Seit seinem ersten ECM-Album “Kultrum” hat sich das musikalische Bild von Argentinien verändert. Denn obwohl Dino Saluzzi einer der größten Virtuosen auf dem typischen Tango-Instrument Bandoneon ist, wandelt er lieber auf Pfaden, die für den Rest der Welt nicht gerade geläufig sind. Dazu gehören unbekannte Folk-Töne, Candina- Musik, den aus Afrika importierten Candombe und besonders die Milonga-Klänge aus der Provinz La Pampa, die Saluzzis Nuevo Tango eine besondere Würze geben. Und die allesamt Timoteo “Dino” Saluzzi von Kindesbeinen an kennen- und liebengelernt hat.
1935 im kleinen Städtchen Campo Santo im Norden Argentiniens geboren, stand Musik immer an erster Stelle. “Wir hatten kein Radio, keine Schallplatten, noch nicht einmal Elektrizität”,erinnert sich Saluzzi. “Wir lebten einfach mit der Natur, der Folklore und der einfachen, von Einflüssen unberührten Indianer-Musik.” Vom Vater erlernte er die ersten Schritte auf dem Bandoneon, diesem vom Krefelder Heinrich Band entwickelten, diatonisch angelegten Akkordeon. Von einem Onkel bekam er den letzten Schliff, so dass er bereits mit 14 Jahren seine erste Band, das Trio Carnaval gründete. Während er als professioneller Musiker schon früh von sich reden machte, studierte Saluzzi in Buenos Aires und wurde bald festes Mitglied beim Symphonieorchester des Radiosenders El Mundo. Dort lernte er auch Astor Piazzolla kennen.1956 beendete Saluzzi seinen Orchester-Job und kümmerte sich ganz um die musikalischen Wurzeln, wobei er die unterschiedlichsten Formen der Latein-Amerikanischen Musik aufgriff. Erst Anfang der 70er Jahre schaffte Saluzzi den Sprung auf das internationale Parkett, vor allem über die Zusammenarbeit mit dem Saxophonisten Gato Barbieri. Tourneen quer durch den südamerikanischen Kontinent folgten, mit Mariano Mores begleitete er als Solist die Enrique Mario Francini’s Sinfonica da Tango bei ihrem Japan-Gastspiel. 1979 sorgte sein erstes Quarteto besonders in Europa für Schlagzeilen, was ihm eine Einladung von Manfred Eicher, dem ECM-Produzenten einbrachte, das Solo-Album “Kultrum” einzuspielen.Das Debüt wurde zum Startschuß für Saluzzis Projekte mit europäischen und amerikanischen Jazz-Musikern wie Palle Mikkelborg, Louis Sclavis und Al di Meola. Mit zwei Kollegen hat er dabei eine besondere Beziehung, weil die ihrerseits schon immer zur latein-amerikanischen Musik eine spezielle Affinität besaßen. Mit dem Trompeter Enrico Rava, dem Argentinien-Fan, spielte er auf “Volver”; Charlie Haden holte ihn in sein Liberation Music Orchestra. 1991 verwirklichte Saluzzi endlich ein Projekt, das er seit Jahren mit sich herum trug.Auf dem ECM-Album “Mojotoro” kehrte er in seine Heimat zurück, und zwar dank der tatkräftigen Familienunterstützung: mit seinen Brüdern Felix und Celso sowie dem Sohn José. Und erneut hieß es unter dem Strich: “Ich versuche stets, mich von allen Vorurteilen zu lösen, was Musik sein sollte. Ich fürchte mich vor nichts, weil ich weiß, dass alles, was ich mache, eine Reflexion meiner Kultur und meiner Person sein wird.” Dass dazwischen ständig der Tango in seinen verschiedensetn Facetten eingeblendet wird, überracht da kaum.