Wolfgang Muthspiel | Tokyo

Kammermusikalisches Jazz-Trio mit Sinn für unorthodoxe Ideen

Mit “Tokyo” legen Gitarrist Wolfgang Muthspiel, Bassist Scott Colley und Schlagzeuger Brian Blade bei ECM Records ihren dritten und bisher abenteuerlichsten Geniestreich als Trio vor.
Wolfgang Muthspiel
Wolfgang Muthspiel (c) Laura Pleifer ECM Records
25.09.2025
Die LP und mehr von ECM Records finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Seit der Gitarrist Wolfgang Muthspiel im Jahr 2020 sein Trio mit dem Bassisten Scott Colley und dem Schlagzeuger Brian Blade auf dem ECM-Album “Angular Blues” vorstellte, sorgt die Formation in der Jazzszene für helle Aufregung. “Was für ein Trio”, jubelte Brian Morton 2023 in DownBeat, als die Band ihr zweites Album “Dance of the Elders” veröffentlichte. “Zusammen haben sie etwas von der Einfühlsamkeit des Bill Evans Trios.” Mit einer eindrucksvollen Interpretation von Keith JarrettsLisbon Stomp” bereiteten Muthspiel, Colley und Blade auf ihrem dritten Album “Tokyo” nun die Bühne für ihre bisher abenteuerlichste Trioaufnahme. Im Mittelpunkt des Albums stehen allerdings Muthspiels fesselnde Eigenkompositionen. Das breite Spektrum reicht von lyrischen Balladen (“Pradela”, “Traversia”) über Songs mit subtilen Folk-Einflüssen (“Strumming”, “Flight”) und leicht schräg klingendem kammermusikalischem Jazz (“Weill You Wait”) bis hin zu twangy gespieltem Rock ’n’ Roll (“Roll”). 
In diesem Trio ist alles miteinander verbunden”, sagt Wolfgang Muthspiel. “Es geht nie darum, sich auf einen Solotrip zu begeben. Alles ist miteinander verwoben und formt eine einzige Erzählung. Und die Musik ist interaktiv – wir kommunizieren ununterbrochen miteinander. Das ist es, was ich am Zusammenspielen mit diesen Jungs so liebe.” Im Laufe der letzten Jahre ist der österreichische Gitarrist mit seinen Trio-Kollegen Scott und Brian tatsächlich noch mehr zusammengewachsen und ihr Zusammenspiel ist immer fließender geworden – eine Entwicklung, die auf mehrere Tourneen zurückzuführen ist, die sie durch Europa, die USA und Japan unternommen haben. Wie der Titel des Albums schon nahelegt, wurde “Tokyo” (so wie zuvor schon “Angular Blues”) im Oktober 2024 im Studio Dede in Tokio aufgenommen. Das dritte Studioalbum des Trios zeugt von der tiefgreifenden Dynamik und dem subtilen Zusammenspiel, das wahrscheinlich nur eine bestens eingespielte Band erreichen kann.
Wie man es von ihm gewohnt ist, wechselt Wolfgang Muthspiel mühelos zwischen akustischer und elektrischer Gitarre und lässt beide Instrumente gleichermaßen zu Wort kommen. Mit seinem weichen Anschlag und seinen fließenden Linien umrahmt er ein Programm, das die gesamte idiomatische Bandbreite zu umfassen scheint, die er in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Die Erfahrung, die er in den letzten fünf Jahren im Zusammenspiel mit Scott Colley sammeln konnte, hat zu einem nahezu telepathischen Verständnis zwischen dem Gitarristen und dem Bassisten geführt. Die dadurch gewonnene Freiheit kommt in Songs wie “Lisbon Stomp” zum Tragen. Das Stück war ursprünglich der Opener von Jarretts allererstem Album “Life Between the Exit Signs” (1967) mit Charlie Haden und Paul Motian. “Nachdem wir Keiths Thema vorgestellt haben, geht es um konkrete Zeit und freie Veränderungen”, sagt Muthspiel. “Diese Art, harmonische Verläufe im Moment zu erfinden, habe ich mit Scott über die Jahre hinweg kultiviert und vertieft.” Dieselbe kontrollierte Spontaneität ist auch in anderen Stücken des Albums zu hören, beispielsweise im wehmütigen Rubato-Stück “Pradela”, im melodiösen “Flight” oder in der klaustrophobischen akustischen Jam-Nummer “Diminished and Augmented”.
