaxophonist Felix Saluzzi beteiligt.

Das Metropole Orchestra wurde kurz nach Beendigung des 2. Weltkriegs gegründet und ist seitdem eine Referenzadresse im niederländischen Musikbetrieb. Es gibt kaum einen musikalischen Stil, den dieses Orchester in all diesen Jahren nicht gemeistert hätte. Allein in den letzten paar Jahren arbeitete es mit der Fado-Diva Mariza, mit Zappas legendärem Stuntgitarristen Steve Vai, dem Ex-Faith No More-Vokalisten Mike Patton, dem Brasilianer Egberto Gismonti und dem Jazzgitarristen John Scofield zusammen. Und stets bewies es dabei seine außergewöhnliche Klasse und unglaubliche stilistische Flexibilität.

Als nun Dino Saluzzi, der dieses Jahr seinen 75. Geburtstag feiert, auf das Metropole Orchester traf, hatte er genaue Vorstellungen davon, wie die Musik klingen sollte. “Auch wenn man nur wenige Elemente verwendet, kann man viel aussagen”, meint Dino Saluzzi über das Projekt. “Die Musik sollte nicht zu rational sein, sondern voller Unschuld.” Die vier suitenähnlichen Kompositionen lassen vor dem inneren Auge des Hörers ein breitwandiges Panoramabild von der ebenso atemberaubenden wie rauen Schönheit der argentinischen Andenregion entstehen, in der Dino Saluzzi groß wurde. Das von dem jungen Dirigenten Jules Buckley geleitete Orchester verleiht der von Melancholie durchwehten Musik Saluzzis dabei eine weitere dramatische Dimension. Solististische Akzente setzen neben Dino Saluzzi noch zwei Musiker, die seit Jahren Kooperationspartner des Bandoneón-Spielers sind: die deutsche Cellistin Anja Lechner, mit der Dino seit Mitte der 90er Jahre eng zusammenarbeitet, und sein neun Jahre jüngerer Bruder Felix, der zu den besten Saxophonisten Argentiniens zählt und mit seinem mächtigen Ton Erinnerungen an Gato Barbieri weckt.

Saluzzi beherrscht wie nur wenige die Kunst, in seiner Musik poetische Geschichten zu erzählen. Und dafür gibt es eine simple Erklärung: Er wuchs in einem kleinen Dorf in der nordwestlichen Andenregion Argentiniens auf, wo es damals weder Radios noch Schallplatten gab. Musik lernte er so nicht als “Konserve” kennen, sondern durch die folkloristische Ensembles, die sie live vortrugen. Und deren Musik diente nicht nur der Unterhaltung, sondern überlieferte auch Geschichten aus dem Alltag der Menschen dieser abgeschiedenen Gegend. Diese Geschichten prägten Saluzzi so sehr, dass er sich ihnen auch nach seinem Musikstudium in Buenos Aires noch stark verbunden fühlte. Schon früh beschloss der Bandonéon-Spieler, “nicht dem üblichen Eklektizismus zu verfallen, der schon so viele Varianten der lateinamerikanischen Musik trivialisiert hatte”. Das macht seine Musik bis heute einzigartig und unterscheidet sie letztlich auch deutlich vom Tango Nuevo Astor Piazzollas. Und auch ihre ursprüngliche “Unschuld” hat Saluzzis Musik bis heute nicht verloren.