Ein Troubadour der Seele – Stephan Micus in neuen Klangwelten. “Es ist das einzige Instrument, das mich zum Weinen bringt.” Kein Geringerer als der armenische Altmeister Aram Chatschaturjan (“Säbeltanz”) bekannte sich einmal als glühender Verehrer eines Instrumentes, das mittlerweile auch im Jazz und in der Weltmusik auf Erfolgskurs ist: das Duduk.
Bis zu 40 Zentimenter ist dieses flötenähnliche Instrument lang, zumeist aus Aprikosenholz geschnitzt – und fasziniert mit seinen samtig-seidenen, oft auch dunkel-tragischen Klangfarben die Musikgeschichte seit 3000 Jahren. Als es von Armenien aus der legendären Seidenstraße folgte und sich via Türkei, Iran und Aserbaidschan ausbreitete. Früher oder später mußte das Duduk aber auch bei einem landen, der als nimmermüder Klang-Reisender ohne Konkurrenz ist: Stephan Micus. “Es war vor einigen Jahren”, erinnert sich Micus, “als ein Freund mir einige Aufnahmen des Duduk-Virtuosen Jivan Gasparian gab. Und ich war sofort gebannt von seinem Ausdrucksreichtum an einem Instrument, dessen Tonumfang nicht mehr als eine Oktave beträgt.”
Für Stephan Micus, der im Laufe von 30 Jahren unzählige, entlegene Regionen und Instrumente für sich entdeckt hat – für diesen magischen Weltenbummler wurde die Begegnung mit dem Duduk zu einem weiteren Schritt auf der für ihn nach oben offenen Inspirations-Skala. Und wenn die inneren Saiten bei Micus erst einmal angeschlagen sind, lässt er sich mit all seinen poetischen Blutbahnen, seinem unwiderstehlichen Sinn für die meditative Poesie darauf ein. “Wie schon bei früheren Gelegenheiten und für mich damals unbekannten Instrumenten fühlte ich auch jetzt sofort den Drang, das Duduk bis ins seine letzte Pore zu erlernen.”
Für Micus, der sich bislang von Ghana bis Indien, von Irland bis Bali wie selbstverständlich auf authentischen Klangpfaden bewegte, konnte es daher nur eine Weg geben: er mußte zu Jivan Gasparian. “Für einen knapp einen Monat machte ich mich Ende 1999 nach Armenien auf – und hatte das große Glück, dass Jivan zuhause und vor allem bereit war, mich zu unterrichten. Jeden Tag verbrachte ich mehrere Stunden mit ihm, führte mich dieser einzigartige Lehrer in die unglaubliche Bandbreite der Duduk-Familie ein.” Kaum war der Wahl-Mallorciner Micus wieder in heimatlichen Gefilden, begann er sofort, noch einmal auf Reisen zu gehen. Mit dem nur ihm eigenen, wundersamen Gespür für das Traditionelle, für die Annäherung unterschiedlicher Klanglandschaften.
Dass daraus gleich drei Jahre wurden, in denen das neue Album “Towards the Wind” entstand, markiert aber zugleich die Gelassenheit, mit der Micus die stilistischen Schnittstellen ausmacht und dann in seine Kompositionen eingießt. Denn wie schon auf den 15 zurückliegenden Alben, die im Laufe der Jahrzehnte allesamt bei ECM erschienen, ist Micus zuallererst ein Suchender. Einer, der nicht wahllos West und Ost, Orient und Okzident zusammenführen will. Eher schafft er es immer wieder, ganz alleine und nur unterstützt vom vielstimmigen Playback-Verfahren, den Gedankenaustausch zwischen Gestern und Heute vorsichtig, aber nachwirkend voranzuschieben.
Und daraus entstehen Wanderungen durch und über melodiöse und rhythmische Täler und Berge, die von unglaublicher Intensität, von Tiefe sind. Und die nicht zuletzt gelenkt werden von einem Grundton, der etwas Versöhnliches besitzt. Mit Duduk, dem Kalimba aus Tansania, der japanischen Shakuhachi-Flöte sowie Gitarre, Baß und Stimme lässt er so auf “Towards the Wind” den Klang reinwehen, “den ich schon immer mit mir herumgetragen habe: den Atem des Windes, das Kreischen der Menschen, den Raum der Wüste und des Meers. Und besonders die Reinheit des Lichts von schneebedeckten Bergen.”
Es ist eine wahre Schatztruhe aus Leidenschaft und feingezogenen Linien, aus kontemplativer Strenge und assoziativer Schönheit, die Stephan Micus hier zu einem musikalischen Erweckungserlebnis zusammengeführt hat. Als eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Überlieferten, getragen von den Energien aus allen Himmelsrichtungen. Und die in ihrer bisweilen archaischen Einfachheit an jene Zeit erinnert, als die Troubadoure nur mit ihrer Stimme Sinne und Herzen erweichen konnten. Etwas von so einem Minnesänger hat auch Stephan Micus. Nur dass seine musikalischen Sehnsüchte weltumspannend sind.