Bei “Strumming” übernimmt der Gitarrist gewissermaßen die Rolle des Ride-Beckens und verleiht dem Stück so seinen rhythmischen Drive. Das akustische Signal der E-Gitarre wird im Mix hervorgehoben, wodurch Wolfgangs Spiel noch perkussiver wird. An seiner Stelle übernimmt Colley die melodische Führung, indem er seinen Bass mehrmals arco spielt (eine Spielweise, auf die er auch bei “Flight” und “Traversia” zurückgreift). Tatsächlich sind auf diesem Album unorthodoxe Ideen Trumpf: Brian Blades Drum Fills über dem Vamp in “Weill You Wait” verblüffen durch ihre Sparsamkeit und Entspanntheit. In “Strumming” fungiert der Schlagzeuger zunächst als subtil treibende Kraft, bevor er in der Coda des Stücks ein virtuoses perkussives Crescendo hervorzaubert. Und in dem ausgelassenen “Roll” variiert er seinen Backbeat-Groove auf immer neue Weise. In demselben Stück spielt Wolfgang Muthspiel, wie er es ausdrückt, “Jaco-Pastorius-ähnliche Basslinien auf der Gitarre, während Scotts Bassparts wie eine Bläsersektion wirken”. Beim Schreiben des Songs gingen dem Gitarristen, wie er sagt, “Erinnerungen an Vamps von Keith Jarrett auf der einen und Weather Report auf der anderen Seite” durch den Kopf. Weather Report kommen einem auch bei dem verträumten “Christa’s Dream” in den Sinn, wenn Muthspiel gegen Ende mit einer kurzen Synthesizer-Gitarren-Einlage seinen inneren Zawinul kanalisiert.
Hinter einigen der Eigenkompositionen des Gitarristen stecken eher unerwartete Inspirationen. So verweist er für den einfachen gitarristischen Ansatz im folkigen “Strumming” auf die legendären Songwriter Bob Dylan und Leonard Cohen (das Gleiche, sagt er, gilt übrigens auch für das Stück “Hüttengriffe” von “Angular Blues”, dem Debütalbum des Trios). “Traversia”, das während einer Wanderung auf dem Jakobsweg entstand, assoziiert Wolfgang “eher mit Messiaen als mit Gillespie”, da es ein unorthodoxes harmonisches Gefüge aufweist, das weit von funktionaler Harmonie entfernt ist und stattdessen mit einem modalen Design flirtet. Er komponierte das Stück während einer Reise auf einer Kindergitarre. Bei der Aufnahme musste er deshalb auf seiner normalen Gitarre einen Kapodaster verwenden, um den Tonumfang einer Quarte über der üblichen Stimmung zu erreichen."Das gibt der Gitarre eine Renaissance-artige Klangfarbe – fast wie eine Laute."
Bei anderen Stücken sind die Referenzen offensichtlicher: Das wortspielerisch betitelte “Weill You Wait” ist eine direkte Hommage an den Komponisten Kurt Weill, dessen “Liebeslied” aus der “Dreigroschenoper” das Trio auf seinem letzten Album "Dance of the Elders" interpretierte. Seiner andauernderen Bewunderung für Weill trägt Muthspiel diesmal in seinem eigensinnigen Kammermusikstück Rechnung, das in seiner Ausführung fast anatomisch wirkt. Während der Aufnahmesession zeigte Wolfgang Muthspiel seinen beiden Trio-Partnern Weill-Aufführungen von Lotte Lenya, der Frau des Komponisten. “Der Eindruck ihres einzigartigen Interpretationsstils färbte auf unser Spiel während der Aufnahme ab. Dadurch wurde das Stück fast ein bisschen frech – wir spielen es bewusst nicht auf übermäßig emotionale oder lyrische Weise, sondern eher mit Biss, fast schon barsch.” Mit einer gewitzten Interpretation von Paul MotiansAbacus” beendet Muthspiel das Album, wie er es begonnen hat: mit einer Anspielung auf ein großes Stück Jazz- und ECM-Geschichte.
Tokyo
Tokyo
VÖ: 26. September 2025
Wolfgang Muthspiel, ECM Sounds, Brian Blade

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Tokyo (LP)
Tokyo (LP)
VÖ: 05. Dezember 2025
Wolfgang Muthspiel, Brian Blade, ECM Sounds

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