“Es ist eine großartige Sache, wenn man seine Musik öffnet und jemand anderes aus einer anderen Welt, einer anderen Kultur dazu einlädt, an ihr teilzuhaben”, meint Dino Saluzzi. “Man muß natürlich bereit sein, seine Musik teilen zu wollen, und dies kann nur geschehen, wenn gegenseitiger Respekt vorhanden ist. Wenn es funktioniert, wird man wieder daran erinnert, daß selbst die allerpersönlichste Musik auch universelle Musik sein kann. Aber was Palle Danielsson in dieses Trio und diese Aufnahmen eingebracht hat, ist schlichtweg fantastisch. Ich betrachte ‘Responsorium’ ebenso sehr als sein Album wie als mein eigenes Album.”
Darüber kann man natürlich streiten – Fakt ist indes, daß der erfahrene Stockholmer Bassist (zusammen mit Gitarrist José Maria Saluzzi) Dinos phantasievollen, erzählerischen Songs, den vertonten Geschichten von seiner Jugend auf dem argentinischen Land, nicht nur eine solide Basis lieferte, sondern in den Improvisationen auch ganz eigene musikalische Anstöße gab. In mancherlei Hinsicht knüpft “Responsorium” – ein Album, das sowohl höchst anziehend ist als auch musikalischen Tiefgang besitzt – an das 1995er Album “Cité De La Musique” (ECM 1616) an, das ebenfalls in der Besetzung mit Bandoneon, Gitarre und Baß eingespielt wurde. Der Austausch des Bassisten hat jedoch zu substantiellen Änderungen geführt. Mit Palle Danielsson anstelle von Marc Johnson kam es zu einer harmonischen Erweiterung. Es scheint, als hätten alle drei Musiker nun mehr Raum, sich innerhalb der Strukturen von Dinos Kompositionen zu bewegen und seine Songs, die zugleich voller Sehnsucht, Traurigkeit und Hoffnung sind, auszuschmücken.
Auch Dinos Sohn, der Gitarrist José Maria Saluzzi, hat seine Rolle in der Band des Vaters seit “Cité De La Musique” neu definiert. Er hat sich im Laufe der Jahre deutlich weiterentwickelt und verfügt nun über einen differenzierteren Klang von beträchtlicher Subtilität. José, der ab dem siebten Lebensjahr Perkussionsunterricht erhielt, startete seine Karriere ursprünglich als Schlagzeuger (bei den 1991 entstandenen Aufnahmen für Dino Saluzzis Album “Mojotoro” saß er noch hinter dem Drums-Set). Erst als 18jähriger wandte er sich der Gitarre zu und studierte das Instrument unter Anleitung des argentinischen Jazzpioniers Walter Malosetti und des Tango-Meisters Anibal Arias. Aber am wichtigsten waren für seinen musikalischen Werdegang, wie er selbst sagt, die täglichen Sessions mit seinem Vater, bei denen auf ein Repertoire aus Jazz, Tango und Folklore zurückgegriffen wurde.
Palle Danielssons wuchtigen Baßklang kennt und schätzt man in der internationalen Jazzszene spätestens seit den 70er Jahren, als der Bassist Mitglied zweier Bands war, die Jazzgeschichte schrieben: das Jan Garbarek-Bobo Stenson Quartet und Keith Jarretts sogenannte “Belonging”-Formation. Bei amerikanischen Jazzern wie Bill Evans, George Russell, Ben Webster, Don Cherry, Charlie Shavers, Lee Konitz, Phil Woods oder Steve Kuhn, die in den 60er Jahren Danielssons Heimat Schweden bereisten, war der blonde Bassist jedoch schon früher ein gern gesehener Mitspieler. Danielssons ECM-Diskographie umfaßt Alben mit Charles Lloyd, Peter Erskine, Tomasz Stanko, Anouar Brahem und Lena Willemark, sowie natürlich mit Jarrett und Garbarek
Dino Saluzzi genießt heute den Ruf, eine der führenden Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musik Südamerikas zu sein. Unter seinen argentinischen Instrumentalkollegen gilt er unumstritten als der Bandoneonspieler, der das Instrument und die traditionelle Musik seiner Heimat am weitesten vorangebracht hat.
Der 1935 in der Kleinstadt Campo Santo im Norden Argentiniens geborene Dino Saluzzi leitet schon seit seinem 14. Lebensjahr eigene Bands. Seine professionelle Laufbahn begann er während der Studienzeit in Buenos Aires. In der argentinischen Hauptstadt lernte er damals, als der Begriff “Tango Nuevo” gerade erst in Umlauf kam, auch Astor Piazzolla kennen, mit dem er sich befreundete. Obwohl Piazzolla und Saluzzi den musikalischen Werken des jeweils anderen stets Respekt zollten, lehnte Saluzzi das von Piazzolla mit Stolz verwendete Etikett “Tango Nuevo” für seine eigenen Arbeiten ab. Dennoch: Als “Kunstmusik” will er seine Musik – wie er in zahlreichen Interviews immer wieder sagte – wiederum auch nicht verstanden wissen, da sie mit beiden Beinen im Leben wurzelt, und er mit ihr versucht, seinen Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen Ausdruck zu verleihen. Und dies gilt sowohl für die Werke Saluzzis, die in erster Linie seine kompositorischen Fähigkeiten hervorheben – wie z.B. das überaus erfolgreiche Album “Kultrum”-Album (ECM New Series 1638), das Saluzzi mit dem Rosamunde Quartett realisierte -, als auch für die Werke, bei denen die Improvisation die Hauptrolle spielt. Zu letzteren zählt eindeutig auch “Responsorium”.