John Cameron Quartet – verkanntes Juwel des britischen Jazz
Mit “Off Centre” legte der britische Pianist John Cameron ein ebenso abenteuerliches wie unterhaltsames Album vor. Nun bringt Decca diese Rarität zum ersten Mal seit seiner Ersteröffentlichung im Jahr 1969 wieder auf Vinyl heraus.
The John Cameron Quartet "Off Centre" LP(c) Decca Records
07.05.2025
Der Name John Cameron dürfte den meisten Jazzfans außerhalb Großbritanniens heute kaum ein Begriff sein. Das hat einen einfachen Grund: der Pianist hat in seiner gesamten Karriere nur zwei Jazzalben unter seinem Namen eingespielt, von denen aber eines – “Off Centre” aus dem Jahr 1969 – getrost als verkanntes Juwel des britischen Jazz bezeichnet werden darf. Der Titel dieses Albums war zugleich Programm. Denn musikalisch bewegt sich Cameron hier mit unkonventionellen, teils gar experimentellen Ansätzen lustvoll abseits ausgetretener Jazzpfade. In dem Quartett, mit dem er “Off Centre” einspielte, hatte der Pianist Musiker um sich geschart, die – wie er selbst – allesamt exzellente Jazzer waren, aber zugleich ein zweites Standbein in der florierenden Londoner Pop- und Rockszene hatten: den Flötisten, Tenor- und Altsaxofonisten Harold McNair (ein Absolvent der legendären jamaikanischen Talentschmiede Alpha Boys School), den Kontrabassisten Danny Thompson sowie den Schlagzeuger und Perkussionisten Tony Carr.
Bekannt war John Cameron zu dieser Zeit vor allem als (von Quincy Jones inspirierter) Arrangeur und musikalischer Leiter der Band des Singer/Songwriters Donovan, für den er seit 1966 zahlreiche Hits arrangierte (u.a. den US-No.1-Hit “Sunshine Superman”). Später arbeitete er auch mit François Hardy und der Soul/Pop-Band Hot Chocolate. In den 70er Jahren gründete Cameron mit dem legendären Bluesgitarristen Alexis Korner die Band CCS, die in England fünf Top−40-Hits landete, darunter ein Instrumentalarrangement von Led Zeppelins “Whole Lotta Love”.
Als Cameron 1969 “Off Centre” aufnahm, stand seine musikalische Karriere an einem Scheideweg. Der damals 25-Jährige hatte kurz zuvor seine erste Filmmusik für Ken Loachs hoch gelobtes Drama “Kes” geschrieben und war auf den Geschmack gekommen. Inzwischen hat er Musik für über 50 Filme komponiert und arrangiert (der Soundtrack für “A Touch Of Class” brachte ihm 1973 eine Oscar-Nominierung ein), aber auch für zahlreiche BBC-Fernsehproduktionen. Und es schien, als wollte sich Cameron, der schon als als Teenager mit Größen wie dem Saxofonisten Dick Heckstall-Smith auf der Bühne gestanden hatte, bei der Session zu “Off Centre” noch einmal so richtig jazzig austoben. Vom ersten Stück an, der wilden neunminütigen Titelnummer des Albums, geht die Post ab. Man spürt förmlich den unbändigen Spaß, den die Musiker bei dieser Aufnahme hatten.
Auf abenteuerliches Terrain begeben sie sich auch in “Omah Cheyenne” und im bluesigen “Splat”. Deutlich entspannter geht es dagegen in “Dafina Querida” zu, das rhythmische Einflüsse aus Lateinamerika und Afrika aufweist und ein Showcase für Harold McNairs Flöte und Danny Thompsons Kontrabass ist. Zum krönenden Abschluss des Albums serviert das Quartett mit “Troublemaker” noch einen fantastischen soul-jazzigen Groover. Cameron selbst erweist sich als Pianist, der Einflüsse von Thelonious Monk, Bud Powell und Sonny Clark in seinem Spiel vereint.
Dieses außergewöhnliche Album, dessen Originalpressungen heute bei Sammlern Mondpreise erzielen, erscheint nun erstmals seit seiner Erstveröffentlichung wieder auf Vinyl. Die Neuauflage von “Off Centre” wurde in den Abbey Road Studios mit hochauflösenden 24-Bit/192-kHz-Audiodateien gemastert, die direkt von den originalen analogen Stereo-Masterbändern kopiert wurden. Abgerundet wird die Neuedition durch ein großformatiges vierseitiges Beiblatt mit einem eigens für diese Veröffentlichung geführten Interview mit John Cameron.