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Verschlungene Lebenslinien – Rolf & Joachim Kühn

2011 wurden Rolf und Joachim Kühn für ihr Lebenswerk mit einem ECHO Jazz ausgezeichnet. Nun ziehen sie auf ihrem neuen Album “Lifeline” gemeinsam musikalisch Bilanz.
Joachim und Rolf Kühn, Lifeline, c Jens Herrndorff
Joachim und Rolf Kühn, Lifeline, c Jens Herrndorff© Jens Herrndorff
04.04.2012
Rund 45 Jahre sind vergangen, seit Rolf und Joachim Kühn mit dem Coltrane-Bassisten Jimmy Garrison und dem italienischen Schlagzeuger Aldo Romano für Impulse Records das Album “Impressions Of New York” einspielten. “Die Musik fließt mit einem starken Momentum, so dass beim Hörer nie das Interesse abreißt”, lobte Scott Yanow in seiner Rezension für den All Music Guide und gab dem Album viereinhalb Sterne. “Rolf Kühn hält locker mit seinen jüngeren Begleitern mit, und das Resultat sind unterm Strich starke Entwicklungen und einige Überraschungen.” Jetzt haben die beiden Kühn-Brüder auf “Lifeline” mit einem anderen hochkarätigen Rhythmusgespann (Bassist John Patitucci und Drummer Brian Blade) den Faden wieder aufgenommen, aber in eine ganz andere Richtung weitergesponnen. Doch Yanows Urteil könnte wieder ähnlich ausfallen.

“Impressions Of New York”: improvisiertes Requiem für John Coltrane

Der Albumklassiker “Impressions Of New York”, 1967 nur drei Tage nach Coltranes Tod mit dessen langjährigen Bassisten Jimmy Garrison aufgenommen, geriet zu einer durchgehenden, intensiven, rauschhaften und großartigen Improvisation, einem Requiem für John Coltrane über zwei LP-Seiten hinweg, das die New Yorker Eindrücke der beiden deutschen Protagonisten festhielt. Das Klima war geprägt vom Protest gegen den Vietnamkrieg, Zusammenkünften der Bürgerrechtsbewegung und der Trauer um den frühen Tod des Saxophonisten. Es war eine One-Take-Aufnahme, die unverändert auf das finale Album floss. Noch nie habe er eine derart “tiefsatte, dunkle und doch kristallklare Klarinette” gehört, wie die Rolf Kühns auf diesem Album, meinte der Kritiker Nat Henthoff damals. Und das Solospiel des gerade 23-jährigen Joachim Kühn beschrieb er als “sich organisch ausdehnende Improvisationen mit kaum kontrollierbarer Dringlichkeit”.

“Lifeline” wartet mit ausgearbeiteten Eigenkompositionen und einem neuen Stück von Ornette Coleman auf

Für “Lifeline” wählten Rolf und Joachim Kühn einen anderen Ansatz. Diesmal ging das Brüderpaar, das letztes Jahr für sein Lebenswerk mit einem ECHO Jazz ausgezeichnet wurde, mit detailliert ausgearbeiteten Eigenkompositionen und einem neuen Stück (“Researching Has No Limits”) von Joachim Kühns gelegentlichem Duo-Partner Ornette Coleman ins Studio. Initialzündung für das Albumprojekt war das Deutsche Jazzfestival Frankfurt, das im Label-Jubiläumsjahr 2011 das gesamte Event unter die Headline “Impulse!” stellte. Rolf und Joachim Kühn wurden gebeten, ein Programm zu entwickeln, das an ihr Album von 1967 anknüpfte. Mit dem erfolgreichen Live-Programm ging es dann einen Tag später ins Studio. “Joachim und ich haben im September intensiv an den neuen Kompositionen gearbeitet, die wir am 30. Oktober 2011 im Tonstudio Bauer aufgenommen haben”, erzählt Rolf Kühn. “Jeder von uns beiden hat im Laufe der Jahre seinen eigenen Schreibstil gefunden, trotzdem finden die verschiedenen Kompositionen, die wir hier erarbeitet haben, auf eine natürliche Weise zusammen und das Album bildet eine musikalische Einheit.”

Die Lebenslinien der Kühn-Brüder spiegeln die Entwicklung des Jazz wider

Die eng verwobenen Lebenslinien von Rolf und Joachim Kühn beschreiben und begleiten die Entwicklung des Jazz von der klassischen Quartett-Besetzung der 1950er Jahre über Free Jazz und psychedelischen Art-Rock bis hin zu komplexen Kompositionslinien und Improvisationsstrukturen. Mit dem Album “Lifeline” haben sie zugleich eine Bilanz gezogen als auch ihrer gemeinsamen Geschichte eines neues, aufregendes Kapitel hinzugefügt