Wer sehen will, muß hören … Wer wäre für den Soundtrack zu einem Film über den legendären Fotografen William Claxton und seine Welt zwischen Filmstars und West-Coast-Jazz wohl besser geeignet als der Trompeter und Komponist Till Brönner? Spätestens seit seinem erfolgreichen Album “Chattin` With Chet” ist seine Liebe zu Chet Baker, der Kultfigur des West-Coast-Jazz, offiziell. Brönner gelang es dabei nicht nur, einen eleganten Bogen vom Gestern zum Heute zu schlagen, sondern auch seinen eigenständigen Ausdruck zu bewahren.
Das Komponieren und Produzieren ist für Till Brönner inzwischen schon eine zweite Hauptbeschäftigung geworden. Seine Erfahrung und sein Einfühlungsvermögen hört man auch Brönners Kompositionen für “Jazz Seen” an. Atmosphärisch dicht führen die Stücke durch den Film und verleihen ihm eine zusätzliche Dimension. Das wunderschön orchestrierte Kurzthema “The Frogman” untermalt die Szene, in der Fotograf Claxton bei einem Strandspaziergang zufällig auf einen Taucher trifft und von diesem eines seiner berühmtesten Fotos schießt. Der rasante “Blues For Peggy” ist Claxtons Lebenspartnerin, dem legendären Fotomodel Peggy Moffitt, gewidmet. Der mitreißende Track “Shoot” beschreibt die Euphorie, die bei Claxtons Fotosessions herrscht.
Auch ohne die entsprechenden Bilder bietet der “Jazz Seen”-Soundtrack die Möglichkeit, in William Claxtons Welt einzutauchen und sie vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen. Zusätzlich zu Till Brönners Kompositionen enthält die CD Jazzklassiker, die dem Film authentische Atmosphäre verleihen. So zum Beispiel das sinnliche “Peel Me A Grape”, von Diana Krall mit einer Mischung aus Laszivität und Coolness interpretiert, zwei Originalaufnahmen von Chet Baker (mit dem wohl zartesten “Tenderly” aller Zeiten), plus Tracks von Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und Duke Ellington, Gerry Mulligan und Stan Getz, Ben Webster und Oscar Peterson sowie Art Tatum. Wer sehen will, sollte hier zuhören.
Wer hören will, muß sehen … Für “Jazz Seen” wechselt Regisseur Julian Benedikt die Seiten, oder besser: die Küsten. “Blue Note – A Story Of Modern Jazz” hieß sein abendfüllender Dokumentarfilm über das New Yorker Kultlabel und dessen Künstler. Der Film heimste überall in der Welt Preise ein und war auch ein phänomenaler Publikumserfolg. Dreh- und Angelpunkt des neuen Films sind die kalifornische West-Coast-Jazz-Szene und der Fotograf William Claxton, der u.a. für Fotos für die Plattencover von Jazzlabels wie Pacific Jazz, Contemporary und Fantasy schoß, aber auch Hollywood-Stars und andere wichtige Zeitgenossen ablichtete. Es ist nicht übertrieben, wenn der Verleih meint: “`Jazz Seen` ist ein Film über William Claxton, dessen Augen die Bilder der Menschen geschaffen haben, mit denen wir alle aufgewachsen sind: Jazzmusiker, Filmstars, Topmodels – Repräsentanten des amerikanischen Traums.” In mit Schauspielern nachgestellten Rückblenden und zahlreichen faszinierenden Interviews mit Augenzeugen – von Sonny Rollins über die Schauspieler Clint Eastwood und Dennis Hopper bis hin zu Burt Bacharach und dem Aktfotografen Helmut Newton bietet “Jazz Seen” einzigartige Einblicke in die Arbeitsweise und Gedankenwelt eines großartigen Dokumentaristen der Zeitgeschichte, in eine Jazzära und hinter die Kulissen eines halben Jahrhunderts amerikanischen Entertainments.
William Claxton: Jazz fürs Auge … Waren die Musiker der Swingära noch überwiegend freundliche Unterhaltungsprofis, die mit einem Lächeln im Gesicht in die Kamera blickten, ging mit dem Aufkommen des Bebop die zunehmende Mystifizierung der Jazzmusiker einher. Anstelle des Orchesterkollektivs rückten nun immer mehr geniale Solisten mit ausgeprägten Persönlichkeiten in den Vordergrund. Der Jazz bekam einen Charakter, der auch die Fotografen vor neue Aufgaben stellte. William Claxton war einer der ersten Fotokünstler, die der fragilen Ästhetik der improvisierenden Moderne visuell gerecht wurden.
