British Jazz Explosion | News | British Jazz Explosion - Wegbereiter polnischer Jazzästhetik

British Jazz Explosion – Wegbereiter polnischer Jazzästhetik

60 Jahre lang war das Album “Lola” des polnischen Saxofonisten Zbigniew Namysłowski ein gesuchtes Sammlerobjekt. Nun ist es innerhalb der Reihe “British Jazz Explosion” erstmals wieder auf Vinyl erhältlich. 
British Jazz Explosion -Zbigniew Namysłowski
British Jazz Explosion -Zbigniew Namysłowski (c) Decca Records
19.11.2025
Obwohl der Jazz in Polen bereits in den frühen 1920er Jahren erste zarte Blüten trieb, begann er sich erst Anfang der 1960er Jahre von den übermächtigen amerikanischen Vorbildern zu emanzipieren. Musiker wie der Pianist und Komponist Krzysztof Komeda, der Trompeter Tomasz Stańko und der Altsaxofonist Zbigniew Namysłowski trugen maßgeblich dazu bei, eine eigenständige polnische Jazzästhetik zu entwickeln und sie im Rest Europas und in Übersee bekannt zu machen. Und “Lola”, das 1964 entstandene Debütalbum von Zbigniew Namysłowski und seinem Modern Jazz Quartet, war ein früher Meilenstein auf diesem Weg und zugleich das erste Album einer polnischen Band, das nicht hinter dem “Eisernen Vorhang” aufgenommen wurde. Dass es nun, rund 60 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, in der Reihe British Jazz Explosion zum ersten Mal wieder auf Vinyl erscheint, liegt daran, dass es in London aufgenommen und auf dem Label Decca Records herausgebracht wurde.
Als Zbigniew Namysłowski (1939–2022), der aufgrund seiner Bedeutung für den modernen Jazz in seiner Heimat oft als “der John Coltrane Polens” bezeichnet wird, das Album einspielte, war er mit seinen fast 25 Jahren der Älteste des Quartetts. Der Schlagzeuger Czesław Bartkowski und der Bassist Tadeusz Wójcik waren 21 Jahre alt und der Pianist Wlodek Gulgowski sogar erst 20. Ihre erstaunliche Originalität bewiesen die vier jungen Musiker, indem sie das Repertoire von “Lola” fast ausschließlich aus eigenen Kompositionen zusammenstellten: fünf von Namysłowski und zwei von Gulgowski. Die einzige Ausnahme war eine Interpretation des von Jerome Kern und Oscar Hammerstein II geschriebenen Standards “Ol’ Man River”.
Bei seinen Stücken ließ sich Zbigniew Namysłowski von der polnischen Folklore, insbesondere der Musik aus dem polnischen Hochland rund um das Tatragebirge, inspirieren. In den Liner Notes zur Neuauflage des Albums schreibt der britische Jazzkenner Tony Higgins, der Saxofonist habe seine Musik “anders klingen lassen wollen als der sogenannte reine Jazz”. Und das ist ihm hervorragend gelungen. Wie das ein Jahr später aufgenommene Album “Astigmatic” des Krzysztof Komeda Quintet, in dem Namysłowski zusammen mit Tomasz Stańko spielte, gehört “Lola” zu den bahnbrechenden Alben des modernen polnischen Jazz.
Die im August 1964 im Decca Studio No. 3 entstandenen Aufnahmen wurden von Mike Vernon produziert, der später unter anderem mit Fleetwood Mac, David Bowie und John Mayall zusammenarbeiten und das Label Blue Horizon gründen sollte. Der Tontechniker war Vic Smith, der wiederum 1977 das Debütalbum von The Jam produzierte. In einer Rezension des Albums “Lola” bemerkte das britische Jazz Journal 1964 in Bezug auf die damals aufstrebende polnische Jazzszene: “Es ist fast unglaublich, dass in so kurzer Zeit so begabte, professionelle Musiker hervorgebracht wurden, die so fortschrittliche Musik spielen.”