Wie damals beim ersten ECM-Album sitzt auf “Angular Blues” Wolfgang Muthspiels langjähriger Mitstreiter Brian Blade am Schlagzeug. Für den ursprünglichen Trio-Bassisten Larry Grenadier (der auch auf den beiden Quintett-Alben mitwirkte) ist nun aber Scott Colley eingesprungen, der dem Trio mit seinem besonders erdigen Klang eine etwas andere Dynamik verleiht. Während Muthspiel bei drei Nummern akustische Gitarre spielt, ist er bei den restlichen sechs Titeln auf der elektrischen Gitarre zu hören. Neben für ihn typischen, melodischen Eigenkompositionen interpretiert Muthspiel, vom New Yorker einst als “eine Lichtgestalt” unter den heutigen Jazzgitarristen bezeichnet, erstmals auf einem seiner ECM-Alben auch zwei Jazzstandards.
Muthspiel, Colley und Blade spielten “Angular Blues” in Tokio ein, wo sie unmittelbar im Anschluss an ein dreitägiges Engagement im Cotton Club ins Studio Dede gingen. Abgemischt wurde das Album später mit Manfred Eicher in den südfranzösischen Studios La Buissonne, wo Muthspiel seine vorausgegangenen ECM-Alben “Rising Grace” und “Where The River Goes” (beide mit Pianist Brad Mehldau und Trompeter Ambrose Akinmusire) aufgenommen hatte. Die Musiker all der Bands, die Muthspiel für seine ECM-Einspielungen zusammengestellt hat, haben einen besonders guten Draht zueinander. Über sein neues Trio sagt der Gitarrist: “Scott und Brian teilen meine Liebe für Songs. Zur gleichen Zeit tauschen wir uns konstant musikalisch über diese Lieder aus.”
Der aus Louisiana stammende Brian Blade ist nicht nur seit zwanzig Jahren Mitglied des Wayne Shorter Quartet, sondern arbeitete in diesem Zeitraum mit anderen Jazzgrößen wie Charlie Haden, Herbie Hancock, Chick Corea und Joshua Redman, aber auch Bob Dylan, Joni Mitchell, Daniel Lanois und Norah Jones zusammen. Seit Mitte der 90er Jahre leitet er eine eigene Band namens Fellowship, die von Americana-Stilen beeinflussten Jazz macht. “Brian ist für seinen Sound und leichten Anschlag berühmt”, sagt Muthspiel über den auf subtile Weise virtuosen Schlagzeuger, “für seine schwebende Spielweise. Er erzeugt Intensität, ohne laut zu spielen. Es bereitet mir auch eine große Freude zu sehen, wie einfühlsam Brian darauf reagiert, ob ich akustische oder elektrische Gitarre spiele. Ich habe im Laufe der Jahre eine Menge Konzerte und Produktionen mit ihm gemacht. Wir haben unser Gitarren-Schlagzeug-Duo Friendly Travelers. Außerdem war er bei der Einspielung von ‘Driftwood’ und ‘Rising Grace’ mit von der Partie.
Er bringt sich immer vollständig ein und zeigt Initiative, und er hat natürlich auch seinen persönlichen Sound. Mit Brian in einem Stück wie ‘Ride’ Uptempo-Swing zu spielen, war ein wirklicher Luxus, ein Geschenk.”
Als ehemaliger Schüler von Charlie Haden avancierte Scott Colley zum bevorzugten Bassisten von Jazzlegenden wie Jim Hall, Andrew Hill, Michael Brecker, Carmen McRae sowie Bobby Hutcherson und tauchte auf Alben von Herbie Hancock, Gary Burton, Pat Metheny, John Scofield, Chris Potter und Julian Lage auf. Der gebürtige Los Angeleno hat acht Alben als Leader veröffentlicht. “Scott und Brian haben in den letzten paar Jahren auch viel zusammengespielt, sie kennen sich also sehr gut”, merkt Muthspiel an. “Ich bin in den 90er Jahren mit Scott in New York aufgetreten, und ich hatte immer das Gefühl, dass er ein extrem gebefreudiger Musiker war, der die Musik – mit seinem warmen Ton und seinem geschmeidigen, tänzerischen Rhythmus – gleichzeitig belebte und unterstützte. Die Bassmelodie von ‘Wondering’, dem ersten Stück des neuen Albums, habe ich extra für ihn geschrieben. Sein Klang entwickelt einen Fluss und eine harmonische Bewegung, die zum Weiterspielen einlädt.” Die Nummer bietet auch ein ausgedehntes Solo von Colley, das Muthspiels Melodie wundervoll ausschmückt.
Auf “Wondering” folgt das Titelstück des Albums, in dem das Trio sehr interaktiv zur Sache geht. Seinen Titel verdankt dieser “Angular Blues” seinen “rhythmischen Modulationen und eigenartigen Breaks”, erklärt der Gitarrist. “Als Inspiration diente uns irgendwie Chick Coreas Album ‘Three Quartets’, aber auch Thelonious Monk.” Diese ersten beiden Stücke und auch den dritten Titel “Hüttengriffe” spielte Muthspiel auf der Akustikgitarre ein. Sein Klang auf dem Instrument ist sowohl warm als auch außergewöhnlich flüssig. Zur elektrischen Gitarre greift er danach bei “Camino”, “Ride”, “Everything I Love”, “Kanon in 6/8”, “Solo Kanon in 5/4” und “I’ll Remember April”. Muthspiels stets flüssige Phrasierung auf der E-Gitarre gibt sowohl einer emotionsreichen Eigenkomposition wie “Camino” Auftrieb als auch den beiden unterschiedlichen Versionen seines kaleidoskopischen “Kanon”, deren Trio-Fassung im 6/8-Takt ist, während die größtenteils improvisierte Solo-Darbietung im 5/4-Takt gehalten ist.
Erstmals präsentiert Muthspiel auf einem seiner ECM-Alben auch Jazzstandards: “Was mich dazu inspirierte, mit diesem Trio Standards aufzunehmen, ist, dass die ganze Art und Weise, wie diese Band spielt, so frei, offen und fernab von vorgefassten Ideen zu sein scheint. Aber im entscheidenden Moment bedienen wir uns einer Jazzsprache. Was wir machen, wird diesen Stücken gerecht. Cole Porters ‘Everything I Love’ lernte ich durch ein frühes Album von Keith Jarrett kennen und ‘I’ll Remember April’ durch eine Aufnahme von Frank Sinatra. Bei Letzterem spiele ich kaum solo. Es geht mehr um das Hauptthema und die vampartige Atmosphäre, die am Anfang herrscht und gegen Ende wieder einsetzt. Wie in vielen Momenten mit diesem Trio, geht es auch hier darum, mit dem Raum zu spielen: ihn zu belassen, ihn zu schaffen, ihn zu füllen.”