Am Anfang war jedes Bild ein prickelndes Experiment: “Einen Jazzstar, sagen wir im Jahr 1955, für eine Schallplattenhülle auf 12 × 12” zu fotografieren, war eine vergleichsweise einfache und erfreuliche Erfahrung", erinnert sich Claxton nach rund fünf Jahrzehnten Berufserfahrung. “Das Cover-Konzept wurde mit dem Künstler mal so zwischendurch, zum Beispiel in der Garderobe, diskutiert. Wir trafen uns dann, machten ein paar Fotos und fertig war die Geschichte. Heutzutage sieht das ganz anders aus. Da ist zunächst das kleinere 5 × 5”-Format der CD. Da sind außerdem zahllose Meetings, Diskussionen und Faxe, die mit Creative Directors, Art Directors, den Managern, Agenten, Labelchefs und Anwälten der Künstler ausgetauscht werden. Für die Fotosession selbst gibt es dann Modeberater, Make-up-Spezialisten, Haarstylisten und Assistenten, die im Studio herumschwirren. Ich muß sagen, mir ist es bis heute am liebsten, mich mit dem Jazzkünstler allein zu treffen. Nur so entsteht eine vertrauliche Atmosphäre." Und die ist William Claxton wichtig. Denn der besondere Reiz von Claxtons Fotografien liegt in der Unmittelbarkeit, mit der sich die Musiker vor der Kamera präsentieren. Hier werden Seelenlagen abgelichtet, nicht voyeuristisch, sondern mitfühlend. Es geht um die Kunst und um die Persönlichkeit, die dahinter steckt. Womöglich ist das Claxtons Geheimnis.
William Claxtons Karriere ist ein Netzwerk von Zufällen und günstigen Gelegenheiten. Sie begann in den frühen Fünfzigern in seiner kalifornischen Heimat, wo sich der junge Psychologiestudent und passionierte Jazzfan in der Freizeit auf den Weg machte, um in den Clubs der Region die Idole seiner musikalischen Leidenschaft zu fotografieren: “Mancher schmunzelte damals, wenn ich mit meiner klobigen Kamera und dem überdimensioniertem Blitz ankam wie ein verhinderter Polizeireporter. Ich ließ mich aber nicht entmutigen. Viele Fotografien, die ich kannte, zeigten verschwitzte Musiker mit glänzenden Gesichtern in dunklen, verrauchten Bars. Das war für die meisten Menschen Jazz. Als Kind der Westküste wollte ich aber zeigen, wie die Musiker hier in einer angenehmen, der Gesundheit förderlichen Atmosphäre leben. Also schlug ich vor, sie am Strand oder in der Bergen oder in ihrer Cabriolets aufzunehmen.”
Die Message war deutlich und wurde verstanden. Im Jahr 1952 traf Claxton im Haig in Los Angeles auf Dick Bock, der gerade das Label Pacific Jazz aus der Taufe hob. Man kam ins Gespräch, stellte Gemeinsamkeiten fest und so wurde der Newcomer an der Kamera zum Mitgestalter und künstlerischen Leiter der bald prosperierenden Firma. Seine Fotos trafen den Nerv einer jungen Generation, die weniger an der künstlerischen Vehemenz von Charlie Parker und Co. interessiert war, sondern mehr an einem lässigen Lebensgefühl. Das Bild von Chet Baker im Unterhemd zum Beispiel – Softie und James Dean zugleich – hatte Sex, Esprit, Nonchalance und ließ Mädchenherzen höher schlagen. Es ging nicht mehr allein darum, musikalische Grenzen zu überschreiten. Genialität passierte nebenbei, ohne Schweiß auf der Stirn. Das war cool und der Geist der Stunde.
Claxton fotografierte bald die gesamte Hautevolee des Jazz, von Nat ?King? Cole bis Miles Davis, von Red Nichols bis Sonny Rollins. Und er dehnte sein Talent auf benachbarte Sparten aus, nahm Promis wie James Dean, Frank Sinatra, Steve McQueen, Isaac Hayes und Clint Eastwood vor die Linse. So avancierte sein unaufdringlicher, manchmal fast schon ironischer, dennoch immer respektvoller und präziser Stil der Beobachtung zur Selbstverständlichkeit zeitgemäßer Bildwahrnehmung: “Mich fasziniert die Bewegung und Körpersprache der Musiker. Ich studiere sie so wie einen Tänzer oder Schauspieler, wenn ich sie fotografiere. Ich prüfe, wie ihre Körper und Gesichter das Licht aufnehmen, wann und aus welchem Winkel sie am besten aussehen. Ich mache das alles, während ich ihrer Musik lausche. Ich höre mit den Augen, wenn man so will…” Kein Wunder, daß Claxton zum Klassiker wurde.
Der Film “Jazz Seen”, eine Koproduktion von EuroArts Entertainment, North By Northwest Entertainment und Bravo Television in Kooperation mit ZDF/arte, wird voraussichtlich im Oktober 2001 in die deutschen Kinos kommen. Bereits im Kölner Taschen Verlag erschienen ist der Claxton-Bildband gleichen Namens (William Claxton – Jazz Seen, 33 X 27 cm, Hardcover, 288 Seiten, 240 zum Teil farbige Abbildungen, ISBN 3–8228–7868–5) mit einem von Hans-Jürgen Schaal ins Deutsche übersetzten Begleittext.